Kapitel 38

353 47 11
                                    


„Wohin jetzt?", fragte Hermanus, als sie eine Weggabelung erreichten. Er trieb sein Pferd neben Romanu, den Blick fragend auf ihn gerichtet. Seit dem Aufbruch überließ er es seinem ehemaligen Auszubildenden, sie in die richtige Richtung zu führen. Zu oft hatte er in der Vergangenheit seine Fähigkeiten als Fährtenleser unter Beweis gestellt. Vor allem, wenn es darum ging, Sina aufzuspüren. Die wenigen Spuren, die nach Tagen vom Durchreiten der Patrouille übriggeblieben waren, reichten ihm, um sie weiter durch das unbekannte Gebiet zu führen.

Romanu stieg von seinem Hengst ab und kniete sich hin. Mit einer Hand strich er über den Boden, spürte nach Unebenheiten, die Pferdehufe dort hinterlassen hatten. Dann hob er seinen Blick, taxierte die Wege. Der eine verlief weiter über eine grasbewachsene Ebene. Der andere führte zu einem Wald, schien leicht anzusteigen. Schwierigeres Terrain. Die Patrouille war ausgeritten, um Abtrünnige zu jagen, und diese würden sich eher in unebenem Gelände aufhalten, wo weniger Menschen entlangritten.

„Dort entlang." Er wies auf die nahen Baumreihen. „Sie werden die vermeintlichen Rebellen dort suchen und den Vedma direkt in die Arme laufen. Das deckt sich auch mit Alinas Aussage, dass ihr Dorf versteckt liegt. Tief im Wald, wo nie ein Reisender vorbeikommt, weil der Weg zu unwegsam ist."

„Apropos Alina. Cyrus hat ganz schön blöd geguckt, als mein Vater die Kleine unter seinen persönlichen Schutz gestellt hat." Berok gluckste. „Der gute Prinz war ziemlich sauer, dass ihm eine Vedma durch die Lappen gegangen ist."

„Sie hätte sich umgebracht, wenn er sie in die Finger bekommen hätte", wies Hermanus sie auf das Offensichtliche hin.

Romanu schluckte. Er erinnerte sich zu genau daran, in welchem Zustand Sina aus dem Kerker befreit worden war. Ohne Vampirblut hätte sie nicht überlebt. So wie er ohne ihr Blut gestorben wäre. Sie hatte damals bei der Feier ihr Leben oder zumindest ihre Freiheit für ihn riskiert. Und er hatte sie einfach gehen lassen. Seine Kehle schnürte sich bei dem Gedanken zu, dass er sie dadurch fast verloren hätte. Nur ihrer Liebe und Beharrlichkeit verdankte er es, dass sie nun seine Gefährtin war. Es wurde Zeit, dass er sie nach Hause brachte. Zu lange hatte er herumgetrödelt. Entschlossen sprang er in den Sattel. „Mir nach. Lasst uns Fabiu und die anderen befreien."

Wie erwartet gestaltete sich das Weiterkommen nach einiger Zeit schwieriger. Die Zweige hingen über dem Pfad, der sich zwischen Bäumen und Gesteinsbrocken hindurchschlängelte. Die Vampire saßen ab, führten ihre Tiere am Zügel. Romanus Hengst spitzte die Ohren. Ein tiefes Brummen tönte aus seiner Brust.

„Er riecht etwas", merkte Berok an.

„Vermutlich die anderen Pferde", mutmaßte Hermanus. Der Ältere wirkte, als ob er jeden Moment losstürmen würde, um seinen Sohn zu suchen. Die Miene verschlossen, die Körperhaltung verspannt.

Ein Wiehern erklang, lauter als Romanu erwartet hatte. Er gab den Männern, die sie begleiteten, ein Zeichen. Fünf liefen los, um das Gebiet auszuspähen. Der Rest band die Pferde an und wartete geduldig ab. Stets mit einem Ohr lauschend, ob sich ihnen jemand näherte, und immerfort die Hand am Schwertgriff. Vögel zwitscherten ein heiteres Lied in den Baumkronen. Dennoch wuchs die Anspannung.

Es knackte laut. Berok fuhr herum und zog sein Schwert. Finster blickte er den Kundschafter an, der mit ernster Miene zurückkehrte. Dieser hielt einen Pfeil in der Hand.

„Wir haben die Pferde gefunden. Außerdem Spuren eines Kampfes. Die Patrouille wurde hinterrücks überfallen", berichtete er.

„Tote?" Hermanus ballte die Fäuste. Er bebte am ganzen Körper. Ausgehend vom Schlimmsten schien er sich für die Antwort zu wappnen.

„Nein, keine Toten. Sie haben die Männer mitgenommen."

Romanu spürte eine Welle der Erleichterung durch sich hindurchfließen. Solange sie keine Leichen fanden, bestand Hoffnung, dass sie die Verschleppten befreien konnten. Er gab den Männern ein Zeichen, damit sie ihm und dem Späher zu den anderen Vampiren folgten. Dort entdeckte er nur noch wenige Spuren eines Kampfes. Die Pferde der Patrouille hatten mit ihren Hufen viel verwischt. Wenigstens waren sie nicht fortgelaufen.

VedmaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt