# 4 - Dolchspitze

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- Celia -

Herrgott im Himmel!
Das darf doch alles nicht wahr sein!

Unter geräuschvollem Keuchen puste ich mir eine wirre Haarsträhne aus der Stirn und eile mit bis zu den Knöcheln hochgerafften Rockschößen durch die Gänge des schwankenden
Schiffes.

Ein Glück, dass Vater mich nicht in diesem misslichen Zustand zu Gesicht bekommt.
Ein derartig gehetztes Verhalten schickt sich schließlich nicht für eine Lady.

Aber anders ist es mir nun einmal nicht möglich, mit den beschwingten Schritten von Billy mitzuhalten, der sich ortskundig wie eine Schiffsratte durch die verschiedenen Gänge bewegt.
Vollkommen unberührt von den augenscheinlichen Mühen, die diese Hast dabei für mich bedeutet.

Dieser Knabe scheint wirklich keinerlei Erziehung genossen zu haben!
Genauso wie dieser Captain…diese…Bonnie…dies in der vergangenen Nacht über ihre Kinderstube kundgetan hat…

Himmel, bei was für Schuften und Vagabunden bin ich hier nur gelandet?!
Womit habe ich das nur verdient?!
Wahrlich, Hergott im Himmel!

Begleitet von wachsendem Ärger und Erschöpfung jauchze ich fast vor Freude auf, als Billy endlich vor einer unscheinbar wirkenden Tür Halt macht und diese, nach einem letzten versichernden Blick in meine Richtung, nach innen aufdrückt.

„Ahoy, Billyboy!“, dröhnt eine kräftige Stimme aus dem dahinter liegenden Raum hervor, dessen schallendes  Lachen mich zusammenzucken lässt, „da bist du ja! Wir dachten schon, du
verzichtest heute auf dein Mahl. Dabei braucht so ein schmaler Hering wie du doch jeden Bissen, den er abbekommt, nicht wahr?“

In das erneut erklingende Schallgelächter stimmt ein weiteres Lachen mit ein, welches jedoch um einiges besonnener und feiner klingt.

„Da hat Henry nicht ganz Unrecht, Billy“, erwidert die dazugehörende Männerstimme auf Billys schmollendes Augenrollen, wie es nur ein Junge seines Alters zustande bringt, „wo hast du dich denn wieder rumgetrieben?“

„Nirgendwo“, entgegnet Billy und lässt seine schmale Brust voller Stolz anschwellen, „ich habe eine sehr wichtige Aufgabe bekommen.“

„Hörst du das, Lewis? Unser Grünschnabel hat ne wichtige Aufgabe“, wiederholt die kräftige
Stimme und lacht ein weiteres Mal schmetternd auf, was Billy jedoch nicht von seiner sichtlich stolzen Haltung abbringt.

Für sein junges Alter ist er durchaus beharrlich, das muss man ihm lassen…

„Und was für eine Aufgabe soll das sein?“, fragt unterdessen die feine Stimme, welche scheinbar zu dem angesprochenen Lewis gehört, während der besagte Henry noch immer inbrünstig vor sich hin lacht.

Doch anstatt dem Fragenden auf seine Frage zu antworten, dreht Billy lediglich seinen Kopf in meine Richtung und bringt ihn erneut in eine schiefe Lage.

Soll das etwa eine an mich gerichtete Aufforderung sein, zu ihm zu kommen?
Also, wirklich…

Ich verziehe meine Lippen zu einem vor Missfallen gekräuselten Strich und ziehe pikiert eine Augenbraue in die Höhe.

„Hast du nen Krampf, Kurzer?“, höre ich derweil die schallende Stimme amüsiert fragen, was Billy wiederum nur seinen Lockenkopf schütteln lässt, wobei er meinen Blick jedoch ein wenig verwundert erwidert.

„Nein, aber ich sollte der Lady da was zu essen bringen und wusste nicht, was sie haben will“, entgegnet er schlicht und lehnt sich zu mir vor, um mich mit seinen dünnen Fingern am Handgelenk zu packen und mit einer verblüffenden Stärke neben sich zu ziehen.

Salzwasserküsse (Celia & Bonnie - Band 1)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt