- Celia -
Mit blankem Entsetzen schaue ich zu den Flammen empor, die in einiger Entfernung aus den vor Anker liegenden Schiffen im Hafen dringen und hinauf in den düsteren Himmel schlagen, wodurch die bis eben noch finstere Nacht taghell erscheint.
Mehr und mehr werden die Segel von den gierigen Feuerzungen umgarnt und zerfressen, während das Holz der Planken und Maste mit einem nachgebenden Knarzen aufkreischt und die Schiffe wie Kartenhäuser zusammenfallen lässt.
So wie auch Roger zuvor kraftlos zu Boden gesunken ist, nachdem Morris mehrmalig mit demselben Dolch auf in eingestochen hat, mit welchem er mich damals in Henrys Kombüse bedroht hatte…und derselbe Dolch, dessen blutige Klinge mir Morris nach Rogers Niedergang an den Hals gedrückt hat, um den Schrei in meiner Kehle umgehend verklingen zu lassen, ehe sich nur wenig später eine prankengleiche Hand von hinten auf meinen Mund gelegt hat und ich, trotz allen Widerstandes und einem hilflosen Versuch, zu Roger zu gelangen, von der Lichtung fortgezerrt worden bin…
Es ist, als würde ich mich inmitten eines Alptraums befinden…
Ein Alptraum, aus welchem ich trotz all meiner Bemühungen nicht zu erwachen vermag…Meine wachsende Verzweiflung treibt mir die Tränen in die Augen und lässt meine Sicht auf die lichterloh brennenden Schiffe verschwimmen, während der beißende Geruch von Rauch mir zunehmend das Atmen erschwert, welches ohnehin durch den lumpenartigen Knebel in meinem Mund beeinträchtigt ist.
„Nun hör schon auf zu zappeln“, brummt der bärtige Hüne, der mich wie ein Stück Vieh über seine Schulter geworfen hat, und versetzt mir mit seiner Pranke einen festen Schlag gegen mein Gesäß, wodurch meine Wangen vor Scham und Schmerz zugleich zu glühen beginnen.
Dass dieser Unhold schon zuvor auf Morris’ Anweisung hin meine Hände und Füße an den Gelenken mit zwei rauen Seilen zusammengebunden und mir dabei einen mehr als
abscheulich lüsternen Blick zugeworfen hat, hatte mich bereits vor Ekel erschauern lassen, aber auf eine solch degradierende Art ist bislang noch niemand mit mir umgegangen…Selbst als Bonnie und ihre Crew mich durch ihre Kaperung zu sich an Bord geholt hatten, hatte ich eine solche Behandlung lediglich zu Anfang befürchtet…aber nun?
Was würden diese gottlosen Kreaturen mit mir…mit uns…anstellen?
Mein blinzelnder Blick gleitet zur Seite und ich schaue zu Kathryn, die regungslos und mit geschlossenen Augen über der Schulter eines weiteren kräftig gebauten Mannes liegt.
Gegensätzlich zu mir ist die Heilerin der Insel zwar nicht gefesselt oder geknebelt, doch die aufgeplatzte Stelle an ihrer Unterlippe und die geschwollene Rötung an der Seite ihres Kopfes lassen die Umstände ihrer Bewusstlosigkeit und den damit einhergehenden fehlenden Nutzen
etwaiger Fesseln deutlich vermuten…
Herrgott, was werden diese Bestien nur mit uns vorhaben, wenn sie bereits nicht davor zurückschrecken, eine wehrlose Frau auf eine solch gewalttätige Art zuzurichten…au!Ein scharfer Schmerz durchzuckt die linke Seite meines Körpers, nachdem mich der bärtige Hüne wie einen Sack Mehl von seiner Schulter gestreift und achtlos in den Sand zu seinen Füßen fallen lassen hat.
„Kein Grund zu Wimmern, Miss Celia“, vernehme ich eine vor Spott triefende Stimme und drehe meinen Kopf trotz des dumpf pochenden Schmerzes, wodurch meine Augen dem höhnischen Blick und dem herablassenden Lächeln von Morris über mir begegnen, „nachdem meine Männer die restlichen Waren auf unser Schiff verlagert haben, werden wir unsere Reise sogleich fortsetzen.“
Mit einem Schnalzen und einer entsprechenden Kopfbewegung weist er den bärtigen Hünen an, zu den anderen Männern zu gehen, welche unweit von uns entfernt zwei kleinere Boote am Küstenrand mit einigen Kisten und Fässern beladen, während zwei weitere Boote ebendieser Art bereits vollbeladen mit Waren und Männern zu einem großen pechschwarzen Schiff hinüberrudern, welches inmitten der abgelegen wirkenden Einbuchtung der Insel vor Anker liegt.Grundgütiger…
Mit einem Schlucken lasse meinen Blick weiter über die wenigen Kisten und Fässer gleiten, welche bislang noch nicht von diesen Halunken verlagert worden sind, unter welchen ich auch einige Kisten aus dem Besitz meines Vaters erkenne.
Es scheint beinahe so, als hätten sich diese Schurken einen beachtlichen Teil der Waren der „Groundhog“ zu Eigen gemacht…oh, hergott nochmal…
Ich verziehe das Gesicht über den wachsenden Schmerz meiner linken Körperhälfte und versuche, mich mehr schlecht als recht auf die andere Seite zu drehen, wobei mein Blick wieder zurück zu Morris wandert, welcher sich inzwischen von mir abgewandt und stattdessen zu dem anderen Mann hinüber getreten ist, welcher noch immer Kathryn über
seiner Schulter trägt.„Sorg dafür, dass sie unbeschadet an Bord gelangt“, höre ich ihn kaum hörbar raunen und traue meinen Augen nicht, als ich sehe, wie Morris seine Hand ausstreckt und Kathryn
behutsam über die geschwollene Stelle an der Seite ihres Kopfes streicht, „und sag Stanley, dass ich ihn umgehend…ich betone, umgehend…sprechen möchte, sobald wir abgelegt
haben.“„Aye, Captain“, erwidert der Mann ebenfalls mit einem Brummen, wobei in seiner Stimme jedoch ein Zögern mitschwingt, so als würde er mit sich hadern, ob er diesem besagten Stanley wirklich Morris’ Botschaft ausrichten solle…
„CELIA!“
Der Schrei meines Namens lässt sowohl Morris als auch seine Männer und mich zu den Klippen über uns emporschauen und ich spüre, wie ein zartes Flämmchen der Hoffnung in
mir aufkeimt, als ich dort oben Bonnies Gestalt erblicke…- Bonnie -
Ich habe es gewusst!
Ich habe es immer gewusst!
In diesem elenden Wicht steckt der Teufel!Wie eine Besessene hetze ich durch das Unterholz.
Zweige peitschen durch mein Gesicht.
Dornen kratzen über meine Arme und Beine.
Aber ich hetze weiter…
…immer weiter…
…und hinab zu dem verborgenen Küstenstreifen, zu welchem Morris und seine nichtsnutzigen Grobiane mich geführt haben, nachdem ich sie auf meinem Weg zu den brennenden Schiffen unseres Hafens entdeckt habe.
Zu dem verborgenen Küstenstreifen, vor welchem die „Raider’s Revenge“ vor Anker liegt…das schattengleiche Schiff, welches Barron jeher für seine nächtlichen Raubzüge hernimmt…
Und dass ausgerechnet dieses Schiff bei Nacht hier vor Anker liegt und diese stumpfsinnigen Taugenichtse Morris’ Anweisungen Folge leisten, lässt schlicht und ergreifend einen einzigen Rückschluss zu…Die ganze Zeit…die ganze gottverdammte Zeit über hat Morris uns zum Narren gehalten und hinter unserem Rücken zu Barron gehalten!
Er ist es gewesen, der in den vergangenen Monaten unsere Vorräte nach jedem Beutezug und jeder einzelnen Handelsfahrt geplündert hat!
Er hat uns verraten!
Elendig und feige an Barron verraten!
Und nun hat Morris nicht nur Celia, sondern auch noch Mutter in seiner Gewalt! Die Einzige, die es vermag, Rogers Wunden zu heilen, für die dieser kümmerliche Bastard gewiss
ebenfalls verantwortlich ist!Verdammt, ich hätte diesem räudigen Köter während unseres damaligen Duells beide Augen ausstechen sollen!
Aber noch mehr könnte ich mich selbst eigenhändig dafür kielholen, dass die Sorge um Celia bei ihrem hilflosen Anblick für einen schwachen Moment in mir Überhand gewonnen hat und mein törichter Ruf ihres Namens sämtliche Aufmerksamkeit auf mich gezogen hat!„Verdammt, verdammt, verdammt!“, fluche ich lautstark, während ich weiter den buschbewachsenen Abhang der Klippen hinunter haste und dabei stetig versuche, vereinzelte
Blicke auf den Küstenstrand zu erhaschen, welcher von dem dichten Dickicht um mich herum fast vollkommen verborgen wird.Es muss mir gelingen!
Es muss mir einfach gelingen, zu Celia und Mutter zu gelangen, bevor dieser dungfressende Dirnenspross ihnen etwas antun kann!
Sonst kann ich weder Roger, noch Vater oder gar mir selbst noch einmal unter die Augen treten!Und ganz gleich, ob ich unbewaffnet bin…mit diesem erbärmlichen Fratzengesicht nehme ich es jederzeit auf!
Egal wann und unter welchen Umstän-…Meine Gedanken stocken und kommen zum Stillstand, als ich durch das letzte verbleibende Buschwerk endlich auf den Küstenstreifen stolpere…auf den gänzlich leeren Küstenstreifen…
Morris ist verschwunden, genauso wie seine Männer und die letzten verbliebenen Kisten und Fässer, welche sich vor wenigen Augenblicken noch dort drüben gestapelt haben.
Und alles, was ich anstelle dessen noch sehen kann, ist der rostrote Schopf meiner Mutter und das blonde Haar von Celia, die sich beide immer mehr auf einem der kleinen Boote von mir weg und in Richtung der „Raider’s Revenge“ entfernen…
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Salzwasserküsse (Celia & Bonnie - Band 1)
Romance1696, irgendwo im Atlantischen Ozean, nahe der mittelamerikanischen Küste: Wir schreiben das goldene Zeitalter der Freibeuter und Piraten. Sehr zum Leidwesen der 21-jährigen Kaufmannstochter Celia, die bei der Kaperung des Handelsschiffs ihres Vat...