Kapitel 15

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Immer weiter kroch sie von der verhassten Burg weg. Kurz vor dem Waldrand hielt sie inne. Zwischen dem Feld und der ersten Reihe Bäume erstreckte sich ein breiter Grünstreifen, dessen Gras nur halb so hoch wie die Ähren wuchs. Sie würde sich wie eine Schlange hindurchschlängeln müssen, um den Blicken der Spitzzähne zu entgehen.

Quälend langsam ging es voran. Sina sehnte sich danach, endlich im Schatten des Waldes unterzutauchen, bevor das Dunkel der Nacht alles verschluckte. Misstrauisch sah sie sich zum düsteren, in den Himmel aufragenden Steinkoloss um. Die Abenddämmerung tauchte die Landschaft in ein sanftes orangenes Licht. Nur die Burg erschien ihr noch drohender und unheilvoller als bei ihrer Ankunft.

Weil Romanu nicht bei ihr war und sie beschützte.

Schnell verscheuchte sie den Gedanken an den jungen Vampir, der ihr versprochen hatte, immer für sie da zu sein. Doch wo war er, als der Prinz sie für ihren Fluchtversuch schlug? Wo, als der Mann ihr auflauerte und sie hoch in die Turmkammer scheuchte?

Noch einmal sah sie sich um, dann hechtete sie hinter einen breiten Stamm. Dort sank sie auf eine dicke Baumwurzel. In welche Richtung war die Patrouille am Mittag aufgebrochen, nachdem sie dem König wegen eines Zwischenfalles, bei dem Taran verletzt worden war, Meldung erstattet hatten? Wenn sie ihnen jetzt in die Arme lief, war ihr Leben verwirkt.

Ein Geräusch ließ sie aufhorchen. Ein Pferd wieherte. Sie richtete sich hinter dem Baum auf und linste in die Richtung, aus der sie das Tier gehört hatte. Die Vampire um Hermanus näherten sich der Burg, aus dem Osten kommend. Sie dagegen hielt sich südlich des Bollwerks auf. Solange sie sich still verhielt, würden die Heimkehrer sie nicht bemerken. Danach stand einer erfolgreichen Flucht nichts mehr im Wege.

Erst als die Patrouille aus ihrer Sicht verschwunden war, regte sie sich. Leichtfüßig lief sie tiefer in den Wald hinein, stetig lauschend nach Verfolgern oder Personen, die sich möglicherweise aus einem anderen Grund hier draußen aufhielten. Außer den üblichen Geräuschen der Waldbewohner war es still. Je weiter sie sich von den Spitzzähnen entfernte, desto mehr fiel die Angst verfolgt zu werden von ihr ab. Während der Nacht würde sie einen ordentlichen Vorsprung gewinnen. Bis man ihre Flucht bemerkte, war sie hoffentlich weit weg.

Immer schneller verschwand das Licht des Tages - und mit ihm die tagaktiven Tiere. Der Mond schien nur spärlich durch das Blätterwerk, doch ihr reichte es, um sicher einen Fuß vor den anderen zu setzen. Das Plätschern eines Baches lockte sie von ihrem Weg. Erleichtert zog sie ihre Kleidung aus und tauchte ins saubere Nass. Mit Sand vom Boden des Wasserlaufs schrubbte sie ihre Haut, bis diese brannte. Haare und Kopfhaut erhielten eine ähnliche Behandlung. Danach wusch sie gründlich Kleid und Schuhe, bevor sie dem Blick auf den Bachlauf richtete. Wenn sie ihm einige Zeit in östlicher Richtung folgte, erschwerte sie möglichen Verfolgern, ihrer Fährte zu folgen. Das Wasser würde Fußabdrücke bis zum Tagesanbruch längst hinweggespült haben.

Der kalte Wind strich über ihre nackte Haut und zerrte an ihren nassen Haaren, die ihr am Rücken klebten. Das Gehen im Bach wurde mühseliger, ließ das eisige Gewässer ihre Füße frieren und schmerzen. Dennoch kämpfte sie sich vorwärts, bis sie im fahlen Mondlicht einige Felsen am Ufer entdeckte. Sie kletterte hinauf, betrachtete aufmerksam das Land, das dahinter lag. Dichtes Moos bedeckte den Boden. Sina lächelte zufrieden. Es würde sich schneller erholen und weniger preisgeben als Gras, das unter ihren Schritten abknickte.

Sie rutschte vom Felsbrocken. Erleichtert atmete sie aus, als ihre müden Fußsohlen den weichen Untergrund berührten. Nach dem kalten Wasser fühlte er sich fast warm an. Sina schloss für einen Moment die Augen, um den Dorfältesten für das harte Training zu danken. Ganz so, wie sie es gelernt hatte. Nur ihrer Unnachgiebigkeit war es zu verdanken, dass die Flucht ihr nur wie eine weitere Übung vorkam.

VedmaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt