Die Tage nach dem Überfall blieb Hermanus auf der Burg. Ständig wurde er zu Besprechungen beim König gerufen, damit er ihm von den Fortschritten der Auszubildenden berichtete, oder um zusammen mit anderen Amtsträgern die bevorstehende Feier zu planen. Jedes Detail wurde zigmal besprochen, nichts durfte dem Zufall überlassen werden. Doch immerhin erhielt er so Zugang zu den Listen mit den eingeladenen Gästen. Oder derer, die ihr Kommen angekündigt hatten. Dieses Wissen teilte er schließlich mit Sina und Fabiu bei einem letzten Ausritt am Tag vor dem Fest.
„Für Romanu und Taran hat sich niemand angemeldet", fing er an. Sina nickte. Es bestätigte ihr Gefühl, dass es sich bei beiden um Prinzen oder zumindest um Adelssöhne aus hohen Familien handelte, die ihre Kinder normalerweise nicht in ein fremdes Land schickten. Kämen sie zur Feier, könnte es einen Aufruhr geben. Der Vorwurf von Spionage wäre noch das kleinere Übel.
„Zu Razvan kommen allerdings fünf Personen. Alles Männer." Seine Miene verfinsterte sich dabei. Sina zog die Nase kraus. Das war ungewöhnlich, wenn sie den Erzählungen der Vampire Glauben schenken wollte. Es hörte sich nicht so an, als ob die Gäste alles Familienmitglieder von ihm waren.
„Also müssen wir wachsam sein", stellte Fabiu nüchtern fest. Seine Haltung hatte sich in den vergangenen Tagen geändert. Anstelle des sanften Heilers benahm er sich wie ein erfahrener Soldat. Oder wie ein Krieger ihres Volkes. Taran und Romanu hatten sich ebenfalls verändert. Nur hatte es bei ihnen schon eher eingesetzt. Ersterer war selten noch der Witzbold, als den sie ihn kennengelernt hatte, während Zweiterer nicht mehr so klammerte und jeden verscheuchte, der in ihre Nähe kam. Wobei Letzteres auf ausführliche Gespräche mit Hermanus zurückzuführen war.
„Romanu und Taran werden vermutlich dicht beieinanderbleiben." Seit dem ersten Training, bei dem Sina sich verstecken sollte, traten die Vampire fast ausschließlich im Doppelpack an. Einer hielt dem anderen den Rücken frei. Zwei Brüder, durch ein Geheimnis miteinander verbunden. Es nahm beiden Männern eine Last von den Schultern und schmiedete ein Bündnis für die Zeiten, die ihnen bevorstanden. Ihre Freundschaft würde nie enden, davon war Sina überzeugt.
„Was ist mit mir? An wen soll ich mich halten?", wandte sie sich nun an Hermanus. Sich an ihn zu klammern wie ein Tierkind an seine Mutter, wäre in einem Saal voller adliger Vampire unpassend, wenn nicht sogar verwunderlich. Damit zog sie nur die Aufmerksamkeit, derer sie entgehen wollte, auf sich. Sie seufzte. In einigen Tagen würden sie zu dritt die Burg verlassen, ihr hoffentlich für immer den Rücken zukehren.
„Ich würde dich zwar gern an meiner oder an Fabius Seite wissen, doch bei Taran und Romanu wärst du besser aufgehoben." Hermanus strich sich übers Kinn, den Blick in die Ferne gerichtet. „Sie werden ohne Anweisung auf dich aufpassen. Erst recht, da keine Gäste für sie erwartet werden."
„Soll ich Razvan im Auge behalten, Vater?" Fabiu kratzte sich am Nacken. „Die planen etwas. Das gefällt mir nicht."
„Ohne Beweise können wir nichts machen. Wenn, dann haben sie es auf Taran abgesehen, oder," er warf Sina einen beunruhigten Blick zu, „auf dich."
„Vielleicht auf uns beide." Sie knabberte an ihrer Lippe. „Die Angreifer haben damals versucht, ihn lebendig in die Hände zu bekommen. Das tut man nur, wenn man den Gefangenen als Druckmittel benutzen will."
„Und der andere Fremde wusste, was du bist. Vater, kann Sina nicht in der Unterkunft oder bei Garak in der Küche bleiben, bis die Feier vorbei ist?"
Hermanus schüttelte abweisend den Kopf. „Der König erwartet, dass sie anwesend ist. Er will wissen, was aus dem Mädchen geworden ist, das versucht hat zu fliehen, doch freiwillig beim Wachtrupp bleibt. Obwohl sie dort unzählige Möglichkeiten zur Flucht hatte."
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Vedma
VampireAls Sina auf der Flucht vor den Wachen des Fürsten ihrer Heimat in ein fremdes Land eindringt, ahnt sie noch nicht, welche düsteren Gestalten dort leben. Rasch findet sie heraus, dass es die Monster aus den Erzählungen der Dorfältesten sind. Wenn d...