Chapter Nine

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Ferox

Nach dieser Ankündigung, die ich immer noch nicht verdaut habe, vermutlich auch nie verdauen werde, bin ich kurz nach Vincent aus dem Saal geflüchtet. Sein ängstlicher, gebrochener Blick war so pur und echt, dass er mich in Gedanken noch immer verfolgt.

Noch nie.

Wirklich noch nie habe ich so ein Hass empfunden wie jetzt. Wenn ihr denkt ihr wisst wie Hass sich anfühlt, dann belügt ihr euch vermutlich selbst.

Hass ist Liebe in vielen Eigenschaften nämlich ähnlich. Er ist so unglaublich kraftvoll, verschlingend und schmerzt. Ja, wahrer Hass tut weh, er zerstört so viel gutes, trotzdem verwechselt man Hass und Liebe gerne.

Einfach, weil sie beide die gleiche Macht über dich besitzen können.

Und gerade bin ich kurz davor jemanden zu verprügeln. Alles. Ich habe alles getan, was sie wollten, um das zu vermeiden. Um zu vermeiden, dass sie Raya ihre Zukunft nehmen. Doch es hat nicht gebracht,...nichts.

Ein Hand in die Haare gekrallt gleite ich an der Wand in meinem Musikraum herunter. Mein wahrer Musikraum. Der von Roxy Jems. Mein Zufluchtsort in so vielen Situationen. Die Schlinge, die sich um mein Hals gelegt hat, zieht sich fester.

Dabei habe ich nicht mal ein Grund dafür. Immerhin wird nicht meine Zukunft zerstört, sondern die von meiner Schwester und....Vincent.

Ich kann nicht anders, als ihn in diesem Moment zu hassen. Dafür das er mich dazu gebracht ihn ein klein wenig zu mögen. Das ich dadurch ein potenziellen Freund in ihm gesehen habe. Ich weiß selbst, dass schwer wird, dass wieder abzuschütteln.

Denn ich darf ihn nicht mögen oder sollte es zumindest nicht.

Als Bruder wäre es meine Pflicht ihn von meiner Schwester fernzuhalten. Ich verbiete ihm sie glücklich machen. Er sollte sich nicht die Chance bekommen sie glücklich machen zu dürfen.

Doch das schlimmste von allem ist wahrscheinlich, dass er dass er es sehr wohl kann. Ich bin mir ziemlich sicher, dass er sie glücklich machen kann. Und das zerrt an mir mehr, als es sollte.

Seufzend lehne ich mein Kopf auf meine Knie. „Ich hasse es so abgrundtief...", flüstere ich in die Stille und versinke in einer Welle aus Selbstmitleid.

„Wenn ich nicht dein bester Freund wäre, würde ich dir jetzt eine scheuern!", zischt Cameron plötzlich neben mir und ich vergrabe mein Gesicht noch tiefer in meinen Armen. Ich höre ein kurzes Rascheln und dann wie sich Hände an meine Arme legen.

Mit einem Ruck werden sie mir von Cameron weggerissen. Ein Augenblick später legen sich Finger an mein Kinn und zwingen mich in seine dunklen Augen zu sehen. Mein Herz zieht sich zusammen, als ich die Enttäuschung in ihnen erkenne.

„Du hast deine Schwester dort komplett alleine gelassen", Cam flüstert es so leise als kann er es immer noch nicht wirklich glauben. Wenn ich so darüber nachdenke, dann kann ich es selbst nicht wirklich glauben.

Ich bin ein Heuchler von Bruder.

„Es-es tut mir leid", hauche ich und bin immer noch dem erbarmungslosen Blick von meinem besten Freund ausgeliefert. „Ja, mir auch", erwidert er nach einer Weile und verzieht gequält das Gesicht.

Ich weiß wie sehr es ihn belastet, dass er mich nicht, uns nicht vor allem beschützen kann. Manchmal fühlt es sich so an als ruft es bei ihm Erinnerungen an seine Vergangenheit hervor. Eine Vergangenheit, die alte Wunden wieder aufreißt, auf die hässlichste Weise.

„Nein", murmle ich und erlange somit Cams Aufmerksamkeit. „Das hier alles, ist nicht deine Schuld und du hast auch nicht die Aufgabe dich um meine Schwester zu kümmern. Das ist meine Aufgabe."

Sail Into My Arms Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt