11. Wie die Kinder

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Ich verlasse das Bürogebäude erst gegen Abend. Mein erster Arbeitstag ist anstrengend und ermüdend gewesen und dabei waren es nicht mal die Aufgaben, die mir Mr. Brookman zugeteilt hatte. Nein, ich kann mich in dieser Hinsicht nicht beklagen. Viele Tage habe ich in meiner alten Kanzlei damit verbracht, Akten in Räumen ohne Fenster zu kopieren, oder ellenlange Schriftsätze zu verfassen.

Doch der Kampf, den ich glaube, mit Mr. Brookman führen zu müssen, strengt einfach ungemein an. Natürlich wäre es weniger kräftezehrend, einfach klein beizugeben, etwas, das ich bei meinem vorigen Job häufig getan habe. Aber ich habe mir erhofft, bei meiner neuen Arbeit mehr ich selbst sein zu können.

Jedoch scheint Mr. Brookman alle meine negativen Eigenschaften an die Oberfläche zu zerren. Ich erkenne mich selbst nicht wieder. Warum bringt er mich nur immer so auf die Palme? Warum habe ich ständig diese anzüglichen Gedanken, sobald er im Raum steht? Als hätte ich meine Professionalität an der Garderobe abgegeben.

Rachel habe ich beim Verlassen des Gebäudes eine Nachricht geschrieben und so steht sie mit Schürze und Pfannenwender vor dem Herd, als ich zur Tür hereinkomme. „Oh, was riecht den hier so gut? Und womit habe ich das verdient?" Ich drücke sie kurz und gebe ihr einen Kuss auf die Wange, die sie mir entgegenstreckt. „Dein Lieblingsessen, dafür, dass du den ersten Tag überlebt und keine Dummheiten gemacht hast."

Ich lasse mich stöhnend auf einen Stuhl fallen und vergrabe meine Finger in den Haaren. „Chester, was hast du getan?", fragt Rachel mich schockiert. „Dumme Sachen?!", sage ich mit einem schiefen Lächeln.

„Dumm in Form von ,Ich habe meinen Schwanz in die Kaffeekanne gehängt'?" Ich grinse sie an, obwohl ich ebenso gut heulen könnte, weil ich mich so über mich selbst ärgere. „Nein, das wollte ich mir für später aufheben."

Rachel holt die Schnitzel und die Bratkartoffeln aus der Pfanne und verteilt sie zusammen mit dem Fertigsalat aus dem Kühlschrank auf zwei Tellern, bevor sie sich zu mir setzt.

„Ich wäre an deiner Stelle vorsichtiger. Wenn er die Macht hat, dich von einem auf den anderen Tag aus einem Vertrag rauszuholen, dann kann er bestimmt auch dafür sorgen, dass du in dieser Stadt nie wieder einen Job findest. Schon mal darüber nachgedacht, während du deinen Kleinkrieg führst?"

„Aber Rachel...", sage ich mit halb vollem Mund, „...er hat angefangen." Sie verdreht die Augen und stöhnt auf. „Wie die Kinder."

„Solltest du nicht auf meiner Seite sein?" „Chester, ich bin auf deiner Seite, ich bitte dich, es doch nur etwas ruhiger angehen zu lassen. Das ist dein Problem. Dein Übereifer. Wenn du dir was in den Kopf gesetzt hast, dann bist du schwer davon abzuhalten. Sei es bei der Suche nach deinem Traumprinzen, oder bei deinem Plan, deinen Chef fertig zu machen."

„Ich will ihn nicht fertig machen. Ich will ihn nur in seine Schranken weisen und jetzt Themawechsel."

Gott sei Dank lässt sie sich darauf ein und so kann ich an diesem Abend wirklich mal abschalten. Meine Gedanken kreisen nun nur noch um das Outfit für das morgige Date.

Leider hat Rachel am nächsten Morgen bereits gefrühstückt, als ich mich aus dem Bett quäle und offensichtlich auch schon andere Pläne, denn sie steht im Mantel bekleidet in der Diele. „Auch schon unter den Lebenden? Obwohl, wenn ich dich so anschaue, bin ich mir da nicht so sicher", scherzt sie.

„Sehr witzig. Wo willst du so früh schon hin?" Sie nimmt ihre Tasche von der Garderobe und hängt sich diese um. „Tja, vielleicht habe ich ja auch heute ein Date", sagt sie breit grinsend und wendet sich ab zum Gehen, doch ich greife nach ihrem Arm. „Moment, was?" „Ich berichte später, wenn es ein Erfolg war, okay? Und du hast wieder ein Blind Date?"

Mhm, irgendwie ist mir gar nicht wohl dabei, dass sie sich mit einem fremden Mann trifft und ich nicht weiß, wo sie sich aufhält. „Du musst mir aber versprechen, an einem öffentlichen Ort mit ihm zu bleiben, okay?"

„Chester, wie habe ich es nur ohne dich so weit gebracht?" Sie drückt mir noch einen Kuss auf die Wange und verschwindet durch die Wohnungstür.

Ich frage mich gerade ernsthaft, ob ich besorgt oder eifersüchtig bin. Jedoch habe ich nicht viel Zeit, um über Rachels Date nachzudenken, denn so langsam sollte ich mich für mein eigenes fertig machen. Ich habe meine Suchkriterien in der Datingapp nochmal angepasst und hoffe, dass sich der Reinfall von letzter Woche nicht wiederholt.

Wir treffen uns in demselben Lokal, welches ich auch schon letzte Woche besucht habe. Es war meine Idee gewesen, denn er hatte sich an einem abgelegenen See treffen wollen, aber das war mir zu heikel. Ich will erstmal gucken, mit wem ich es zu tun habe.

Nachdem ich das Lokal betreten habe, lasse ich meinen Blick durch die Räumlichkeiten schweifen. Es haben sich um diese Uhrzeit schon viele Gäste eingefunden, aber durch die beachtliche Deckenhöhe, hält sich der Geräuschpegel in Grenzen. Mein Augenmerk fällt auf den Tisch, an dem ich mit dem letzten Date gesessen habe, denn dort liegt eine weiße Rose, unser Erkennungszeichen.

Ich betrachte den Mann, der am Tisch sitzt. Sein Gesicht wird verdeckt von der Speisekarte, in die er seine hoffentlich ganz ansehnliche Nase – mit der passenden Größe – gesteckt hat.

Zwar kann ich sein Gesicht nicht sehen, aber was mir sofort ausfällt, sind die schönen gepflegten Hände, auch die langen blonden Haare, die er zu einem Bun am oberen Hinterkopf gebunden hat.

Ich umschließe die Rose in meiner Hand etwas fester und versuche das Kribbeln in meinem Bauch zu unterdrücken, denn ich bin mir fast sicher, heute der Liebe meines Lebens zu begegnen.

Date the boss - don't fall in loveWo Geschichten leben. Entdecke jetzt