# 30 - Abendrot

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- Celia -

Schweigend beobachte ich durch die angelaufene Glasscheibe meines Zimmerfensters, wie die goldenen Strahlen der untergehenden Sonne die Dächer der wegsäumenden Hütten und Häuser vor der Taverne in ein güldenes Licht tauchen.
Ebenso werfen die auf dem Weg verbliebenen Menschen…Frauen und Männer gleichwohl wie Kinder...welche bislang noch nicht in die Taverne oder in eine der anderen Behausungen getreten sind, immer längere Schatten, wodurch sich der zur Neige gehende Tag ebenfalls
verrät.
Doch selbst diese paradiesgleiche Erscheinung vermag es nicht, das noch immer beengende Gefühl in meiner Brust zu bessern oder gar zu verdrängen.
Leider…

Ich seufze tief und lege meine Hand flach auf die Stelle meiner Brust, an welcher ich diese zuschnürende Enge verspüre, die mir mehr und mehr das Atmen erschwert.
Ein Umstand, welcher seit dem Betreten dieses Zimmers anhält, nachdem ich zuvor unter den Blicken von Marisa und…dem Captain…mit eiligen Schritten die Kleiderkammer verlassen habe…grundgütiger…

Mein flüchtiger Gedanke an den Captain genügt vollkommen, um meinen Atem noch beschwerlicher werden zu lassen und ich schließe meine Augen, in der stillen Hoffnung dem elenden Hindernis auf diese Weise entgegenwirken zu können.
Eine Handlung, welche jedoch bloß zur Folge hat, dass sich erneut die Erinnerung an den stürmischen Kuss, mit welchem Marisa den Captain begrüßt hat, vor meinem inneren Auge abspielt.

Hergott, es kann doch nicht möglich sein, dass mich der Kuss zwischen Marisa und dem Captain so arg erschüttert hat!
Vielmehr hätte ich doch mit einem ebensolchen Verhalten rechnen müssen, wenn man bedenkt, dass ich mich in einer Gemeinschaft von gottlosen Söldnern und räuberischen
Halunken befinde!
Nein, es hätte mich wahrlich nicht derart erschüttern dürfen!

Genauso wenig wie die verlogenen Worte und Handlungen des Captains, mit welchen sie mich in den vergangenen Tagen geblendet und narrengleich handeln lassen hat…

Das zusammenziehende Stichgefühl über diesen Gedanken überschattet einen Augenblick lang die Schwere meines Atems und entlockt mir ein ersticktes Schluchzen, welches ich
jedoch sogleich in ein kräftiges Räuspern wandle.

Ein Glück haben weder Cedric noch Vater mich auf diese befremdliche Art agieren sehen, für die einzig und allein diese absonderliche Gefühlslage verantwortlich ist, in welche mich der Captain mit ihren obskuren Andeutungen gebracht hat.
Es ist wahrlich an der Zeit, dass ich alsbald nach Hause gelange…

- Bonnie -

„Hier steckst du…“ Ich muss mich nicht umdrehen, um zu erkennen, dass die Stimme und die dazugehörigen Schritte in dem knirschenden Sand hinter mir zu Roger gehören. „Ich habe schon überall nach dir gesucht…“

„Und nun hast du mich gefunden“, entgegne ich, ohne meinen Blick von der untergehenden Sonne abzuwenden, die mit steter Trägheit hinter dem Horizont verschwindet.
Wenn man es nicht wüsste, würde man vermutlich annehmen, dass sie in den tiefsten Tiefen des Meeres versinkt, bis sie sich am nächsten Tag vollkommen unberührt wieder daraus erhebt…

„Das habe ich in der Tat“, erwidert Roger und gibt ein verhaltenes Lachen von sich, als er neben mich tritt und seinen Blick ebenfalls über den Ozean schweifen lässt, der sich vor uns am äußersten Klippenrand von „Safe Haven“ erstreckt, „auch wenn ich mir meine Suche sicherlich erleichtert hätte, wenn ich gleich zu dieser Stelle gegangen wäre. Oder ist dies etwa nicht mehr dein liebster Ort auf der Insel?“

„Dein Gedächtnis täuscht dich nicht, alter Mann“, erwidere ich und hebe meine Mundwinkel zu einem knappen, aber aufrichtigen Lächeln, ehe ich meine Augen wieder über die
funkelnden Weiten des schier endlosen Salzwassers gleiten lasse.

Salzwasserküsse (Celia & Bonnie - Band 1)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt