Kapitel 3

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Erst gegen Abend zog sich das Schwein zurück. Die junge Frau kletterte vom Baum. Wenn sie in diesem Teil des Waldes blieb, lief sie Gefahr, erneut angegriffen zu werden. Sie entschied sich dafür, bis zum Einsetzen der Dämmerung weiterzulaufen und unterwegs einige Gräser und Kräuter zu essen. Zögernd wanderte sie ein Stück des Weges zurück, den sie wenige Stunden zuvor verfolgt hatte.

„Wenigstens noch immer keine Spitzzähne", murmelte sie. Es war ungewöhnlich, dass ihr niemand folgte. In unregelmäßigen Abständen ließ sie ihren Blick zwischen den Bäumen hin und her gleiten. Sie konzentrierte sich auf die Geräusche ihrer Umgebung. Die Blutsauger waren Meister der Tarnung, lauerten ihrer Beute auf, ohne dass diese etwas bemerkten. Erst wenn es zu spät war, verließen die Monster ihre Schatten und stürzten sich auf die ihre nichtsahnenden Opfer. Das würde ihr nicht passieren.

Nachdem sie der Meinung war, das Wildschweingebiet weit genug hinter sich gelassen zu haben, schwenkte sie nach Südwesten ab. Es brachte sie weiter in das Gebiet des fremden Herrschers, sorgte dafür, dass sie sich mehr von der Grenze zum Heimatland entfernte, doch im Moment sah sie keine andere Möglichkeit.

Sie lief, bis es fast dunkel war und sie das Plätschern eines Gewässers vernahm. Begierig trank sie etwas Wasser, lehnte sich dann erschöpft an einen Stamm. Sie benötigte dringend mehr als die paar Kräuter, um bei Kräften zu bleiben. Brot und Käse, ein deftiger Gemüseeintopf. Allein der Gedanke reichte und ihr lief die Spucke im Mund zusammen. Als Sklavin des Königs hatte es auch nur eine karge Kost gegeben. Genug, damit die Leibeigenen in der Lage waren, die schweren Arbeiten zu verrichten, doch zu wenig, um Reserven für eine längere Flucht zu haben.

Sie schloss missmutig die Augen. Entweder müsste sie ein Dorf aufsuchen, dort etwas zu Essen stehlen, oder sich mit Dorfbewohnern anfreunden, um in den Genuss ihrer Gastfreundschaft zu kommen. Letzteres bedeutete, länger in diesem Land zu verweilen als ihr gefiel. Mit jedem Tag stieg die Gefahr, von den Spitzzähnen entdeckt zu werden. Es wunderte sie eh, dass ihr keine der Grenzwachen gefolgt war. Selbst einer der drei hätte gereicht, um die zwei Eindringlinge zu töten. Einer hätte ihr folgen und der dritte seinen Fürsten informieren können. Der Gedanke gefiel ihr noch weniger, bedeutete er doch, dass sie ihren Verfolger bisher nicht bemerkt hatte. Sie nahm sich vor, bei der Weiterreise verstärkt auf Geräusche und verdächtige Schatten zu achten.

So ging es am nächsten Morgen weiter. Sie legte immer mal wieder eine Pause ein, um einige Kräuter zu pflücken, an einem Bach etwas zu trinken oder um ihre müden Glieder zu strecken. Jedes Mal lauschte sie angestrengt auf Geräusche, die nicht zu ihrer Umgebung passten. Als die Sonne hoch am Himmel stand, hörte sie ein Pferd schnauben. Regungslos verharrte sie.

Hufe, die im schnellen Takt auf den Waldboden trommelten. Das Mädchen suchte hinter einem Strauch Deckung. Der Reiter zügelte sein Tier nur wenige Meter entfernt. Er stieg ab, forschte auf dem weichen Boden nach Spuren. Die junge Frau duckte sich tiefer. Der Fremde schien sie nicht zu bemerken. Ein Blutsauger wäre in der Lage, ihren Herzschlag zu hören, sie dadurch aufzuspüren. Doch der Mann erweckte nicht den Anschein, dass er sonderlich begabt war. Auch passte die Kleidung nicht. Die Spitzzähne bevorzugten dunkle Stoffe, wie sie von den Bewohnern ihres Dorfes gelernt hatte. Er dagegen trug braune Hosen und ein rotes Wams über einem hellen Hemd. Ein Reisender, vielleicht ein Händler.

Führte er etwas zu Essen mit sich? Sie stand auf, trat auf ihn zu.

„Dachte ich es mir doch." Der Mann nickte ihr freundlich zu, sowie er sie sah. „Du tust wohl daran, dich zu verstecken. Für die Vampire wäre ein hübsches Mädchen wie du ein gefundenes Fressen." Er musterte sie eindringlich. „Du hast sicherlich Hunger, nicht wahr? Komm näher, ich habe hier etwas für dich." Er reichte ihr einen Brotkanten.

VedmaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt