Hermanus starrte mit fest aufeinandergepressten Kiefern auf die Burg. Seit Sina für ihren erneuten Fluchtversuch im Verlies eingesperrt war, kam ihm das Bollwerk noch unwirtlicher vor als jemals zuvor. Düsterer, unheilverkündender. Ein dem Untergang geweihter Ort.
Er schüttelte den Kopf. Warum nur hatte Romanu ihre Flucht vereitelt? Alles nur, weil Resa sich in ihrer Sorge um das Mädchen Fabiu anvertraut und der junge Vampir die Worte der verängstigten Frau aufgeschnappt hatte. Gleich darauf saß er auf seinem Pferd auf und verschwand in die Nacht. Zu allem Überfluss verfolgt von Razvan und Bruno, einem sehr erfahrenen Wächter, dem es ein Dorn im Auge war, dass Sina wie ein verschrecktes Reh davonlief. Entlaufene Sklaven wurden immer den Wachposten angekreidet. Ein Grund mehr, weshalb die meisten Vampire drakonisch bei eingefangenen Leibeigenen reagierten.
Er seufzte. Der Kleinen würde es viele Male besser ergehen, wenn sie entkommen wäre. Doch das Glück war ihr nicht hold. Hermanus starrte hoch zum Burgturm, der drohend über ihnen aufragte. Dass das Mädchen von dort oben hinuntergeklettert war, ihr Leben für ihre Freiheit riskiert hatte, ließ noch immer seinen Magen rotieren, obwohl. Er schüttelte das unangenehme Gefühl ab. Zumindest vor dem Prinzen war sie im Moment sicher. Der verzogene Sohn des Königs würde sich niemals zur untersten Ebene des Kerkers begeben. Erst recht nicht, um ein Mädchen in Angst und Schrecken zu versetzen. Dafür war er zu faul. Ein grauenhafter zukünftiger Herrscher.
Hermanus knurrte leise, ließ den Blick über die Auszubildenden schweifen. Diese letzte Gruppe, dann suchte er sich zusammen mit seinem Sohn eine Anstellung an einem anderen Herrschaftssitz. Dort, wo Menschen nicht wie Viehzeug behandelt wurden. Doch eine Vedma wäre nirgends sicher. Seine Gedanken wanderten wieder zu Sina und dem Kerker. Ruhe vor dem Prinzen war der einzige Vorteil, den die Zelle bot. Die Menschen, die dort gefangen gehalten wurden, verbrachten Tag und Nacht in völliger Dunkelheit. Das nagte bei einer im Dunkeln hilflosen Spezies am Verstand. Viele Gefangene drehten nach wenigen Tagen durch, verloren den Willen zum Überleben.
Sina war durch das Training, das die Vedma jedes ihrer Kinder durchlaufen ließen, gefestigter und ausdauernder. Doch auch sie würde nach einiger Zeit, in der sie einsam in völliger Finsternis eingesperrt war, dahinsiechen. Das Mädchen brauchte die Sonne, den Wind und ihre Freiheit zum Überleben.
Er schaute hoch zum Himmel. Seit drei Tagen saß sie in der Zelle. Und obwohl der König angeordnet hatte, ihre Strafe bei einer Woche mit minimalem Kontakt zu belassen, zog es Hermanus zum Kerker. Keine der Wachen hatte ihm zugetragen, dass die Kleine sich auffällig verhielt, doch genau das ließ ihn stutzen. Es war zu friedlich. Er zerrte am Kragen seines Hemdes. Etwas stimmte an der Sache nicht. Er musste sich mit eigenen Augen davon überzeugen, dass alles rechtens war.
„Weshalb sorgst du dich? Ist es wegen Sina?"
Hermanus warf seinem Sohn, der neben ihm ritt, einen drohenden Blick zu. Dann schaute er nach vorn, zu Romanu, der seinen Hengst energisch Richtung Zugbrücke trieb. Der junge Mann schien instinktiv zu spüren, wenn etwas mit dem Mädchen nicht in Ordnung war. Am Morgen hatte er, im Gegensatz zu seinem sonst tadellosen Verhalten, einen Vorwand gesucht, um auf der Burg zu bleiben. Weil dies nicht klappte, zeigte er sich während des gesamten Kontrollritts wortkarg und verschlossen. Ein weiterer Grund, nach der Kleinen zu schauen. „Ich werde sie gleich besuchen", teilte Hermanus Fabiu mit. Welche Sorgen ihn genau plagten, brauchte sein Sohn nicht zu erfahren.
„Nimm ihr etwas Vernünftiges zu essen mit. Dort unten bekommt sie sicher nur trockenes Brot und Wasser."
Der ältere Vampir nickte nur. Er würde sie lieber aus der Zelle herausholen und in die Küche bringen, damit sie sich sattessen konnte. Seine Unruhe verstärkte sich, als sie den Innenhof erreichten. Er sprang vom Pferd und warf einem Stallknecht die Zügel zu, bevor er mit großen Schritten in die Burg eilte.
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Vedma
VampireAls Sina auf der Flucht vor den Wachen des Fürsten ihrer Heimat in ein fremdes Land eindringt, ahnt sie noch nicht, welche düsteren Gestalten dort leben. Rasch findet sie heraus, dass es die Monster aus den Erzählungen der Dorfältesten sind. Wenn d...