# 37 - Zu neuen Ufern

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- Celia -

Eine flüchtige Berührung an meinem Handgelenk lässt mich aus den wirren Tiefen meiner Träume hochschrecken und es bedarf einiger Augenblicke der Besinnung, ehe ich das sorgenerfüllte Gesicht von Kathryn erkenne, die sich in leicht vorgelehnter Haltung über mich gebeugt hat.

„Ich bin es nur“, sagt sie leise und bedenkt mich mit einem zarten Lächeln, bevor sie erneut ihre Finger um meine Fesseln schließt und mit ihrem Vorhaben, diese von meinen Gelenken zu lösen, fortfährt.

Geschickt zwängen sich ihre Fingerspitzen zwischen die fest verknoteten Seilschnüre, während ich die leicht geschwollene Kopfseite der erfahrenen Heilerin betrachte.

Hätten Kathryn die Schläge, welche sie von diesen grobschlächtigen Kreaturen erfahren hat, an einer etwas höher liegenden Stelle an ihrem Kopf getroffen, wäre dies gewiss ihr Todesurteil gewesen…so…so wie die Dolchstiche von Morris auch gewiss Rogers Todesurteil gewesen sind…

Bilder der vergangenen nächtlichen Geschehnisse flackern vor meinen Augen auf und entlocken mir ein durch den Knebel gedämpftes  Wimmern, was Kathryn wiederum noch energischer an meinen Fesseln zerren lässt.

„Sei unbesorgt, gleich bist du frei“, sagt sie und zieht ein letztes Mal an den nunmehr gelockerten Seilschnüren, ehe sie diese von meinen geröteten und mitunter aufgeschürften Handgelenken zerrt und mit ihren Händen weiter hinab zu den Fesseln an meinen Fußgelenken wandert, während ich mir den knebelartigen Lumpen eiligst aus dem Mund zerre.

„D-Danke…“, bringe ich schwach und unter leichtem Würgen hervor, wobei ich mich in halbliegender Haltung mit meinen Unterarmen auf den Holzplankenboden stütze und einige
Male mit einer meiner Hände über meinen speichelumrandeten Mund fahre.

Ich kann mich nicht entsinnen, mich jemals zuvor so elend gefühlt zu haben…
Der faulige Fischgeschmack des Lumpens entlockt mir ein weiteres Würgen und meine Glieder schmerzen derart, dass ich es kaum vermag, mich weiter aufzurichten.
Lediglich die Anwesenheit von Kathryn scheint eine wie auch immer geartete Form der Ruhe auf mich auszustrahlen…

„Ich bitte dich, dafür musst du mir doch nicht danken“, entgegnet diese unterdessen, als sie nun auch die Seilschnüre von meinen Fußgelenken gelöst hat und für einen flüchtigen
Augenblick mit beinahe mütterlicher Fürsorge darüber streicht, ehe sie sich besinnt und ihre smaragdgrünen Augen mit einem Blinzeln wieder zu mir wandern lässt, „ich…ich wäre dir
aber durchaus verbunden, wenn du mir erklären könntest, was geschehen ist. Ich erinnere mich lediglich noch daran, wie ich dir zugerufen habe, dass du weglaufen sollst und danach…ist alles…recht…wirr…und diese unsäglichen Schmerzen tragen nicht gerade dazu bei, dass meine Erinnerung…au!“

„Geben Sie Acht!“ Mit einem verbissenen Stöhnen richte ich mich und meinen schmerzenden Körper etwas mehr auf und krieche, noch immer ein wenig geschwächt, zu Kathryn hinüber, die sich zaghaft mit zwei ihrer Finger über ihre leicht angeschwollene Kopfseite gestrichen hat. „Sie scheinen einen beachtlichen Schlag gegen ihren Kopf eingebüßt zu haben. Ist Ihnen übel? Oder schwindelig? Oder sehen Sie mich vielleicht verschwommen?“

Ein wenig unverwandt blinzelt Kathryn mich an, ehe sie mit einem kaum merklichen Räuspern ihren Kopf schüttelt.
„Nein…ähm…“, beginnt sie und räuspert sich erneut, während sich die Finger ihrer einen Hand beinahe abwesend um das silberne Medaillon vor ihrer Brust schließen, „nein, ich habe glücklicherweise keine dieser von dir genannten Beschwerden...aber was ist mit dir? Fühlst du dich unwohl oder…“

Kathryns weitere Worte verklingen, als das knirschende Geräusch eines aufschließenden Schlosses ertönt und nur wenige Herzschläge später die hölzerne Tür der engen Kammer nach
innen aufgestoßen wird.

Salzwasserküsse (Celia & Bonnie - Band 1)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt