König Veli musterte seinen Sohn nachdenklich. Statt sich auf die Festlichkeiten in Ragnars Reich, die einige Wochen andauern würden, zu freuen, wirkte Romanu gedanklich abwesend. Wie immer, wenn jemand erwähnte, dass es für den jungen Vampir an der Zeit war, sich eine Gemahlin auszusuchen. Sein Herz gehörte bereits einer Person. Dem Mädchen, das er während seiner Ausbildung kennengelernt und ihr nach erfolgreichem Abschluss derselben die Freiheit geschenkt hatte. Und es bis zum heutigen Tage zutiefst bereute. Sie musste etwas ganz Besonderes sein, wenn sein Sohn sie dermaßen vermisste.
Seelenverwandtschaft gab es bei Vampiren selten, doch das, was die zwei jungen Wesen miteinander verband, hörte sich in seinen Ohren verdächtig danach an. Er beobachtete weiter, wie Romanu versuchte, seiner Mutter zu entkommen. Veli schmunzelte. Seine Gemahlin, Oksana, meinte es nicht böse, doch verstand er, weshalb seinem Sohn das Thema gegen den Strich ging. Er suchte keine Partnerin. Keine würde es mit dem Mädchen aufnehmen können. Dennoch ließ sich die Teilnahme an den Festlichkeiten nicht vermeiden. Einer alten Tradition gehorchend würde er dort Romanu zum ersten Mal den anderen Herrschern als seinen Sohn und Thronfolger vorstellen.
„Und wenn du dort doch eine hübsche Vampirin siehst, die dir gefällt? Was soll sie denn von dir denken, wenn du keine angemessene Kleidung trägst?", schimpfte Oksana. In der linken Hand hielt sie das typische Outfit eines verwöhnten Prinzen hoch: Rüschenhemd, weiße Hose, rote Weste. Das in der rechten sah kein Stück besser aus, nur dass die Farben andere waren. Veli unterdrückte ein Kichern, tarnte es klugerweise als Hüsteln. Seine Gemahlin war wundervoll. Eine liebevolle Gefährtin und Mutter. Nur ihr Beharren auf gewisse Bräuche stieß weder bei ihm noch bei ihrem gemeinsamen Sohn auf Gegenliebe.
„Die Gardeuniform ist angemessen, Mutter. Wenn ihr mich schon unbedingt mit einer Frau vermählen wollt, die ich nicht liebe, soll sie zumindest gleich wissen, wer vor ihr steht. Kein törichter Prinz, der es nicht gewöhnt ist, mit anzupacken. Ich habe in der Ausbildung genug gelernt, um unsere Garde anzuführen. Dann kann ich auch die Uniform tragen." Romanu wandte sich ab und ließ die Königin stehen. Diese warf ihrem Ehemann einen hilfesuchenden Blick zu. Veli zuckte nur mit den Schultern. Das konnte sie schön selbst mit ihm ausdiskutieren. Sein Sohn würde sich nie für eine Vampirin entscheiden. Was auch immer das Band zwischen ihm und dem Mädchen ausgelöst hatte, es war zu stark. Eine andere Gefährtin würde ihn nur unglücklich machen.
Der König ließ den Raum hinter sich und folgte Romanu nach draußen. Wie üblich zog es seinen Sohn in den Stall, wo er seinen Hengst striegelte. „Deine Mutter meint es nicht böse."
„Ich weiß. Ich kann Sina einfach nicht vergessen." Der Prinz seufzte und fuhr seinem Pferd mit der Hand durch die Mähne. Gedankenverloren entwirrte er die Strähnen.
„Sina also." Veli strich sich über seinen Bart. „Du hast mir nie zuvor ihren Namen verraten."
„Ich wollte sie schützen. Ich dachte, wenn du ihren Namen kennst ..." Er brach ab, seine Miene verschlossen. In seinen Augen glitzerte es verräterisch.
„Du dachtest, ich würde sie suchen lassen, weil du dich mit ihr verbunden fühlst. Ist es nicht so, mein Sohn?" Der König erhielt nur ein Seufzen zur Antwort. „Ich erwarte nicht von dir, dass du dir auf der Feier eine Gefährtin suchst, mein Sohn." Veli lehnte sich an die Holzwand, die die Box von der nächsten trennte.
„Was erwartest du dann von mir, Vater?" Romanu wandte sich von seinem Hengst ab, sah den König unverwandt an. Unsicherheit schimmerte in seinen Augen. Für einen Moment war er wieder der kleine Junge, der sich vor den Vedma fürchtete. Der sich unter dem Bett oder in einem Schrank versteckte, damit ihn die Schrecken seiner Träume nicht aufspürten. Das sensible Kind, das einige Jahre später immer wieder im Stall auf den Heuboden kletterte, um sich davon zu überzeugen, dass es den Welpen der Stallkatzen an nichts fehlte. Das noch etwas später ein schwächliches Fohlen mit der Flasche aufzog, weil die Mutterstute zu wenig Milch produzierte, sowohl die Katzen als das Pferd waren ihm treu ergeben. Würde es auch so bei dem Mädchen sein?
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Vedma
VampirAls Sina auf der Flucht vor den Wachen des Fürsten ihrer Heimat in ein fremdes Land eindringt, ahnt sie noch nicht, welche düsteren Gestalten dort leben. Rasch findet sie heraus, dass es die Monster aus den Erzählungen der Dorfältesten sind. Wenn d...