Kapitel 16

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Die Hufe der Pferde klapperten unheilvoll auf der Zugbrücke. Sina zog Romanus Umhang enger um ihren zitternden Körper. Führte man sie sofort zum König oder wurde ihre Bestrafung aufgeschoben?

Auf dem Innenhof herrschte beklemmende Stille. Außer den Wachposten beim Tor schien niemand wach zu sein. Doch das konnte leicht täuschen. Vor vielen Jahrhunderten hatten die Spitzzähne bei Tag geruht und in der Nacht gejagt. Erst als sie sich Königstitel gaben und auf ein höfisches Leben Wert legten, änderte sich ihr Rhythmus. Sie passten sich an das Sonnenlicht an. Gleichzeitig blieben ihre Sinne, die vor allem in der Dunkelheit hervorragend funktionierten, ausgezeichnet.

„Romanu, bitte", wisperte sie. Ihr Blick huschte zu dem älteren Wächter, der aus dem Sattel sprang und auf sie zulief.

„Ich bringe sie erst einmal in eine Zelle, damit sie nicht erneut wegläuft." Er packte Sina am Arm, die sich mit einem leisen Seufzen vom Pferderücken gleiten ließ. Zumindest brauchte sie nicht sofort dem König Rede und Antwort stehen. Ergeben stolperte sie dem Vampir hinterher, mit einer Hand den Umhang vor ihrem Körper verschlossen haltend. Hoffentlich ließ Romanu sich etwas einfallen. Sie seufzte. Er war viel zu sehr damit beschäftigt, dass seine Tarnung nicht aufflog. Taran? Er riss gern Witze und schien sie beruhigen zu wollen, aber ihr zur Flucht verhelfen? Wohl kaum. Blieben Hermanus und Fabiu. Doch wären Vater und Sohn dazu bereit, ihr komfortables Leben für sie aufzugeben? Unwahrscheinlich. Ergo blieb ihr nichts anderes übrig, als sich selbst etwas einfallen zu lassen. Gelang ihr das nicht, lebte sie nicht mehr lange. Oder ewig angekettet.

„Was machen wir jetzt mit dir?" Der Wächter brummte wie ein mürrischer Bär, den man aus dem Winterschlaf geweckt hatte. „Es fällt auch negativ auf die Wachposten zurück, wenn du immer neue Fluchtversuche unternimmst. Das muss aufhören", knurrte er weiter. „Ha, ich hab's."

Der Vampir zerrte sie einen Gang entlang, dann eine Vielzahl von Treppen nach unten ins Verlies. Die steinernen Stufen schienen kein Ende zu nehmen. Sinas Beine, müde von der Flucht, drohten unter ihr nachzugeben. Die Muskeln in ihren Waden krampften und ihre Knie schmerzten bei jeder weiteren Treppenstufe. Erst vor einer mit Eisen beschlagenen Holztür auf der untersten Kellerebene hielt er an. Er holte den Schlüssel, der neben der Tür an einem Nagel an der Wand hing, und drehte ihn im Schloss. Ein leises Klicken, dann zog er am Türgriff. Sie öffnete sich zum Gang, wie Sina nüchtern zur Kenntnis nahm. Somit bot sie einem Gefangenen keine Möglichkeit, sich in der Nische zu verstecken, um einen Wärter zu überrumpeln. Nicht, dass die Eingesperrten in diesem Fall dazu in der Lage wären. Fünf oder mehr Männer hingen in der von den Fackeln im Gang spärlich beschienenen Zelle kopfüber von der Decke.

„Schau genau hin." Der Vampir schob Sina in den Raum, leuchtete ihn mit einer Laterne aus, damit sie das Grauen in Augenschein nahm.

Ihr Atem stockte, als sie die Szene betrachtete und die Absicht, die dahinter steckte, verstand. Um die Knöchel der Gefangenen hatte man schwere Eisenketten geschlungen, die durch Ringe an der Decke gezogen und an den Wänden befestigt waren. Die Arme der Männer hingen schlaff nach unten. Die Hemden hatte man ihnen ausgezogen oder von den Leibern gerissen. Vermutlich Letzteres. Am Boden unter den Menschen standen Eimer, in die eine rote Flüssigkeit tropfte, die aus den Handgelenken der Gefangenen quoll. Der metallische Geruch des Blutes lag schwer in der Luft. Sina schlug eine Hand vor ihr Gesicht und bedeckte ihre Nase. Sie taumelte rückwärts, gegen den Vampir, der leise auflachte.

„Das sind unsere freiwilligen Blutspender." Seine Stimme war voller Hohn. „Sie alle haben den König verärgert. Sklaven wie sie werden für einige Stunden kopfüber aufgehangen und ihr Blut gesammelt, bis sie durch ausgeruhte Männer ersetzt werden. Schließlich wollen wir etwas länger von ihnen haben. Bei der Anzahl an Vampire, die auf der Burg leben, benötigen wir viel Menschenblut. Diese sollten jetzt ausgetauscht werden, sonst machen sie es nicht mehr lange", fügte er mit einem Seitenblick auf die Bewusstlosen hinzu. Er rief in den Gang hinein, nach einem anderen Wachmann. Dieser schaute kurz in die Zelle, dann huschte er davon.

VedmaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt