Chapter Twenty-Nine

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Ferox

Die vereinten Hände von Helena und Harrison, die ein überraschend zärtliches Bild ergeben, verschwimmen vor meinem inneren Auge. Und erschaffen eine Erinnerung, die aus einem anderen Leben stammt. Wo eine kleine glückliche Familie in einem Haus lebte und die Eltern glücklich zusammen waren. Wo meine Mum, mein Dad so angesehen hat wie Harrison.

„Ferox. Ferox!" Die Rufe meiner Mum ertönen dumpf durch meine Kopfhörer. „Ja?", rufe ich zurück, wobei ich die Kopfhörer abnehme und mein Programm auf dem Computer pausiere. „Es gibt Essen, holst du bitte deine Geschwister!" Ich seufze. Lieber würde ich weiter neue Beats ausprobieren, aber Familie geht schätze ich vor. Ich verlasse mein kleines Reich und gehe erst zu dem Zimmer meiner Schwester. „Raya", frage ich und klopfe gegen ihre Tür. Als keine Antwort ertönt, öffne ich die Tür und stecke mein Kopf ins Zimmer. Meine kleine Schwester sitzt auf ihrem Bett und schaut mit leuchtenden Augen hoch zum Fernsehen. Dort läuft ihre derzeitige Lieblingsserie ‚Soy Luna' und sie schwärmt die ganze Zeit von diese Jungen Simón , der zugegeben wirklich ganz süß ist. Doch bei ihr ist es einfach nur nervig. Typisch Geschwister eben.

„Wir essen, Raya", rufe ich, was sie beleidigt zu mir schauen lässt. „Aber Simon und Ámbar sind so süß!!" Ich verdrehe die Augen und lasse die Tür jetzt vollständig aufschwingen. „Die sind nach dem Essen immer noch süß." Sie gibt zwar Proteste von sich, aber pausiert die Serie, um mir zu folgen. „Jacky", flötet Raya und hopst aus dem Zimmer, um unseren kleinen Bruder zu holen. Sie stürmt wie ein aufgeregtes Huhn in sein Zimmer. Jackson, der jüngste von uns, sitzt auf seinem Bett, in seinem ekelhaft, aufgeräumten Zimmer und liest ein Buch. Sein Zimmer ist voll davon. Er hat sie sogar nach Genre und dem Alphabet sortiert. Dabei ist er nicht mal zehn.

„Nenn' mich nicht Jacky", murmelt er und legt feinsäuberlich ein Lesezeichen zwischen die Seiten. Er streicht seine platinblonden Haare aus der Stirn und folgt uns, ohne auch nur ein Blick in unsere Richtung zu werfen. Jackson ist immer so. So unnahbar, so weit weg von der Realität und somit auch kaum in Sichtweite für uns. Immer habe ich Hoffnungen, dass er vielleicht etwas mit uns machen will oder uns als seine Geschwister ansieht. Aber da kommt nichts, rein gar nichts. Für ihn sind wir wie Luft und das wiederum schnürt mir die Luft ab.

„Das seid ihr ja, heute gibt es Tapas", verkündet meine Mum und stellt einzelne Schlüsseln auf den Tisch. Jackson lächelt als er die Kleinigkeiten betrachtet und insgeheim weiß ich, dass Mum sich immer nur diese Mühe gibt, um ihn lächeln zu sehen. Auch ihnen fällt Jacksons kühle Art unglaublich schwer. „Was ist der Anlass?", frage ich trotzdem und setze mich auf mein Platz vor Kopf. Raya und Jack sitzen links und rechts von mir.

„Sarah kommt heute und sie hat eine erfreuliche Nachricht und wir auch", erzählt Dad und stellt Weingläser vor die anderen drei Teller. Darin füllt er jetzt eine rote Flüssigkeit, die meiner Meinung nach wie Gift riecht. Aber Sarah und Mum lieben es.
Ein Klingeln zerreißt die Stille und ich springe sofort auf. Kaum habe ich die Tür geöffnet, umarme ich meine Tante, die mir liebevoll den Kopf tätschelt.
„Hallo, Roxy", sie zwinkert mir verschwörerisch zu, als sie den Kosenamen flüstert.

Sie nennt mich schon seit ich denken kann so und ich fühle mich immer so befreit, wenn sie ihn sagt. So als könnte aus meiner Musik, die nur sie gehört hat, mehr werden. Als könnte ich andere damit erreichen. Ich strahle sie an. „Na komm", sie legt mir eine Hand auf den Rücken und schiebt mich zurück ins Esszimmer. „Es gibt einiges zu feiern." Sarah begrüßt ihre Schwester und Dad, während Raya, Jack und ich es uns auf unseren Stühlen bequem machen.
Meine Schwester macht große Augen bei dem ganzen Essen und zappelt die ganze Zeit herum.

Jack dagegen wirkt komplett ruhig, beinahe gelangweilt, nur sein sanfter Blick, lässt vermuten, dass er sich ebenso auf das Essen freut. Ich betrachte ihn, diese vertrauten Züge, aber den so fremden Menschen. Mein kleiner Bruder. So als ob er meinen Blick spürt, schaut er auf und diese blauen Augen sehen mich gleichgültig an. Er mag mein kleiner Bruder sein, aber wie so oft merke ich, dass ich noch nie ein großer Bruder für Jackson war.

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