Kapitel 29

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Er ließ seinen Blick über den Innenhof streifen. Etwa zwanzig Pferde warteten gesattelt auf ihre Reiter. Zwei davon, sein Hengst und eine Stute der Verräter, standen ein wenig abseits. Taran hatte darauf bestanden, dass Sina für die Reise ihr eigenes Reittier bekam. Da die Toten aus seinem Land stammten, hatte man ihm deren Tiere zugesprochen. Ein kläglicher Versuch des hiesigen Herrschers, sich in ein gutes Licht zu setzen. Doch allein, dass er Sina weiterhin hatte versklaven wollen, hatte die Bedenken ihm gegenüber weiter geschürt.

Romanu würde seinem Vater jedenfalls genauestens berichten, was für ein miserabler König mit einem noch nichtswürdigeren Sohn über dieses Reich herrschte. Ein Bündnis würde nie zustande kommen. Nicht, solange er lebte. Schaudernd sah er auf, als jemand seinen Namen rief. Eine Stimme, die er hoffentlich nie wieder hören würde. Marina eilte über den Hof auf ihn zu, ein in ein Tuch eingewickeltes Päckchen in den Händen. Er musterte die Prinzessin abwartend. Hatte sie noch immer nicht begriffen, dass er sie nicht begehrte? Sie obendrein für ihr widerwärtiges Verhalten den Menschen gegenüber verabscheute?

„Romanu, wo ist Sina? Ich wollte ihr noch etwas geben", keuchte sie ein wenig außer Atem. Er hob verdutzt eine Augenbraue. Sie kam nicht seinetwegen? Das war etwas unerwartet. Noch ungewöhnlicher war es, dass sie dem Mädchen, das sie in deren Anfangszeit auf der Burg terrorisiert hatte, etwas schenken wollte.

„Sie wollte sich von den anderen Männern verabschieden", erwiderte er ruhig, obwohl er Sina am liebsten holen und auf ihr Pferd setzen würde, um sie von hier fortzubringen. Weder Marina, noch ihrem Vater traute er. Und dem Prinzen erst recht nicht. Sie waren ausnahmslos von ihrer Gier verdorben. Er hielt nach Sina Ausschau, um notfalls rechtzeitig reagieren zu können, falls die Königsfamilie ihr etwas Böses wollte. Seine Kiefermuskeln spannten, als er die Zähne fest aufeinanderpresste. Wo steckte sie nur? War ihr etwas zugestoßen? Er sollte sie besser suchen. Just in dem Moment verließ sie die gemeinsame Unterkunft in Begleitung von Berok und seinem Vater. Ersterer reichte ihr etwas. Romanu atmete scharf ein, als er den Gegenstand erkannte. Ein Messer, das in einer Lederscheide steckte. Das entsprach nicht dem üblichen Vorgehen. Erst recht nicht, es einem Menschenmädchen so offen zu überreichen.

„Das würde meinem Bruder gar nicht gefallen." Marina, die seinem Blick gefolgt war, fing an zu kichern. „Er mag es nicht, wenn Mädchen bewaffnet sind. Hat wohl Angst, dass sie ihm die Klinge in sein verlogenes Herz rammen."

Romanu schaffte es nicht länger, seine Neugierde unter Kontrolle zu behalten. „Woher der Sinneswandel? Du bist deinem Bruder doch immer wie ein Schatten gefolgt."

„Er will, dass ich Taran oder Berok heirate, damit wir mehr Macht bekommen. Doch wie soll ich einen von ihnen überzeugen, mich zur Frau zu nehmen? Sie verachten mich genauso wie du es tust. So sehr, wie Sina mich fürchtet." Verbitterung schwang in ihrer Stimme mit. „Und ich habe mir das alles selbst zuzuschreiben." Ihre Miene hellte sich auf. „Aber das ist jetzt unwichtig. Da kommt sie."

Sina lief auf sie beide zu, visierte die Prinzessin argwöhnisch an. Ihre rechte Hand umklammerte den Messergriff, bereit, sich gegen einen möglichen Angriff zur Wehr zu setzen. Romanu trat vor, zog das Mädchen an seine Seite und schlang einen Arm um sie. „Marina hat auf dich gewartet, um dir etwas zu geben", wisperte er ihr zu.

Die Vampirin versuchte sich an einem Lächeln. „Mein Geschenk ist zwar nicht so praktisch, aber ich hoffe, es gefällt dir trotzdem." Sie hielt Sina das Bündel hin. Diese nahm es, noch immer voller Misstrauen an und wickelte es aus. Ein Buch kam zum Vorschein. Verwundert strich sie über den ledernen Einband.

„Ich habe gehört, dass Romanu dir Lesen und Schreiben beigebracht hat. Ich weiß, dass du nicht für mich die Fremden angegriffen hast, aber ich wollte dir trotzdem danken." Marinas Augen glitzerten feucht. „Weil du SEIN Leben gerettet hast." Sie machte auf dem Absatz kehrt und rannte zurück in die Burg.

VedmaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt