Kapitel 10

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Sina zupfte den Stängel einer Felsensilge ab und knabberte an ihm. Die Arbeit im Kräutergarten der Burg hatte seine Vorteile. Bessere Luft, solange kein Knecht Pferdemist in den Garten brachte. Sonnenstrahlen, die ihre Kopfhaut wärmten und ein leichter Wind, der über ihre Arme streichelte. Wenn sie die Augen schloss, und die Geräusche des Burglebens ausblendete, gelang es ihr, sich das Leben in ihrem Dorf vorzustellen. Fern von den grässlichen Spitzzähnen, die sich einen Spaß daraus machten, die Menschen zu schikanieren.

Sie kappte einen weiteren Stängel. Nicht, weil das Gewächs ihr ausgezeichnet schmeckte, sondern wegen der erhofften Wirkung. Durch die kargen Mahlzeiten während der Flucht verzögerte sich ihre Blutung. Wenn sie den Erzählungen der alten Frauen Glauben schenken durfte, war dies ohne gleichzeitige Schwangerschaft ein schlechtes Zeichen. Verweilte das Blut zu lange im Körper, lauerten Krankheiten. Eine Schwächung, die unter allen Umständen zu vermeiden war. Sie seufzte leise.

„In der Küche würdest du festere Nahrung bekommen. Solltest nur nicht den Küchenchef danach fragen." Taran hockte sich neben sie. „Oder aber du vertraust darauf, dass dir jemand etwas bringt." Der Vampir zog einen kleinen Apfel hervor und hielt ihn ihr hin.

Misstrauisch betrachtete Sina erst das Obst, dann den Mann. „Wieso bist du nicht mit den anderen auf Patrouille?"

„Der Wallach von Razvan ist noch verletzt. Hermanus hat mich darum gebeten, ihm mein Pferd zu überlassen, da selbst Razvan mit dem Tier umgehen kann." Er beugte sich vor, lächelte sie sanft an. „Nun komm, nimm ihn schon." Als sie weiterhin zögerte, drückte er ihr den Apfel in die Hand. „Du solltest mehr essen. Dein Körper braucht mehr Nahrung."

„Wozu? Damit ihr eines Tages mein Blut trinken könnt?" Sie schüttelte den Kopf, schaute dann sehnsüchtig zum Tor, zu dessen Seiten zwei Wachen standen, obwohl es heruntergelassen war.

„Wenn es dich beruhigt, wir haben andere Quellen." Taran richtete sich wieder auf. „Nicht jeder mag es, von einem Menschen direkt zu trinken. Es ist doch eine sehr intime Geste und es kann sehr viel schiefgehen, wenn man nicht darauf achtet, wie es der Person dabei geht."

„Wie kommt ihr dann an genügend Blut für solch eine große Ansammlung von Vampiren?" Sie warf einen Blick auf das Hauptgebäude der Burg. Ein Schauder brachte sie aus dem Gleichgewicht. Mit einem leisen Quieken landete sie rücklings im Beet. Die würzigen Düfte der unterschiedlichen Kräuter stiegen ihr in die Nase. Sie atmete tief durch. Fast so aromatisch wie die Luft im Wald.

„Soll ich dich hochziehen?" Taran streckte ihr freundschaftlich die Hand entgegen. „Ich verspreche, dass ich dich auch nicht beiße." Er zwinkerte ihr verschmitzt grinsend zu. Geduldig wartete er ab.

Sie knabberte an ihrer Lippe. Der junge Vampir hatte ihr bisher noch keinen Anlass gegeben, ihm nicht zu vertrauen. Außerdem benötigte sie Verbündete, die Mitleid mit ihr bekamen und ihr halfen, von der Burg zu fliehen. Sie ergriff seine Hand, taumelte im nächsten Moment gegen den Mann.

„Entschuldige, da habe ich wohl zu viel Kraft eingesetzt." Er ließ sie ruckartig los, kratzte sich am Nacken. „Nur gut, dass Romanu nicht da ist. Der hätte mich dafür durch die dicke Außenmauer geworfen."

Sina legte den Kopf schief und schaute Taran fragend an.

Der Vampir lachte leise. „Jetzt tu nicht so, als ob du nicht bemerkt hast, wie Romanu dich von allen auf dem Ritt zur Burg abschirmen wollte. Er hat Hermanus sogar angeboten, Razvan auf seinem Hengst reiten zu lassen, damit er hier bei dir bleiben darf."

„Das arme Tier." Das hatte das treue Huftier nicht verdient, einen arroganten Kerl wie Razvan zu tragen. „Er wollte hier auf der Burg bleiben?"

„Er reitet nur ungern auf Patrouille, seitdem du hier bist", bekräftigte Taran. „Allerdings kann er froh sein, dass er nicht da ist. Die Prinzessin hat es sich in den Kopf gesetzt, ihn für sich zu gewinnen."

VedmaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt