Unschlüssig saß Kit auf seinem Bett und starrte an die Zimmerdecke. Es war warm und stickig, obwohl er bereits das winzige Fenster zum Hof raus geöffnet hatte. Je länger er sich in seiner unordentlichen Ein-Zimmer-Dachgeschosswohnung umsah, desto mehr gefiel sie ihm. Selbst das gestickte Bild von Tante Gerdi aus Belgien mit der kitschigen Blumenwiese an der Wand hatte plötzlich Charme. Er mochte seine Unordnung und seinen Krempel, er mochte, wie die Nachbarin abends bei offenem Fenster sang und den ganzen Hof mit ihrer Stimme erfüllt wurde. Ihm gefiel die kleine Kneipe an der Ecke zur Hauptstraße und das Kopfsteinpflaster dorthin, über das er schon öfter gestolpert war. Was Kit nicht gefiel, war, sich von Wasser und Brot zu ernähren, im Winter nicht heizen zu können und immer wieder mit seiner Miete im Verzug zu sein. Vorwurfsvoll sah er Gerdis Blumenwiese an, hätte seine Tante ihm nur einen Fond zukommen lassen und nicht dieses Bild. Doch es half alles nichts, würde er den Job bei den Montgomerys nicht annehmen, müsste er sich früher oder später sowieso von seiner Wohnung verabschieden. Kit stand auf und warf ein paar Habseligkeiten zusammen auf einen Haufen. Wie schwierig sollte es schon sein, auf ein einziges Kind aufzupassen? Er hatte noch nie auf ein Kind aufpassen müssen, aber er konnte sich beim besten Willen auch nicht vorstellen, dass diese Aufgabe alles von ihm abverlangen würde. Kit war schließlich selbst mal klein gewesen und im Grunde waren alle Kinder sich auf eine bestimmte Weise ähnlich. Wie alt war Henry doch gleich? Hatte Lady Montgomery das Alter erwähnt, als sie ihm das Anwesen gezeigt hatte? 15? 16 Jahre vielleicht? Kit konnte sich nicht erinnern, aber er war offenkundig in einem Alter, wo noch nicht alles verloren war. Er nahm das gestickte Bild von der Wand und legte es zu den Dingen, die er mit sich in das Herrenhaus nehmen wollte. Dann warf er alles zusammen in einen großen Koffer, verschloss diesen gut und sperrte seine Wohnungstür auf. An seinen freien Tagen würde er sicherlich Zeit finden mal vorbeizusehen und vielleicht hatte er auch zukünftig die Möglichkeit ein bisschen Geld in eine neue Matratze für sein Bett zu investieren. In dem Moment, wo er über die Schwelle trat, ging die Tür zur Nachbarwohnung auf. Kit teilte sich eine Etage mit vier Parteien. Aus der offenen Tür trat seine Nachbarin Rosie, mit einer großen Rührschüssel im Arm.
„Willst du verreisen?", fragte sie mit einem breiten Lächeln.
„Ich habe einen Job gefunden, er ist anständig bezahlt, aber dafür muss ich Tag und Nacht verfügbar sein", lächelte Kit verschmitzt und zuckte mit den Schultern.
„Das klingt nicht wirklich nach einem Job, in dem ich dich sehe", Rosie zog eine Augenbraue hoch.
„Es ist nichts Spannendes eigentlich, ich wurde als Haustutor eingestellt bei einer wohlhabenden Familie", Kit trat ungeduldig von einem Fuß auf den anderen. Rosie erschien immer magisch im Türrahmen, wenn er seine Wohnung verlassen wollte.
„Du? Ein Tutor? Wer würde denn so etwas machen? Nun ja, viel Erfolg. Ich muss mich jetzt wieder um mein Brot kümmern", sie hob entschuldigend die Hand, als hätte Kit sie aufgehalten.
„Wird schon schiefgehen, solange du nicht bei den Montgomerys anfängst. Die haben ihren Ruf weg", noch ehe Kit etwas erwidern konnte, hatte sie mit einem Ruck die Tür zugezogen und Kit stand nun allein auf dem Flur. Er überlegte, ob er noch einmal bei Rosie klopfen und fragen sollte, was sie genau gemeint hatte. Er hob die Faust und senkte sie wieder. Kit würde sich jetzt nicht beirren lassen. Und sollte eine Katastrophe auf ihn warten, hatte er immer noch die Möglichkeit zu gehen. Und oftmals waren Gerüchte auch eben nur Gerüchte. Er sah zu, dass er schnell aus dem Mehrparteienhaus herauskam.
Kit hatte sein neues Zimmer schneller eingerichtet, als ihm lieb war. Sein überschaubares Eigentum war ohne große Mühen schnell verstaut gewesen, Laken und Handtücher wurden gestellt und Audrey wies ihn ein, wo er saubere Wäsche bekam und worum sich das Hauspersonal kümmerte. Sie half ihm sogar das Bild von Tante Gerdi aufzuhängen.

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Dschungelfieber
AdventureCute as (S)hell - In einem fiktiven 1920 bewirbt sich der Musikstudent Kit Webster auf einen Job als Hauslehrer bei der wohlhabenden Familie Montgomery. Seine Aufgaben scheinen überschaubar: die Erziehung und Unterrichtung eines einzigen Kindes. Die...