„Wen haben wir denn da? Wie ich sehe, kannst du wieder auf deinen Füßen stehen."
Sina gab sich alle Mühe, bei den Worten nicht zusammenzuzucken. Der lauernde Blick des Prinzen jagte ihr abwechselnd eisige und heiße Schauer über den Rücken. Wieso nur hatte sie darauf bestanden, selbst Kräuter pflücken zu gehen, statt in der Küche abzuwarten? Warum war Hermanus mit den Auszubildenden unterwegs und hatte dieses Mal sogar Taran mitgenommen? Ohne die Anwesenheit der jungen Männer war sie der Willkür der Burgbewohner hilflos ausgesetzt. Wieso hatte sie nicht auf Garak gehört, der sie von ihrem Vorhaben hatte abbringen wollen, und dann schließlich kopfschüttelnd eingewilligt hatte?
„Nun, wer hat dir erlaubt, deine Arbeit zu verlassen?" Cyrus trat hinter sie, beugte sich zu ihrem Hals. „Dein Blut riecht noch immer köstlich. Zu gern würde ich von dir kosten." Wie zum Beweis leckte er über ihre Haut, genau an der Stelle, wo sie ihren Puls verzweifelt schlagen fühlte. Wenn der Vampir sie jetzt biss, war sie verloren. „So eine brave kleine Sklavin, die bald mir gehören wird."
„Sina? Wo bleibst du mit den Kräutern?" Garak stapfte mit zusammengebauschten Augenbrauen auf sie zu. Der Küchenmeister schien verärgert zu sein.
Hatte sie so lange an der frischen Luft getrödelt und die wärmenden Sonnenstrahlen genossen? Beschämt schaute sie auf das Körbchen, das sie mit den unterschiedlichen Küchenkräutern gefüllt hatte. „Es tut mir leid, Herr, es wird nicht wieder vorkommen." Sie bückte sich, um es aufzuheben.
„Natürlich wird es nicht wieder vorkommen." Garak packte sie am Arm und zerrte sie von dem Prinzen weg. Kaum hatte er die Tür hinter ihnen geschlossen, ließ er sie los und betrachtete er sie kritisch. „Hat er dir etwas getan, Kind? Ich habe die Gier nach Blut in seinen Augen gesehen. Dabei ist es verboten, von euch jungen Dingern zu trinken." Der Vampir seufzte. „Cyrus wird es nie lernen. Genauso verdorben wie seine jüngere Schwester."
„Er hat mir aufgelauert." Ihre anfängliche Angst wandelte sich in Wut. Sie verstärkte den Griff ihrer Hand um den Henkel des Weidenkorbs, der unter ihren Fingern ächzte und knirschte.
„Du solltest dich von ihm fernhalten." Garak strich sich übers Kinn. „Aufgrund deines jungen Alters und weil du neu bist, sieht er dich als geeignetes Opfer für seine Spielchen. Er genießt es, Ängste bei den Menschen zu schüren. Ihre Furcht bereitet ihm Vergnügen."
„Warum unternimmt der König nichts dagegen?", fragte sie, obwohl sie die Antwort ahnte. Weil es seine Kinder waren, denen er fast alles durchgehen ließ.
„Er hat sich in seiner Jugend nicht anders verhalten. Wie schon sein Vater vor ihm." Der Küchenmeister schüttelte den Kopf. Mit einer Miene, die Sina nicht deuten konnte. „Halte dich von der Königsfamilie und anderen hohen Adeligen fern. In meiner Küche bist du vor ihnen sicher." Er verstummte für einen Augenblick, starrte die gegenüberliegende Wand so intensiv an, als ob er durch sie hindurchzusehen vermochte. „Ich werde mit Marek sprechen, unserem Hofmeister. Er ist es ebenso leid, dass junge Sklaven gequält werden, bis sie vor Angst zusammenbrechen. Solche Menschen begehren zwar nicht mehr auf, doch in ihrer Apathie sind sie nichts anderes als lebendige Schatten. Aber komm jetzt, wir haben noch viel zu erledigen."
Stumm folgte sie dem Vampir in den warmen, nach Gemüsesuppe und Brot riechenden Raum, indem Sklaven still ihre Arbeit verrichteten. Obwohl ihnen in den Tagen, seitdem Sina hier arbeitete, kein Leid geschehen war, erweckten sie den Eindruck, dass sie eingeschüchtert waren. Von einigen wirkten die Augen immer ein wenig leer, als ob sie innerlich zerbrochen waren. Das Mädchen schluckte, als ihr bewusst wurde, was Garak mit seinen Worten gemeint hatte. Hier in der Küche waren sie alle in Sicherheit. Nur für einige kam es zu spät.
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Vedma
VampireAls Sina auf der Flucht vor den Wachen des Fürsten ihrer Heimat in ein fremdes Land eindringt, ahnt sie noch nicht, welche düsteren Gestalten dort leben. Rasch findet sie heraus, dass es die Monster aus den Erzählungen der Dorfältesten sind. Wenn d...