Kapitel 8

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Die Sonne näherte sich dem Horizont, als die Gruppe zur Burg heimkehrte. Sie türmte sich vor ihnen auf. Dunkel vor dem rötlich gefärbten Himmel, wie die Riesen aus den Sagen. Den geheimnisumwobenen Giganten aus den Märchen vergangener Zeiten. Kolosse, die alles unter sich zermalmten, was ihnen vor die Füße geriet.

Nicht anders würde es dem Mädchen ergehen, wenn sein König herausfand, wer sie war. Hermanus rollte mit den Schultern, doch das unangenehme Kribbeln in seinem Rücken blieb. Aus dem Augenwinkel beobachtete er, wie Sina sich noch stärker an Romanu presste. Der junge Vampir flüsterte ihr ins Ohr, dass sie nichts zu befürchten hatte und er sie immer beschützen würde. Ein törichtes Versprechen – wusste er doch nicht, um was es für sie ging.

„Wirst du sie gleich zu unserem König bringen?" Fabiu sprach gedämpft, um die Aufmerksamkeit des Mädchens nicht auf sich zu ziehen. Ihr Begleiter, dessen feines Gehör ihrem Gespräch ohne Mühe hätte folgen können, schien sich nur auf die Kleine vor ihm im Sattel zu konzentrieren. Seine Miene wirkte angespannt. Sein Arm war fest um Sinas Körper geschlungen. „Das Band ist schon zu stabil. Das verkompliziert die Lage."

Hermanus knurrte leise. Das war ihm längst bewusst. Das Mädchen hatte sich dazu entschieden, sich an Romanu zu binden. Ungewöhnlich für jemanden ihrer Spezies. War es einzig die Hoffnung, dass der Vampir sie aufgrund ihrer Verbindung zu ihm vor allem beschützte? Der Ältere schüttelte betrübt den Kopf. Hätten seine Worte den Jungen doch nur aufgehalten! Sina hätte es geschafft, ihnen zu entkommen, und würde nun unterwegs zu ihrer Heimat sein.

Er ließ seinen Blick zurück zur Burg gleiten, der sie sich stetig näherten. Die hohen Wachtürme, die massiven Mauern, der breite Burggraben und die schwere Zugbrücke mit ihren Eisentoren würden Sina Angst einjagen. Das Mädchen kannte das Leben im Wald, hatte ihr kleines Dorf nur verlassen, um sich zu beweisen, und in den Kreis der Erwachsenen aufgenommen zu werden. Das Burgleben würde sie überfordern. Nicht nur wegen ihrer Furcht vor Vampiren. Zu viele Personen auf teils engstem Raum. Eine zu große Anzahl an Geräuschen und Gerüchen für jemanden, der die Stille des Waldes gewöhnt war.

„Sie wird es dort nicht leichthaben." Fabiu verspürte wie immer keine Mühe dabei, seinen Gedanken zu folgen, ohne dass er sie aussprach. Sein Sohn erkannte, wie kein Zweiter, was ihn beschäftigte.

„Der König wird sich nicht davon abbringen lassen, sie für den Dienst in den Gemächern einteilen zu lassen", brummte der Ältere. „Sie ist zu jung, um uns zugeteilt zu werden."

„Gleichzeitig ist ihre Jugend ihr größter Schutz", murmelte sein Sohn.

„Das ist es." Deswegen hatte Hermanus zwei Jahre von ihrem wirklichen Alter abgezogen. Es gab ihm mehr Zeit, sich etwas einfallen zu lassen. Oder ihr, sich freizuarbeiten. Doch dazu müsste sie sich allen Zwängen unterwerfen. Undenkbar, in Anbetracht ihrer Herkunft.

Den Rest des Rittes verbrachten sie schweigend. Je näher sie der Burg kamen, desto bedrohlicher ragte sie über ihnen. Sina presste sich an Romanu, der ihr weiterhin beruhigende Worte ins Ohr flüsterte.

Hermanus beobachtete sie aus dem Augenwinkel. Der starre Blick des Mädchens sprach Bände. Stur auf das Bollwerk schauend spannte sie unter dem Umhang ihres Beschützers die Muskeln an. Bereit dazu, jeden Moment vom Pferd zu springen und notfalls kämpfend zu sterben, statt sich widerstandslos mitnehmen zu lassen. Doch für eine Flucht war es zu spät, stellte er betrübt fest. Erneut machte er sich Vorwürfe, ihr keine bessere Fluchtmöglichkeit geboten zu haben. Als er sie hinter seinen Untergebenen in den Sattel setzte, ahnte er bereits, dass sie am Fluss ihr Glück versuchen würde. Wenn sie doch nur nicht das Band zu Romanu so fest geknüpft hätte. Womöglich wäre der junge Vampir ihr dann nicht flussabwärts gefolgt – in der Hoffnung, dass sie das tosende Gewässer überlebt hatte.

VedmaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt