# 9 - Verdrängung

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- Celia -

Unerhört!
Schlicht und ergreifend unerhört!

Getrieben von schier unstillbarer Wut wandle ich durch den Frachtraum des schwankenden Schiffes wie eine Wildkatze in Gefangenschaft.
Rastlos und ohne ein verlässliches Gefühl von Zeit.
Und dennoch unermüdlich in ihrem Vorhaben, einen Ausweg zu finden, auch wenn dieser bereits zum Greifen nahe gewesen ist.
So nah und doch so unendlich fern…

Mit erbostem Schnauben verschränke ich die Arme vor der Brust und stapfe weiter über die knarrenden Holzplanken unter meinen Füßen.

Wie konnte ich dieser verkommenen Meute nur vertrauen?
Und wie konnte ich mich derart von ihren leeren Versprechungen blenden lassen?
Mir hätte doch bewusst sein müssen, dass mich dieses Gesindel aus Dieben und Söldnern niemals widerstandslos in Havanna von Bord gehen lassen würde.
Mich.
Eine Kaufmannstochter aus gutem Hause, von dessen Vater sich dieses Pack allem Anschein nach noch mehr Waren für ihre Freilassung erhofft.
Als wenn diese Halunken nicht schon genug erbeutet hätten…

Erbost lasse ich meinen Blick über die Unmengen an gestohlenen Kisten und Fässern gleiten und schüttle mit einem weiteren Schnauben den Kopf.

Ich hätte es besser wissen müssen.
Vater hat Cedric stets zur Vorsicht ermahnt und ihm gepredigt, wie überaus charmant und zuvorkommend solche Menschen sein können, um ihren zwielichtigen Charakter zu verbergen.
Wahrlich, ich hätte es besser wissen müssen.

Und dennoch habe ich mich von dem gastfreundlichen Auftreten dieser suspekten Crew umgarnen lassen und den trügerischen Worten dieser vermeintlichen Piratenprinzessin
Glauben geschenkt.
Den trügerischen Worten aus diesem lieblichen Mund und dem tiefen Blick aus diesen ozeanblauen Augen…

Meine Schritte büßen ein wenig von ihrer energischen Natur ein, als ich für einen flüchtigen Augenblick innehalte, ehe mich mein erneutes Kopfschütteln weiterschreiten lässt.

Die Gegenwart dieses gesellschaftlichen Abschaums ist alles andere als förderlich für meine geistige Gesundheit!
Noch nie zuvor haben solch unnatürliche Empfindungen meine Gedanken benebelt oder mich gar in ebendieser Weise agieren lassen!
Der Himmel allein weiß, was mich in besagtem Augenblick dazu bewegt hat, mich den plumpen Annährungen dieser sündigen Frau in der Kapitänskajüte hinzugeben!
Ihr und ihren…wundervollen…weichen…und kundigen Lippen…

Das zaghafte Klopfgeräusch lässt mich wie ertappt zur Holztür des Frachtraums herumfahren, ehe ich mich besinne und voller Erhabenheit mein Kinn anhebe.

„Ja, bitte?“, frage ich und stelle mit stiller Genugtuung fest, wie hervorragend die von mir beabsichtigte Überlegenheit dabei in meiner Stimme zur Geltung kommt.
Eine Überlegenheit, die jedoch mitsamt meiner Beine arg ins Wanken gerät, als sich die Tür des Frachtraums nach innen öffnet und der Captain im hölzernen Rahmen erscheint…

- Bonnie -

„Darf ich eintreten?“

Ich bemühe mich, meine Stimme möglichst besonnen klingen zu lassen.
Zum einen, um die verachtenden Züge von Miss Celias Gesicht nicht noch mehr zu verhärten.
Und zum anderen, um das wohlige Ziehen zwischen meinen Beinen im Zaum zu halten, als mein Blick an dem Dekolleté der jungen Lady verweilt, welches durch ihre vor der Brust verschränkten Arme vortrefflich betont wird.

Es scheint fast so, als wäre sie sich gar nicht über die Präsenz oder gar den Einfluss ihrer mehr als verlockenden Reize bewusst.
Aber in Anbetracht der prüden Lebensweise ihres Elternhauses ist dieser Umstand nicht allzu verwunderlich…

„Ich hätte doch wohl kaum etwas auf Eurer Klopfen erwidert, wenn mir dies missfallen würde, nicht wahr?“, entgegnet die junge Lady unterdessen, wobei ihre Stimme von höhnendem Spott gezeichnet ist.
Auch wenn ich glaube, ebenfalls ein leichtes Zittern darin wahrnehmen zu können, wenngleich dies aber auch meiner Einbildung geschuldet sein könnte.

Salzwasserküsse (Celia & Bonnie - Band 1)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt