Kapitel 8

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Gedankenverloren ließ Kit das gestohlene Foto immer wieder durch seine Finger gleiten. Er hatte sich für den Rest des Tages auf sein Zimmer verkrochen und hoffte niemand würde nach ihm suchen. Seine Pläne zu kündigen, bröckelten erneut. Er hatte all diese Fotos gesehen von einem Kind, was er dachte zu kennen, aber es sah so anders aus. Er lachte auf all den Fotos, egal ob er wusste, dass er fotografiert wurde oder nicht. Shell war ein glückliches Kind gewesen. Er hatte eine schöne, wenn auch ungewöhnliche Kindheit gehabt. Kit musste sich an die beiläufigen Worte von Audrey erinnern: Wir sind die Menschen, zu denen wir gemacht werden? Hatte sie das gesagt? Kit konnte sich nicht genau erinnern. Er betrachtete erneut das Bild, als konnte er einen Hinweis finden. Was war passiert? Wer war der andere Junge? Was machte er wohl jetzt? Kit könnte versuchen Shells Opa zu befragen, aber es hatte sich herausgestellt, dass dieser nicht unbedingt der zuverlässigste Erzähler war und es war wichtig, dass die Geschichte hinter dem Foto stimmte. Er könnte auch Shell persönlich fragen, aber Kit malte sich keine großen Hoffnungen aus, dass er ihm seine Fragen beantworten würde, schließlich hatte Kit das Bild gestohlen. Vielleicht war auch alles in Ordnung, aber Kit konnte sich nicht vorstellen, dass Howard Montgomerys Cholesterinspiegel verantwortlich dafür war, dass die Familie plötzlich ihre gewohnten Südamerikareisen nicht mehr fortführten und ihr Kind darunter massiv litt. Er ließ zwei Finger über seine Wange gleiten, dort wo Shells Hand ihn getroffen hatte. Der Schlag hatte es in sich gehabt, die Haut brannte noch zornig bei Berührung. Kit atmete schwer aus. Er könnte Shell suchen gehen, und so Gott wolle und er ihn auch finden würde, könnte er versuchen ihren Streit niederzulegen, sich entschuldigen und ihm erklären, dass er wirklich bemüht war, Beetlejack von seinem Leid zu befreien und einen neuen Transmitter mit ihm zu bauen. Dass Shell sich ebenfalls entschuldigen würde, war unwahrscheinlich, aber Kit konnte nicht verlangen, dass ein Teenager die Verantwortung für ihre Auseinandersetzung übernahm, so lag es also an ihm. Und sollte es keine Lösung geben, hatte Kit immer noch die Möglichkeit zu kündigen. Das sagte er sich zumindest selbst. So machte er sich also auf die Suche und versteckte das Foto hinter Gerdis Blumen. Warum er das tat, wusste er selbst nicht so genau, aber es kam ihm vor wie etwas besonders Wertvolles, was unter keinen Umständen einfach irgendwo rumliegen sollte und das schon gar nicht in seinem Zimmer. Kit suchte für mehrere Stunden doch konnte nicht fündig werden. Er hatte schon befürchtet, dass er die Unannehmlichkeit nicht gleich aus der Welt schaffen konnte. Gegen späten Nachmittag musste er dann zur Akademie, was ihm überhaupt nicht passte. Er ließ sich über Morris bei Shanice entschuldigen, dass er nicht nochmal für das Bühnenbild zum Theater kommen würde.

Als er wieder bei den Montgomerys am Abend eintraf hatte er knapp das Abendessen verpasst. Kit überlegte kurz ob er es wagen sollte sich in die Küche zu schleichen, aber obwohl sein Magen sehr knurrte, traute er sich dann doch nicht. Er würde Audrey oder wenn es sich nicht vermieden ließ auch Olivia aufsuchen und hoffen, dass eine von beiden ihm vielleicht einen Imbiss aus der Küche besorgen könnte. Er hatte Glück und entdeckte Audrey im Gesellschaftszimmer. Sie saß gemütlich in einem Sessel, trank eine Tasse Tee und lass ein Buch. Sie hatte ihre Schürze schon abgelegt und saß nun mit einem einfachen Baumwollkleid da, die Beine überschlagen, so dass es etwas hochgerutscht war. Kit trat an sie heran.

„Guten Abend Audrey, ich hoffe ich störe nicht", zögerte er. Es war nicht so, dass die Dienstmädchen am Abend nicht mehr verfügbar waren, aber es kam ihm dennoch unhöflich vor, sie extra für ein Sandwich aufzuscheuchen. Als sie ihn erblickte nahm sie ihn Buch runter und lächelte.

„Was kann ich für Sie tun, Mr. Webster?", fragte sie freundlich.

„Ich möchte Ihnen keine Umstände machen, ich wollte mich nur erkundigen, ob die Möglichkeit besteht, noch etwas zu essen zu bekommen? Ich muss zugeben, ich trau mich nicht allein in die Küche", gestand er. Sie schmunzelte.

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