# 36 - Entführt

568 61 12
                                    

- Celia -

„Potzblitz, du bist ja ’ne ganz Wilde, hm?“, brummt der bärtige Hüne mit belustigter Anerkennung, als er die Tür zu einer der dunklen Kammern unter Deck dieses unheimlichen Schiffes aufstößt, während ich mich unter verzweifeltem Strampeln und durch den Knebel gedämpften Protestlauten in seinem eisernen Griff winde, „aber eines sage ich dir, Kleines. Selbst die stürmischste Welle wird durch einen erfahrenen Seemann bezwungen und gezähmt…“

Kleines?!
Bezwungen und…und gezähmt?!
Das…das ist doch…unerhört!

Voller Abscheu verziehe ich mein Gesicht über die Worte dieses Kolosses, ehe ebendieser mich erneut unbedacht von seiner Schulter fallen lässt und ich mit einem dumpfen Schlag auf den Holzplanken des Kammerbodens aufkomme.

Grundgütiger…

Mit einem schmerzerfüllten Stöhnen drehe ich mich von meiner mittlerweile pochenden Körperhälfte weg und auf die andere Seite, wodurch ich trotz des spärlichen Lichts erkenne, wie der andere bärtige Mann die noch immer ohnmächtige Kathryn auf einer dünnen Matte am Boden in einer Ecke der düsteren Kammer ablegt.

Ob sie medizinische Hilfe benötigt?
Sie hat sich bislang noch kein einziges Mal geregt…
Selbst als uns diese Schufte nach Bonnies Ruf so unsanft auf das kleine Boot verschafft hatten, hat Kathryn sich nicht gerührt…geschweige denn auch nur im Entferntesten gezuckt…
Und die Schwellung an ihrer Kopfseite erweckt ebenfalls einen durchaus besorgniserregenden Eindruck…

„Es ist wirklich erstaunlich, wie sehr Ihr unserer verehrten Prinzessin in den vergangenen Tagen ans Herz gewachsen seid“, höre ich eine abfällige Stimme über mir sagen und erstarre, als Morris seine Stiefelspitze unter meine Wange schiebt, um meinen Kopf in seine Richtung über mir zu drehen. „Wahrlich, derart in Rage habe ich diese verzogene Göre selten erlebt. Und es ist in der Tat ein Jammer, dass ich ihrer niederschmetternden Erkenntnis nicht beiwohnen konnte, als sie den gänzlich leeren Strand vorgefunden hat. Aber sei es drum…manchmal obliegen einem wichtigere Verpflichtungen, als die Genugtuung, sich in dem Versagen seines Feindes zu sonnen…“

Die letzten und ungewöhnlich leisen Worte und der kryptische Blick, welchen Morris für einen Augenblick Kathryn zuwirft, die noch immer reglos auf der dünnen Matte am Boden liegt, lassen mich den Atem anhalten und ich zucke verschreckt zusammen, als Morris sich mit einem scharfen Schnauben zu mir hinabbeugt und ich abermals die noch immer blutige Dolchklinge an meinem Hals spüre.

„Da ich davon ausgehe, dass Ihr sehr an Eurem hochgeborenen Leben hängt, würde ich Euch raten, Euch bis zum Morgengrauen auf mustergültige Weise zu verhalten und keinerlei
Anstalten der Auflehnung oder Gegenwehr zu vollziehen, sofern Ihr nicht meinen Ärger auf Euch ziehen wollt. Und Ihr wollt mich doch gewiss nicht verärgern….oder, Miss Celia?“

Der Hohn in dem fratzengleichen Grinsen, mit welchem Morris mich bedenkt, und die stechende Kühle der blutigen Dolchklinge auf meiner Haut lassen mich gegen meinen Willen erschauern, ehe ich stockend mit dem Kopf schüttle.

„Sehr schön, das lobe ich mir.“ Ich spüre, wie sich die Klinge von meiner Kehle löst und bin bereits im Inbegriff aufzuatmen, als ich eine grob tätschelnde Hand an meiner Wange spüre. „Und solltet Ihr dennoch einen diesbezüglichen Sinneswandel haben, werden meine Männer gewiss nichts unversucht lassen, Euch wieder an Eure Stellung hier an Bord zu erinnern.“

Morris’ gezischten Worten folgt ein dumpfes Lachen, dessen Kälte mich noch mehr erstarren und mir das Blut in den Adern gefrieren lässt, bevor er sich mit einem letzten klatschenden
Tätscheln meiner Wange erhebt und sich von mir abwendet.

Mit einer weisenden Kopfbewegung gibt Morris dem bärtigen Hünen und dem Mann, der Kathryn zuvor getragen hat, zu verstehen, vor ihm durch die geöffnete Kammertür zu treten, ehe er selbst darauf zutritt und sich im Rahmen der Kammertür noch einmal zu mir umwendet.

„Habt eine geruhsame Nacht, Miss Celia“, höre ich Morris sagen, gefolgt von einem weiteren höhnischen Lachen, bevor er die Kammertür mit einem quietschenden Schlag hinter sich schließt und die zuvor noch spärlich erkennbare Umgebung um mich herum nunmehr in vollkommene Dunkelheit getaucht wird…

- Bonnie -

„Vater! Vater! Vater!“

„Bonnie?! Was zum…!?“ Noch bevor ich völlig außer Atem zurück auf die Lichtung stolpern kann, kommt mein Vater mir entgegen und packt mich derart fest an meinen Schultern, dass
meinen Lippen Schmerzenslaut entfährt, welcher meinen Vater jedoch nicht von seinem festen Griff und dem herrschenden Tonfall abbringen kann. „Wieso kommst du von dort?! Du solltest doch zurück ins Dorf eilen und deine Mutter holen! Oder warst...nein, du warst doch nicht etwa am Hafen, oder?! Zum Henker nochmal, Bonnie! Ich weiß, wie erschreckend dieser Anblick gewesen sein muss, aber habe dir doch gesagt, dass du…!“

„Beim gottverdammten Teufel, nun lass mich doch auch einmal ausreden!“, entgegne ich ebenso barsch, wenn auch keuchend, und schiebe die Hände meines Vaters mit einer entschlossenen Geste von meinen Schultern, was ihn wiederum unverwandt blinzeln lässt. „Ich war auf dem Weg ins Dorf! Ich schwöre bei allem, was mir heilig ist! Aber dann hat mich dieser laute Knall zu Boden gerissen und ich habe gesehen, dass unsere Schiffe im Hafen lichterloh in Brand standen! Und dann war da Morris…!“

„Morris?“

„Ja!“ Das Schrillen meiner Stimme zieht in meinen Ohren. „Mit einer Schar an fremden Männern! Barrons Männern! Er hat uns verraten! Die ganze Zeit über hat Morris uns verraten! Er ist es gewesen, der unsere Vorräte gestohlen hat! Er ist es gewesen, der zusammen mit Barrons Männern unsere Schiffe in Brand gesetzt hat! Und jetzt hat er auch noch Celia und Mutter in seiner Gewalt!“

„Was?! Aber wie…woher weißt du das alles?!“

„Ich bin ihnen gefolgt…zu einer der abgelegenen Buchten, wo auch die „Raider’s Revenge“ vor Anker lag“, bringe ich noch immer schwer atmend hervor und stütze meine Seite, als sich ein stechendes Ziehen unterhalb meiner Brust anbahnt, „aber ich war nicht schnell genug…und jetzt…wir…wir müssen sie retten! Wir müssen Celia und Mutter retten!
Und Roger…er muss doch auch versorgt werden und…“

„Das…das wird nicht länger vonnöten sein.“

…was?

Die ungewöhnlich ernsten Worte meines Vaters lassen mich verwundert die Stirn runzeln und als ich Anstalten mache, über seine Schulter hinweg zu Roger zu blicken, der noch immer einige Schritte hinter ihm auf dem sandigen Boden der Lichtung liegt, drückt mein Vater mich mit einem entschlossenen Druck an den Rand der Lichtung zurück.

„Roger…er…er war schon immer ein Kämpfer…“, fährt mein Vater stattdessen mit einem rauen Räuspern fort, wobei er meinem suchenden Blick einige Herzschläge lang ausweicht, ehe er wieder zu mir zurücksieht, „seit wir uns kennen, ist er noch nie vor einem Kampf zurückgeschreckt, aber…aber in diesem Kampf war er schlicht und ergreifend unterlegen…“

…w-was?

Mit einer Mischung aus Irrglaube und Unverständnis schüttle ich langsam den Kopf, während mein Vater mich noch immer mit gefasstem Ernst aus seinen blauen Augen ansieht, in welchen jedoch zugleich ein unsäglicher Schmerz steckt.

„W-Was…w-was soll das…d-das bedeuten? Roger…er…e-er hat d-doch…“

„Bonnie…“, die unterschwellige Eindringlichkeit in der Stimme meines Vaters und der sanfte Griff seiner Finger, mit welchen er mir mit einem Mal über meine Wange streicht, lassen mich schwer schlucken, während sich in meiner Brust ein unaussprechlicher Schmerz ausbreitet, „…Roger ist…er ist tot.“

Salzwasserküsse (Celia & Bonnie - Band 1)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt