Kapitel 29

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„Soll ich ihm hinterhergehen?", fragte Kit Calla unentschlossen, als Shell außer Hörweite war. Kit war überzeugt, dass man mit Angst und Trauer nicht allein gelassen werden sollte, doch jeder Mensch trauerte anders und er wollte sich auf keinen Fall aufdrängen, das hatte er an diesem Tag bereits einmal getan. Und da Calla Shell in einer bestimmten Art und Weise besser kannte als er, wollte er ihre Meinung hören und diese beherzigen.

„Ich denke, er sollte allein sein. Vielleicht möchte er traurig sein und weinen, aber wenn du da bist, geht das nicht. Er wird zurückkommen und dann möchte er deine Gesellschaft. Auch wenn er es nicht sagen wird. Aber er möchte sie, das denke ich. Komm, wir machen einen Spaziergang. Ich zeige dir mehr von unserem Dorf", Calla hakte sich bei Kit unter und führte ihn die Straße hinunter. Die Strukturen erinnerten an die der Itoxahual an der Küste. Die Marktstände waren ähnlich angeordnet und zentrale Punkte wie Tanzplatz und Tempel in ähnlichem Abstand zueinander. Calla erzählte nicht viel zu den Bauten und Wegen, sie hatte die Führung offensichtlich als Vorwand genutzt, um mit Kit im Dorf gesehen zu werden.

„Sie sollen sehen, dass du meine Gunst hast. Ein guter Mann steht in guter Verbindung mit den Geistern und Göttern. Wenn ich dich gern bei mir habe, dann haben die Götter dich gern bei sich. So sehen die Leute in unserem Dorf dein gutes Herz. Sie werden sich freuen, wenn das Ritual gelingt und die Götter wollen, dass wir dir helfen. Und gut für mich, sie sehen mich mit schönem Mann", grinste Calla und zog Kit auf den Marktplatz, auf dem etwas mehr Trubel herrschte.

„Woher willst du wissen, dass die Götter uns helfen wollen? Vielleicht lehnen sie ab?", zweifelte Kit und nickte freundlich den älteren Bewohnern zu, die ihn neugierig ansahen.

„Weil, ich werde es einfach behaupten. So einfach!"

„Du willst lügen?"

„Nicht lügen. Ich werde behaupten. Das ist nicht lügen!", grinste Calla schelmisch und zog Kit weiter.

„Du willst uns wirklich gern helfen, oder?"

„Ich muss euch helfen! Als Yuan gestorben ist, da war ich in Trauer und konnte Shell nicht helfen. Ich schulde es ihm. Und ich will, dass unser Stamm sich wieder vereint. So wie früher. Yuan hätte sich nicht geopfert, wenn er gewusst hätte, wie schlimm dann alles wird. Er hat es getan, damit wir wieder Freude haben", erklärte Calla ihm, während sie weiter spazierten.

„Yuan war sehr beliebt, oder?", fragte Kit vorsichtig.

„Er war ein Anführer. Er war, ein wenig älter als ich. Groß, mit starken Armen. Sehr schönes Gesicht. Er hat den Kindern viel beigebracht. Geduldig und sanft. Das mochte ich immer sehr. Wie lieb er zu den Kindern war. Vernünftig und schlau. Er hat immer gewusst, ob man eine Gefahr eingehen soll oder nicht", schwelgte Calla in Erinnerungen. Kit lächelte einfühlsam.

„Wie war er mit Shell?", wollte er dann wissen.

„Oh, mit Shell!", Calla lachte laut auf.

„Als Shell ein Baby war. Yuan hat sich nicht interessiert. Er wusste, dass da ein weißes Baby ist, aber es war ihm egal. Aber, irgendwann war Shell so 5 Jahre. Er war wild und ganz frech. Er hat die älteren Jungen geärgert. Yuan dachte erst, dass Shell ein Mädchen ist, weil, er war so klein und dünn. Hat über ihn gelacht, aber sie haben zusammen Boote gebaut und Yuan hat einmal gebastelt. Es war ein Spielzeug aus Holz. An einer Schurr. Und dann, letztes Mal im Sommer, dann war Shell wie erwachsen und Yuan hatte gefallen. Und ich glaube, Shell hatte schon immer gefallen. Heimlich. Er war wie das Mädchen Elisabeth!", schwärmte Calla. Kit nickte. Er versuchte sich vorzustellen, wie Shell jedes Jahr zurückkam, sich auf seinen Schwarm freute und vielleicht jedes Jahr aufs Neue hoffte, dass seine Gefühle erwidere werden würden. Das erinnerte Kit an seine Jugend. In der Schule hatte er einen Mitschüler, da waren sie vielleicht 12 Jahre alt. Jeden Abend hatte Kit sich in seinem Bett ausgemalt, wie es sein würde, wenn sie sich küssen würden. Als das Schuljahr zu Ende war, zog der andere Junge weg. Kit schrieb den ganzen Sommer über melancholische Gedichte und träumte davon, dass dieser Junge ihm vielleicht einen Brief schreiben würde. Dies blieb natürlich aus, mittlerweile war Kit sich ziemlich sicher, dass er damals nicht einmal Kits Namen kannte, geschweige denn wusste, dass sie überhaupt dieselbe Klasse besuchten. Rückblickend war das ziemlich albern, doch Kit konnte sich nur zu gut vorstellen, wie aufregend es auch für Shell gewesen sein musste, das erste Mal verliebt gewesen zu sein. Kit würde bei bestem Willen keine Schmetterlinge mehr im Bauch haben, wenn man seine Hand hielt oder kein Wort herausbekommen, weil man Angst hatte, etwas Falsches zu sagen. Doch Shell war noch jung und wenn Kit alles in chronologische Reihenfolge brachte, dann war er 15 oder 16 Jahre alt gewesen und hatte seinen Schwarm innerhalb von wenigen Wochen das erste Mal geküsst und dann direkt sterben sehen. Kit musste schlucken.

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