Kapitel 9

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„Nun such mir schon etwas Anständiges zum Anziehen heraus." Marina stampfte ungeduldig mit dem Fuß auf. Für ein Mädchen, das vor einigen Monden seinen fünfzehnten Geburtstag gefeiert hatte, benahm die Prinzessin sich in Sinas Augen wie ein verzogenes Balg – kaum älter als fünf oder sechs. „Mein Vater wird mir gleich erlauben, mit Romanu auszureiten. Er sieht so umwerfend aus!" Sie drehte sich im Kreis vor dem Spiegel, strich immer wieder über ihre kaum vorhandenen Rundungen.

Sina unterdrückte ein Knurren, starrte stattdessen erneut auf die Fülle an Kleidern, die die Prinzessin besaß und von denen ein gutes Drittel verteilt auf dem Boden lag. Anziehen, das eigene Spiegelbild betrachten, ausziehen, hinwerfen. Das Spiel wiederholte sich seit dem Frühstück.

„Ich brauche Papa nur lange genug anzubetteln, dann sorgt er dafür, dass Romanu nicht zu seinem Herrscher zurückzukehren braucht. Er gehört mir", stieß sie voller Überzeugung hervor.

Sina rollte unbeobachtet mit den Augen. Die Selbstverliebtheit der Prinzessin, eine direkte Folge der nachlässigen Erziehung durch den König, war ihr ein Gräuel. Das Mädchen war oberflächlich und verwöhnt, ohne Wissen vom Leben außerhalb der Mauern der Burg. Sie erwartete, dass ihr alles, was sie begehrte, auf einem goldenen Tablett serviert wurde. Doch in dieser Sache täuschte sie sich. Romanu gehörte nicht ihr, würde es nie tun.

„Also, suche mir etwas heraus, das ich zum Ausritt anziehen kann." Erneut warf Marina ein Kleid mit verächtlichem Blick auf den Boden. „Ich muss fabelhaft aussehen, damit er nur mich ansieht."

„Dürfte beim Ausritt gefährlich sein", brummte Sina.

„Was weißt du denn schon davon?" Die Vampirin drehte sich abrupt zu ihr um. „Du bist noch ein halbes Kind. Obendrein eine Sklavin."

„Ich bin keine Sklavin", presste Sina hervor. Ihr Blut kochte vor Wut. Ein Pfeifen legte sich auf ihre Ohren, sodass sie einen Augenblick nichts anderes hörte. Sie schloss die Augen, atmete tief durch. „Ich habe bereits deinem Vater gesagt, dass ich gefangen genommen wurde, ohne dass ich mir etwas zu Schulden habe kommen lassen. Dennoch hält er mich hier gefangen."

„Er ist noch nett zu dir. Du bist nur ein Mensch. Sei froh, dass du mir dienen darfst." Marina lief weiter zum Kleiderschrank, aus dem sie das nächste Kleid zerrte. „Du räumst nachher mein Zimmer auf, während ich mit Romanu ausreite."

„Er wird kein Interesse an dir haben", gab Sina zu bedenken. Den Zahn würde sie der verwöhnten Göre ziehen. Der junge Vampir war viel zu rechtschaffen für das verzogene Mädchen, das glaubte, es könnte mit einem bettelnden Blick alles bekommen. „Ich habe gehört, dass Prinzessinnen immer mit Prinzen oder Königen vermählt werden. Zumindest ist es in dem Land so, aus dem ich stamme. Das wird hier nicht anders sein. Romanu ist nur eine Wache." Wenn die Spitzzähne von seiner adeligen Herkunft keine Kenntnis besaßen, würde sie sein Geheimnis bewahren. Das schuldete sie ihm. Schon allein wegen des Bandes, das sie ihm auferlegt hatte. Wieso reagierte er nur auf ihren unausgesprochenen Schwur, den eine Vedma und ihr Geliebter einander gaben? Es war ihr ein Rätsel.

„Mein Vater kann ihn ohne Mühe in den Rang des höheren Adels aufnehmen oder das Gesetz ändern, das vorsieht, dass Prinzessinnen nur Mitglieder fremder Königshäuser heiraten dürfen. Immerhin ist er der König und hat mir noch nie eine Bitte abgeschlagen", erwiderte das Mädchen schnippisch. Es kniff die Augen misstrauisch zusammen. „Woher weißt du so viel? Egal, wenigstens bist du kein ungebildeter Bauerntrampel, wie meine letzte Dienerin. Andererseits," die Vampirin leckte sich über die Lippen und warf ihr einen bedauernden Blick zu, „war sie alt genug, dass ich von ihr trinken durfte." In ihren Augen blitzte es rot auf.

Sina ahnte, was mit der vorherigen Dienstmagd oder Sklavin passiert war. Dennoch rang sie sich dazu durch, nachzufragen. Sie brauchte die Gewissheit, dass selbst dieses junge Mädchen ein Monster wie alle Spitzzähne war. „Wieso dient sie dir nicht mehr?"

VedmaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt