Stirnrunzelnd schaute Sina an ihrem Körper herunter. Das Kleid, in das Romanus Mutter sie gesteckt hatte, war zwar ganz hübsch, aber gleichzeitig unpraktisch, wenn man Hosen gewöhnt war. Wo sollte sie ihre Messer verstecken, denn einen Gürtel, um die Waffen dort zu befestigen, bekam sie nicht.
„Warum soll es dir besser ergehen als uns?" Alina ließ sich rücklings auf das weiche Bett fallen, auf dem Malia saß und kicherte. Beide Mädchen trugen ebenfalls Kleider. Die Ältere eins in Grün, das an saftiges Moos im Wald erinnerte, und die Jüngere eines, das so blau wie ihre Augen oder wie ein klarer Himmel an einem Sommertag strahlte.
„Dabei seht ihr alle hinreißend aus. Ich verstehe nicht, was ihr gegen die Kleider habt." Königin Oksana schüttelte bedächtig den Kopf. „Und noch weniger verstehe ich, wieso mein Sohn ein schlichtes schwarzes Kleid ausgesucht hat."
„Vermutlich, weil es zu seiner Gardeuniform passt", rief Alina von ihrem Platz aus herüber. „Mann, ich liebe dieses Bett. So etwas Bequemes hatten wir nicht im Dorf."
„Ich will nicht zurück in unser Dorf", maulte Malia und schob schmollend ihre Unterlippe vor. Alles Fröhliche verschwand aus ihrem Blick und sie sah um Jahre älter aus. „Die Männer sind böse. Nur Eleon ist lieb." Sina schluckte. Das Mädchen hatte von ihrem Versteck aus alles gehört. Nur nicht, was Sina selbst getan hatte. Doch die Hilfe, die der Seher geboten hatte, war der Kleinen nicht verborgen geblieben.
„Keine Sorge, Liebes. Du wirst nie dorthin zurück müssen", versicherte die Königin dem Kind und setzte sich zu ihr. Romanus Mutter streichelte Malia sanft über die Haare. „Fabiu wird gut auf dich aufpassen. Und da er mit seinem Vater in unsere Dienste tritt, wirst du auch Sina immer sehen." Die Vampirin schaute bedauernd zu Alina. „Ich wünschte nur, wir könnten dich ebenfalls mit an unseren Hof nehmen, damit ihr drei beieinander bleibt."
„Alina mag Taran und Taran mag Alina", verkündete Malia mit einem Grinsen. Der Themenwechsel schien sie von ihren Befürchtungen abzulenken. „Die sehen einander an, wie ich leckeres Essen angucke."
„Vor allem die Süßigkeiten." Sina gluckste. Ihre Ziehtochter hatte eine Vorliebe für die süßen Brötchen und das Kleingebäck entwickelt. Fabiu und Hermanus steckten es ihr auch zu gerne zu und erfreuten sich dann an ihrem strahlenden Lächeln.
Sie ließ ihren Blick zu dem älteren Mädchen wandern. Alinas Wangen röteten sich, ein seltsamer Glanz trat in ihre Augen. Obwohl zwischen ihr und Taran nicht solch ein starkes Band wie zwischen Romanu und Sina bestand, hatte sich die Vedma an den Vampir gebunden. Was seinem Sinn für Humor und seinem sanften Charakter zu verdanken war. Es lag zumindest nicht daran, dass er ein Gedankenmanipulator war. Die Fähigkeit hatte er einzig dazu eingesetzt, Alina zu beruhigen, als er sie gegen die Wachen von König Ragnar und gegen Cyrus verteidigte. Das Mädchen hatte erkannt, dass von ihm keine Gefahr ausging.
„Wenn ich mich nicht täusche, schaust du meinen Sohn in einer ähnlichen Art und Weise an, Sina." Königin Oksana hielt Malia eine Hand hin. „Komm, wir gehen schon mal. Die zwei brauchen noch ein wenig." Die Vampirin verließ mit dem Kind das Zimmer. Vermutlich, um zu ihrem Mann zu gehen, der sich bereits im Ballsaal aufhielt.
„Du möchtest nicht zum Fest, oder?" Alina schaute wissend zu Sina.
„Ich hasse König Ragnar. Für das, was er uns antun wollte, und für das, was er anderen Mädchen angetan hat." Sie atmete tief durch, schloss für einen Moment die Augen. „Manchmal glaube ich, dass wir von den Ältesten absichtlich in die Hauptstadt geschickt wurden, damit die Wachen uns aufgriffen. Im Tausch dafür schickte Ragnar nichtsahnende Vampire in den Wald, damit unsere Krieger sie gefangen nehmen konnten."
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Vedma
VampireAls Sina auf der Flucht vor den Wachen des Fürsten ihrer Heimat in ein fremdes Land eindringt, ahnt sie noch nicht, welche düsteren Gestalten dort leben. Rasch findet sie heraus, dass es die Monster aus den Erzählungen der Dorfältesten sind. Wenn d...