# 10 - Der Angriff

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- Celia -

„Zum Teufel nochmal!“, höre ich den Captain neben mir fluchen, als sie sich vom Boden aufrappelt und in stehender Position mit beiden Händen über ihre braunen Leinenhose klopft. „Wer auch immer das war, ich werde ihn eigenhändig mit dem Kopf voraus am Hauptmast
aufhängen!“

Ich schlucke.
Wenn auch weniger über die Drohung als vielmehr über den Anblick, welcher sich mir bietet, als ich auf dem Boden kniend zu der jungen Piratenprinzessin empor blicke.

Wie ist es möglich, dass eine Frau ihres Alters ein derart herrschaftliches und Ehrfurcht gebietendes Erscheinungsbild abgeben kann?

Der schneidige Ausdruck ihres betörenden Gesichts.
Der verkniffene Zug um ihre lieblichen Lippen.
Und das entschlossene Funkeln ihrer bezaubernden…mandelförmigen…ozeanblauen Augen.

So stark…so couragiert…so…

Himmel!
Was in Gottes Namen denke ich da nur?!

Bemüht, mich von meinem stolpernden Herzklopfen nicht in Unruhe versetzen zu lassen, erhebe ich mich ebenfalls von den knarrenden Holzplanken und streiche so würdevoll wie möglich über den Stoff meines Kleides.

Haltung und Contenance, Celia.
Lass dich nicht beirren und erinnere dich stets an Miss Fitzgeralds Worte.
Haltung und Contenance…

„Diese rattengesichtigen Bastarde!“

Der ungehemmte Ausruf des Captains lässt mich erschrocken zusammenfahren, als die junge Frau nach einem Blick durch das kleine runde Fenster an mir vorbeirauscht.

„Wartet!“, rufe ich ihr nach, wodurch sie mit einem verärgerten Schnauben und verbissenem Blick an der Tür des Frachtraums Halt macht, „was…was ist denn geschehen?“

„Wir werden angegriffen.“

„A-Angegriffen?!“

„Ja“, entgegnet die Piratenprinzessin auf meine gestammelte Frage hin und drückt die quietschende Klinke der Frachtraumtür mit einem weiteren Schnauben herunter, „und damit Ihr auf keine dummen Gedanken kommt oder meinen Männern im Weg steht, bleibt Ihr hier unten, verstanden?!"

„Hier unten?!“, stoße ich voller Entsetzen hervor und starre die junge Frau aus weit aufgerissenen Augen an, „aber…aber was ist wenn…wenn…“

Doch anstatt meinem Protest auch nur einen Funken von Beachtung zu schenken, zieht der Captain die Tür mit einem energischen Ruck auf und lässt sie ebenso geräuschvoll wieder
hinter sich ins Schloss fallen.

Ich seufze tief und hoffe im Stillen, so das beengende Gefühl in meiner Brust möglichst im Zaum halten zu können, als mich ein leises Klickgeräusch aufhorchen lässt.

Das glaube ich nicht!
Sie…sie hat mich eingeschlossen!

- Bonnie -

„Zum gottverdammten Teufel nochmal!“, fluche ich lautstark, als mich ein weiteres heftiges Schwanken meines Schiffes samt dem dazu gehörigen ohrenbetäubenden Knall zu Boden reißt und ein scharfes Brennen meine Gesichtszüge verhärten lässt.

Hervorragend…
Ein Umstand, der mir in dieser misslichen Lage gerade noch gefehlt hat…

Mit schmerzerfülltem Schnauben begutachte ich die durch den Sturz aufgeschürfte Haut an meinen Handflächen, ehe ich mich wieder aufrapple und den langen Gang unter beachtlichem Schwanken weiter zur Treppe hinüber stolpere, während sich über mir das Gebrüll meiner Männer an Deck mit dem immer lauter werdenden Säbelklirren mischt.

Wie konnte dies nur geschehen?!
Wie konnten sie uns nur folgen?!
Wir haben doch gleich beigedreht, als wir sie im Hafen von Havanna erblickt haben!
Sie hätten uns doch überhaupt nicht bemerken dürfen!
Und wenn doch, hätten wir sie bemerken müssen, als sie uns gefolgt sind!
Warum haben wir es also nicht getan?!
Das ist doch unmöglich!

Ein erschütterndes Schwanken lässt mich am Fuß der hölzernen Treppe erneut taumeln und das splitternde Geräusch von Holz schrillt  unangenehm in meinen Ohren.

Verflucht!
Wenn diese eiterbeuligen Dirnensprosse uns noch länger beschießen, hat die „Groundhog“ bald mehr Löcher als Henry’s rattenzerfressenster Käse!

Getrieben von diesem Gedanken, welcher mein Gesicht und mein Herz gleichermaßen mit Wut erfüllt, stampfe ich die Stufen der Treppe empor.

Ich bringe sie um!
Jede einzelne dieser widerwärtigen Bilgenratten!
Ich bringe sie alle um!

Der Knall, mit welchem ich die Tür am oberen Satz der Treppe aufstoße, geht in dem tosenden Trubel fast vollkommen unter und ich schnaube erbost über die Szenerie, welche sich vor meinen Augen abspielt.

Obwohl bislang keiner der leblosen und blutüberströmten Körper auf dem Holzboden des Decks einem meiner Männer gehört, vernehme ich mehr als deutlich ihr erschöpftes
Schnaufen, welches zweifellos der beachtlichen Überzahl der Angreifer geschuldet ist.

Besonders Roger und Andrew haben Mühe, dieser konstanten Bedrängung standzuhalten, was ihre Säbelhiebe immer nachlässiger werden lässt.
Gabe und Morris dagegen führen ihre Säbel so gewandt, als wären diese eine todbringende Verlängerung ihres Armes, wohingegen Johnny wiederum vollkommen auf derartige Requisiten verzichtet und die fremden Männer mit seinen bloßen Händen niederschlägt oder gleich unter lautem Geschrei über Bord wirft.

Und zwischen diesem sich abspielenden Massaker schleichen Lewis und Billy umher und versuchen, die in der Reling steckenden Enterhaken zu lösen, während Henry seine ganze Kraft am Steuerrad nutzt und versucht, unser Schiff möglichst weit von dem sich nähernden feindlichen Schiff wegzulenken.

Ich schlucke, als ich auf dessen Bugrumpf die blutroten Buchstaben der „Eagle’s Eye“ erblicke.

Dann habe ich mich also doch nicht geirrt…
Verflucht noch eins…

„So so, sieh einer an.“

Das von Spott erfüllte Lachen der tiefen Stimme lässt mich aufhorchen und ich springe geistesgegenwärtig zur Seite, als ich aus meinem rechten Augenwinkel einen Schatten bemerke und kaum einen Herzschlag später das Geräusch von splitterndem Holz vernehme.

Was zum Teufel…?!

Hastig rappele ich mich aus meiner kauernden Haltung wieder auf und greife dabei nach dem Säbel eines reglos am Boden liegenden Mannes neben mir, ehe ich wieder herumwirbele und in die leblos grauen Augen meines Angreifers blicke.

„Das nenne ich doch eine mehr als amüsante Wendung des Schicksals“, sagt dieser unterdessen und zieht mit einem weiteren herablassenden Lachen seinen Säbel aus dem beschädigten Teil der Holztür, neben der ich soeben noch gestanden habe, „ganz schön groß bist du geworden, Bonnie.“

Meine Finger verkrampfen sich um den Griff des fremden Säbels.

„Ahoy…“, zische ich zwischen aufeinander gepressten Zähnen hervor und verenge meine Augen zu funkelnden schmalen Schlitzen, „…Onkel.“

Salzwasserküsse (Celia & Bonnie - Band 1)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt