Kapitel 23

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Romanu knurrte ungeduldig. Die Männer waren erst vor kurzem aufgebrochen, doch bereits jetzt störte es ihn, dass er zurückbleiben musste. Im Wald lauerten Gefahren, denen ein dreizehnjähriges Mädchen nicht gewachsen war. Zu leicht konnte sie stürzen und sich verletzen. Oder Schlimmeres. Fieberhaft überlegte er, ob Hermanus sie schon früher in diesen Teil des Landes geführt hatte, doch seine Erinnerung war so leer wie eine unbeschriebene Papyrusrolle. Er stützte den Kopf in die Hände. Wieso hatte ihr Ausbilder kein bekannteres Terrain ausgesucht? Eines, bei dem er in Gedanken Sinas voraussichtliche Route nachverfolgen konnte. Das war pure Absicht! Grollend sprang er auf, wanderte hektisch hin und her.

„Setz dich wieder und hör auf zu knurren. Du hörst dich an wie ein hungriger Köter, der an einer Kette liegt und nicht an sein Fressen kommt." Taran beobachte ihn kopfschüttelnd. „Du brauchst dir keine Sorgen um Sina zu machen. So wie ich sie einschätze, werden wir sie nachher suchen dürfen. Sie ist zu klug, zu gewitzt, als dass sie sich widerstandslos einfangen lässt."

„Wie soll ich sie beschützen, wie ich es ihr versprochen habe, wenn sie nicht bei mir ist?" Romanu fuhr sich durch die Haare. Die Unruhe nahm immer mehr von seinem Körper in Besitz. Legte es sich nicht bald, stürmte er den anderen Auszubildenden entgegen dem Befehl, den er von seinem Ausbilder erhalten hatte, hinterher. Was hatte sich Hermanus nur dabei gedacht, ihn hier warten zu lassen? Er knurrte abermals, verstummte gleich darauf und seufzte. Er klang echt wie ein schlecht gelaunter Wachhund.

„Sie kommt sehr gut ohne uns zurecht. Cyrus kann ihr hier nicht auflauern, obwohl ich mir sicher bin, dass sie ihn im Wald austricksen könnte. Das ist ihre Welt, die Natur birgt für sie keine Überraschungen." Taran legte die Hände in den Nacken und sah hoch zum Himmel. „Sie werden ohne Sina zurückkehren, davon bin ich überzeugt. Sie lässt sich nur von dir finden. Sie mag dich."

„Sie ist zu jung", erwiderte Romanu murmelnd. Ein hübsches junges Mädchen, das eines Tages mit einem Mann irgendwo glücklich leben und Kinder großziehen würde. Weit entfernt von ihm und seinem Königreich. Es war besser so. Er setzte sich Taran gegenüber hin, starrte den Freund eindringlich an. „Du erwähntest, dass Sina klug ist. Klug genug um herauszufinden, was es mit dir und dem Toten auf der Lichtung auf sich hat?"

Die Gesichtsfarbe des Mannes wechselte von blass zu aschgrau. „Du," er stockte und befeuchtete seine Lippen, „du hast mich beobachtet?" Seine Schultern sackten ab, er ließ den Kopf hängen. „Dieser Moment musste ja einmal kommen", brummte er. „Nur hatte ich die Frage eher von Sina oder von Hermanus erwartet."

„Wieso von Hermanus?" Romanu rutschte auf seinem Platz hin und her. Was hatte ihr Ausbilder damit zu tun? Er hatte nicht auf der Lichtung beobachtet, wie Taran sich an den Sachen des Toten zu schaffen machte. Nicht dessen zusammengesunkene Gestalt gesehen.

„Er hat Sina gebeten, ein Auge auf alles zu haben. Vermutlich wegen dem Angriff im Wald. Der hat sein Misstrauen geweckt." Taran kratzte sich am Nacken, griff dann in die Tasche seines Hemdes und zögerte. Er ließ seine Hand sinken, legte sie auf seinen Oberschenkel. „Doch ihre neu gewonnene Neugierde scheint Razvan zu irritieren. Je mehr sie lernt, desto argwöhnischer betrachtet er sie."

Romanu sprang knurrend auf. „Das sagst du mir erst jetzt? Ich muss zu ihr."

„Setz dich wieder hin. Wir werden beide nicht zur Prüfung zugelassen, wenn du dich jetzt vom Lager entfernst." Auf das unwillige Brummen Romanus fügte er noch etwas hinzu. „Du hast genau wie ich deine Gründe, warum du ausgerechnet an dieser Burg deine Ausbildung absolvierst. Was ist es bei dir?"

Romanu ließ sich erneut auf dem Baumstamm nieder. „Dann erzählst du mir, was es mit dir, dem Angriff und dem Toten auf sich hat." Auf Tarans Nicken hin begann er seine Schilderung. „Der König liegt meinem Vater seit langem in den Ohren, ein starkes Bündnis aufzubauen. Da in meinem Reich Menschen nicht als Sklaven gehalten werden – von einigen Ausnahmen abgesehen – wurde ich losgeschickt, um mir ein Bild von diesem Königreich zu machen." Er verstummte verärgert, dachte an die Frauen und Männer, die teils wie Tiere behandelt wurden.

VedmaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt