Kit spürte zunächst den dumpfen Schmerz in seiner Schulter, als er wieder zu sich kam. Er öffnete die Augen und sah den blauen Himmel über sich. Er atmete ein und aus. Seine Glieder fühlten sich schwer an, so als würden Gewichte auf ihm liegen und auch wenn der Untergrund, auf dem er lag, nicht wirklich bequem war, war es ausreichend genug, um nicht aufstehen zu wollen. Rauer Sand klebte ihm an der Wange, welche auf dem kühlen Boden lag. Es war heiß und stickig in seiner Kleidung, alles war feucht und klebte. Er konnte das Meer rauschen hören und wenn er sich konzentrierte, waren da auch andere Geräusche, die er nicht ganz zuordnen konnte. Die Erinnerung, was zuletzt vorgefallen war, kam überraschend klar zurück. Er war auf der Flucht gewesen und wurde verletzt. Shell war bei ihm gewesen, verängstigt und erstarrt. Stöhnend richtete er sich auf und sah sich um, so gut es mit seinem schmerzenden Körper ging. Die Wunde am Arm erschien ihm fast nebensächlich, bei der kleinsten Bewegung schmerzte ihm der ganze Rücken, besonders sein Nacken. Mit steifem Hals versuchte er so gut es ging seinen Kopf zu drehen. Er war an einem weitläufigen Strand angespült worden, um ihm herum lagen vereinzelt Holzfragmente. Glasscherben vermischten sich mit Muschelschalen und Algen. Er kniff die Augen zusammen und besser sehen zu können, was in der Ferne lag, doch schnell wurde ihm klar, dass er allein war. Von Shell fehlte jede Spur. Kit musste aufstehen und ihn suchen gehen. Argwöhnisch betrachtete er seine Beine. Er war sich sicher, dass nichts gebrochen war, dennoch schmerzten sie enorm. Zunächst zog er seine Schuhe aus und öffnete dann vorsichtig den Knopf seiner Hose. Er schälte sich behutsam aus dem klammen Stoff. Seine Beine waren mit kleinen Schnittwunden übersät und großen Blutergüssen. Ein Knöchel war leicht geschwollen, doch im besten Fall waren nur die Bänder überdehnt. Als er an Land gespült wurde, mussten die Wellen ihn mehrmals grob über kleine Riffe und groben Sand geschliffen haben. Missmutig drückte er das Gesicht in seine Hände und massierte seine Schläfen. Er musste Ruhe bewahren. Er war am Leben. Sein Streifschuss brannte wie verrückt, doch er blutete nicht mehr und schien weniger tief zu sein als zunächst angenommen. Der Umstand, dass ihm alles weh tat, hatte den Vorteil, dass sein Arm aus dem Fokus rückte und ihm nebensächlicher erschien. Trotzdem schossen ihm Tränen in die Augen. Geblendet von der Farbintensität von seiner Umgebung und der Absurdität der Situation war ihm nach Weinen zumute. Er musste sich schnell fangen und den Nervenzusammenbruch umgehen. Kit brauchte eine Aufgabe. Er richtete sich langsam trotz Schmerzen auf und klaubte Schuhe und Hose zusammen. Weiter oben am Strand begann die Vegetation. Dort wuchsen kleinere Palmen und ausladende Sträucher zwischen Felsen. Ein guter Ort, um seine Kleidung trocknen zu lassen und einen Plan aufzustellen. Kit musste plötzlich schmunzeln. Eine gute Sache hatte es: Wäre er in England angespült worden, hätte er keine Chance auf trockene Kleidung gehabt. Als er es bis zum ersten Felsvorsprung schaffte, legte er dort seine Kleidungsstücke sorgfältig aus und wartete. Wenn seine Mitstudenten wüssten, dass er gerade am Strand irgendwo in Südamerika war, wären sie bestimmt neidisch.
„Sorry Jamsie, ich habe keine Zeit für einen Kaffee, ich bin in der Karibik. In Südamerika. Mittelamerika? Wer wusste das schon? Ja, direkt am Stand. Herrliche Aussicht. Blaues Meer, weißer Sandstrand. Nur ein paar scharfe Muschelschalen. Ja, ja. Der Dschungel ist auch gleich nebenan. Da kann man richtig was erleben! Ich würde dir eine Postkarte schicken, aber ich denke, ich werde keinen Briefträger ausfindig machen können", nuschelte Kit, während er seiner Kleidung beim Trocknen zusah. Wenn er sich etwas mehr auf Shell eingelassen und ihm zugehört hätte, wäre es durchaus denkbar gewesen, dass der Junge ihm nützliche Überlebenstipps für den Urwald hätte mitgeben können. Aber Kit hatte auf Algebra bestanden, das hatte er jetzt davon. Seine Sorge um Shell wurde weniger, als Kit sich bewusst wurde, dass er eindeutig bessere Überlebenschancen hatte als er selbst. Als seine Kleidung nicht mehr nass war, entschied sich Kit dazu, Hosen und Stiefel wieder anzuziehen, aus der Jacke eine Art Verband für die Schulter zu improvisieren und die Ärmel des Hemdes hochzukrempeln. Je mehr er sich bewegte und sich seine Muskulatur lockerte, desto mehr ließen die Schmerzen auch nach. Als er sich schließlich bereit fühlte, mache er sich auf den Weg, den Strand zu erkunden. Es war sicherer sich am Wasser entlangzubewegen, als durch den Busch zu kriechen und die Chance ein Schiff oder Shell zu entdecken war ebenfalls größer. Würde er sich erst einmal im Wald verlaufen, war es das mit hoher Wahrscheinlich für ihn.
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Dschungelfieber
AventuraCute as (S)hell - In einem fiktiven 1920 bewirbt sich der Musikstudent Kit Webster auf einen Job als Hauslehrer bei der wohlhabenden Familie Montgomery. Seine Aufgaben scheinen überschaubar: die Erziehung und Unterrichtung eines einzigen Kindes. Die...