- Celia -
Ich spüre den Blick von Gabes flaschengrünen Augen auf mir ruhen, als meine Finger mit geübten Griffen den Verbandsstoff um seinen Arm mit den mitunter tiefen Schnitten schlingen.
Schon bei der Säuberung seiner Wunden hat er mich durch seine aschblonden Strähnen mit diesem sonderbaren Blick bedacht.
Fast so, als befürchte er, ich könnte jederzeit einen Dolch hervorziehen und ihm noch weitere Verletzungen dieser Art zufügen.
Dabei läge mir keine Absicht ferner, zumal er doch wissen müsse, dass eine Lady aus meinen Kreisen keinesfalls für derartige Handlungen geschaffen ist.
Und dennoch begegnet Gabe mir mit einem Argwohn, welchen ich bislang nur von diesem zwielichtigen Morris erfahren habe…Mit einem beherzten Schnauben puste ich eine verlorene Haarsträhne aus meinem Blickfeld, wodurch sich der muskulöse Oberarm des jungen Mannes kurzweilig anspannt.
Seine Augen bleiben jedoch weiterhin starr auf mich gerichtet, so als wolle er meine verborgensten Gedanken und Absichten ergründen.Selbst bei unserer ersten Begegnung, als er mir im Frachtraum die Fesseln und den Knebel abgenommen hat, war sein Verhalten mir gegenüber nicht von solchem Misstrauen geprägt
gewesen.
Und zudem ist es doch auch er gewesen, der die Unterhaltung zwischen Roger und mir mit der Bitte, seine Wunden zu versorgen, unterbrochen hat.
Weshalb also sollte Gabe mich um einen solchen Gefallen bitten, wenn ihm meine Hilfe und meine Wenigkeit im Allgemeinen doch offenbar so sehr missfallen?
Es bleibt mir ein Rätsel…Ein ratloses Seufzen verlässt meine Lippen, wobei meine Stirn sich mehr und mehr in grüblerische Falten legt.
Ungeachtet seines abweisenden Verhaltens hätte Gabes Unterbrechung wohl kaum unpassender gewählt sein können.
Schließlich hat er mich damit um die Gelegenheit gebracht, Roger nach dem genauen Umstand fragen zu können, welchen er bezüglich Mutter bedauert hat.
Zumal es mir immer noch wie eine kuriose Wendung des Schicksals erscheint, dass Roger und Mutter sich kannten.
Und das scheinbar so gut, dass der alte Pirat sich nach all den Jahren nicht nur an ihr Aussehen, sondern auch an ihren vollständigen Namen erinnern kann...Aber weshalb?
Rührt dies wirklich einzig und allein von ihrer Begegnung in der besagten Taverne und dem einmaligen Eindruck, welchen Mutter damals auf Roger gemacht hat, her?
Oder steckt etwas anderes dahinter?
Ein weiteres Rätsel, dessen Lösung mir aus unerklärlichen Gründen ebenfalls verwehrt bleibt…Mit einem weiteren, fast schon ergebenen Seufzen befestige ich den Verband um Gabes Arm und zupfe ihn noch ein abschließendes Mal zurecht, ehe ich mit einem zufriedenen Nicken wieder aufsehe.
„So, das sollte vorerst genügen. Ich würde Ihnen allerdings auch raten, sich nach unserer Ankunft möglichst zeitnah medizinische Hilfe zu suchen. Mir fehlen hier an Bord leider die nötigen Mittel, um Ihre Verletzung vollständig versorgen zu können, wodurch es lediglich bei dieser spärlichen Behandlung bleibt.“
„Ich werde es schon überleben“, gibt Gabe mit einem knappen Brummen von sich, als er den Ärmel seines Hemdes wieder herunterkrempelt und damit nach und nach den von mir angelegten Verband unter dem weißen Leinenstoff begräbt.
Schweigend betrachte ich den jungen Mann mit dem wirren aschblonden Haar bei seinem Unterfangen und muss mich arg zügeln, um über sein an den Tag gelegtes Verhalten nicht mit dem Kopf zu schütteln.
Zumindest ein kurzer Dank wäre an dieser Stelle doch wohl mehr als angebracht gewesen…
Umso mehr erstaunt es mich, als Gabe, nachdem er seinen Hemdärmel vollständig heruntergekrempelt hat, wieder zurück zu mir schaut und seine flaschengrünen Augen mich
erneut durchdringend mustern.„Aber wo Ihr gerade von unserer Ankunft sprecht…Ihr gedenkt doch sicherlich „Safe Haven“ sobald wie möglich wieder zu verlassen und zu Eurer Familie zurückzukehren, oder
Miss Celia?“Unsicher, ob ich den Inhalt dieser, in meinen Augen, mehr als überflüssigen Fragestellung richtig vernommen habe, blinzle ich zunächst Gabe fragend an, bis ich schließlich langsam nicke.
„Selbstverständlich gedenke ich das zu tun, Gabe. Oder habe ich Ihnen gegenüber etwa einen anderen Eindruck erweckt?“
„Ich wollte mich lediglich versichern“, entgegnet der junge Steuermann schlicht und wirft mir noch einen letzten kryptischen Blick zu, ehe er sich von der Kiste, auf welcher er Platz genommen hatte, erhebt, und mit wenigen Schritten den Frachtraum verlässt.
Das zuschlagende Geräusch der Frachtraumtür erlöst mich aus meiner Starre der Verwirrung und ich blinzle erneut, bis ich schlussendlich kopfschüttelnd damit beginne, die von mir verwendeten Utensilien wieder zurück in die kleine Kiste zu legen, aus welcher ich diese zuvor entnommen habe.
Und dieses Verhalten wäre dann wohl das dritte Rätsel, auf welches ich vermutlich keine zufriedenstellende Antwort in naher Zukunft erhalten werde…
- Bonnie -
„Er ist…einfach verschwunden?“
„Aye“, erwidert Roger und nickt ernst, während ich meinem Bootsmann mit ungläubig gerunzelter Stirn begegne. „ich kann es mir auch nicht erklären, Bonnie. Aber nachdem Barron dich so unerwartet mit seinem Säbel verletzt hatte, haben seine Männer umgehend
damit begonnen, sich zurückzuziehen. Und das, obwohl sie uns trotz ihrer Verluste immer noch zahlreich überlegen waren und Barrons Schiff bei Weitem nicht so sehr durch den Angriff in Mitleidenschaft gezogen worden ist wie die „Groundhog“. Ein weiterer Grund, weshalb unser Kurs auf „Safe Haven“ einem Segen gleicht.“„Das ist wohl wahr“, murmle ich und senke gedankenverloren meinen Blick, während ich meine Hand abwesend über meine verbundene Schulter streichen lasse, „und ich stimme dir zu, alter Freund. Barron ist zwar ein einfältiger Selbstbeweihräucherer, aber selbst jemand wie er sollte in diesem Augenblick die Gunst der Stunde zur Kaperung erkannt haben. Und dass er dies eben nicht getan hat, bedeutet…“
„…dass er einen triftigen Grund dafür hatte, es nicht zu tun“, vollendet Roger meinen Satz und nickt erneut. „Und genau dieser Punkt bereitet mir seit vergangener Nacht Kopfzerbrechen, Bonnie. Denn ich kann mir beim besten Willen nicht erklären, worauf sich dieser besagte Grund belaufen könnte. Denn was auch immer es ist, es hat uns in der vergangenen Nacht das Leben gerettet. Es wäre für Barron ein leichtes gewesen, die „Groundhog“ zu kapern und uns alle nacheinander zu töten. Dich hätte er vielleicht noch
behelfsweise als Geisel genommen…“
„Glaub mir, eher lasse ich mich freiwillig an diese perückentragenden Teetrinker ausliefern, als den rattengesichtigen Eierkopf in diesen Genuss zu bringen“, knurre ich mit mürrisch verzerrtem Gesicht, bevor ich mit einer letzten Streichbewegung meine Hand wieder von meinem Schulterverband nehme, „haben die anderen ähnliche Bedenken wie du über die Ereignisse der vergangenen Nacht?“„Wenn sie diese haben sollten, haben sie diese mir gegenüber bislang nicht kundgetan“, entgegnet Roger und verschränkt mit nachdenklich verzogener Miene die Arme vor der Brust. „Aber ich vermute, dass die Gemütslage der Männer ohnehin ein wenig getrübt ist. Erst der missglückte Anlegeversuch in Havanna und dann dieser überstürzte Angriff von Barron…“
„Ja, ich weiß, was du meinst“, stimme ich ihm mit einem tiefen Seufzer zu und stemme eine Hand in meine Taille, „gerade die vergangene Nacht und die mitunter eingeschränkten
Kampffertigkeiten einzelner Männer werden erheblich an ihrem Stolz genagt haben.“„Gewiss, davon gehe ich auch aus“, erwidert Roger und ich ziehe eine Augenbraue in die Höhe, als ich mit einem Mal das sich anbahnende Schmunzeln auf dem Gesicht meines
Bootsmannes erblicke, „wie gut, dass man einem solchen Umstand Abhilfe schaffen kann.“„Abhilfe?“ Meine Augenbraue hebt sich noch etwas mehr. „Und was schwebt dir da genau vor?“
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Salzwasserküsse (Celia & Bonnie - Band 1)
Romance1696, irgendwo im Atlantischen Ozean, nahe der mittelamerikanischen Küste: Wir schreiben das goldene Zeitalter der Freibeuter und Piraten. Sehr zum Leidwesen der 21-jährigen Kaufmannstochter Celia, die bei der Kaperung des Handelsschiffs ihres Vat...