Sina kuschelte sich eng an Romanu. Trotz der Pferde, die den getöteten Vampiren gehört hatten, bestand er darauf, dass sie bei ihm mitritt. Sein Arm eng um sie geschlungen, gab er ihr Halt und Sicherheit. Er war aufgetaucht, wie der Seher ihr vorhergesagt hatte.
Eleon. Sina schluckte. Wäre der Alte nicht im Dorf zurückgeblieben und hätte sie vom Pfahl losgebunden, damit sie ihre Kräfte schonte ... Romanu wäre niemals rechtzeitig bei ihr angekommen. Wieso hatte der Weise ihr nur geholfen? Zu ihm war sie nicht geschlichen, um ihn zu töten. Aus Furcht, dass er diese Zukunft gesehen hatte und auf sie wartete, um ihren Rachefeldzug zu stoppen. Doch sie hatte auch so versagt. Ihre Gedanken wanderten zurück zu dem Moment, als sie bewegungslos vor einem Schlafenden verharrte, das blutige Messer fest umklammert. Unfähig, dem Mann die Klinge ins Herz zu rammen, der sie nie geliebt und nur als Mittel zum Zweck benutzt hatte. Der sie gezwungen hatte, eine Kriegerin zu werden, obwohl es nicht in ihrer Natur lag. Seinetwegen hatte sie die Weisen einen nach dem anderen getötet, war das Blut der Alten über ihre Hände geflossen. Er hatte das Monster erschaffen, nicht sie. Und doch war sie sein williges Werkzeug geworden.
Sina schloss die Augen, verbannte die Erinnerung daran, wie man sie überrumpelte und an den Pfahl band. Sie atmete tief durch, sah dann zu Malia, die eng an Fabiu gekuschelt bei ihm im Sattel schlief. Der Heiler hatte seinen Arm um sie geschlungen, ein zufriedenes Lächeln auf den Lippen. Er würde ihr ein guter Vater sein und Hermanus ihr ein noch besserer Großvater. So ungewöhnlich es war, dass die Kleine als Kriegerin sich einen friedfertigen Vampir suchte, so wenig überraschte es Sina. Malia hatte im Dorf genug erlebt. Nicht zuletzt den Versuch des Schlächters, sie zu töten. Der Mann würde nie mehr dem Kind drohen können oder ihm Albträume bescheren. Dafür hatte sie gesorgt.
Wie bei Razvan oder den anderen Spitzzähnen, die ihre Freunde bedroht und verletzt hatten, verspürte sie keine Reue, weil sie den Schlächter ein Messer ins Herz gerammt hatte. Sein verwirrter Blick, die völlige Überraschung in seinem Gesicht, bewiesen, dass er nie geahnt hatte, dass sie ihn aufhalten würde. So wie die anderen Frauen der Vedma, die das Urteil der Männer klaglos akzeptierten. Zu lange hatte sie selbst ihrem Vater und den Weisen gehorcht, doch dem hatte sie nun ein Ende bereitet. Sie hatte richtig gehandelt, den Frauen und Mädchen einen Gefallen getan, oder?
Sie atmete tief durch. Die Erschöpfung und die Nachwehen der Verletzung forderten ihren Tribut. Sinas Augenlider wurden schwer, fielen schließlich zu. In den Schlaf geschaukelt vom Ritt und Romanus Nähe, gab sie dem Bedürfnis nach Ruhe nach.
Sie stand vor dem Bett ihres Vaters. Warm und klebrig floss eine zähe Flüssigkeit an ihrem Unterarm entlang. Hinab zum Messer, dessen Griff sie beharrlich umklammert hielt. So fest, dass ihre Fingerknöchel schmerzten und ihre Hand krampfte. Die Klinge vom Blut der Weisen Rot gefärbt. Die Ältesten, die nun tot in ihren Hütten lagen. Bestraft für die Sünden ihrer Vergangenheit. Doch ein Mann fehlte noch. Die Person, die ihr nie ein liebender Vater war. Der ihre kleine Schwester hatte sterben lassen, weil sie nach dem Tod der Mutter zu jung war, um für sich selbst zu sorgen.
Sie betrachtete den Schlafenden im wenigen Licht, das durch die geöffnete Tür ins Dunkle fiel. Ein Mann, dem sie nicht ähnlich sah und mit dem sie auch sonst nichts gemeinsam hatte.
Außer einem. Sie hatte getötet, um ihre Interessen durchzusetzen. Getrieben von dem puren Wunsch, alles aus ihrem Leben zu entfernen, was ihr im Weg stand. Hatte sie sich damit nicht genau in die Art Monster verwandelt, die sie abgrundtief verabscheute? Ein Zittern lief durch ihren Körper, breitete sich immer mehr aus. Der verkrampfte Griff um das Messer lockerte sich, bis sie ihr entglitt. Dumpf landete die Waffe auf dem Boden der Hütte.
Sina schluchzte leise auf. Schuld und Verzweiflung brachen über ihr wie eine riesige, alles ertränkende Flutwelle hinein. Unfähig, nicht in der Lage, auch nur den kleinen Finger zu rühren, stand sie da und weinte. Die Sicht vor ihren Augen verschwamm. Wie gelähmt ließ sie zu, dass kräftige Hände sie brutal an den Armen packten und sie in die Mitte des Dorfplatzes zerrten. Im fahlen Mondlicht erkannte sie, dass ihre Kleidung mit Blutflecken übersät war. Als ob sie sich im Blut der Ermordeten gewälzt hatte. Sie war ein Ungeheuer, ein blutrünstiges Monster.
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Vedma
VampirgeschichtenAls Sina auf der Flucht vor den Wachen des Fürsten ihrer Heimat in ein fremdes Land eindringt, ahnt sie noch nicht, welche düsteren Gestalten dort leben. Rasch findet sie heraus, dass es die Monster aus den Erzählungen der Dorfältesten sind. Wenn d...