Kapitel 38

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„Ich will nicht unhöflich sein, aber wir sollten uns beeilen. Unser Besuch sollte jeden Moment eintreffen", erwähnte Kit gespielt beiläufig, mit hochrotem Kopf. Shell lang vor ihm auf dem Mahagonitisch in dem Studienzimmer der Montgomerys. Seine Kleidung war verknittert, die Wangen ebenfalls rot und erhitzt. Eine karierte Tweed Hose lag auf dem leicht staubigen Parkett. Es war ein sonniger Tag in London. Kit war vor ein paar Wochen von seiner ungeplanten Reise zurückgekehrt und wurde von Anteilnahme und Unterstützung überrascht, als er mit Shell zusammen die Schwelle des Herrenhauses zögerlich überschritt. Er hatte sich dieses Szenario auf die unterschiedlichsten Arten ausgemalt, angefangen von einer Kündigung bis hin zum stillen und heimlichen Mord im Garten von Montgomery Manor. Strafgelder, ein schlechtes Arbeitszeugnis, Gerüchte. Empfangen wurde er von Lady Montgomery mit einer warmen Umarmung. Sie hatte Tränen in den Augen und sagte zunächst gar nichts, als sie Kit in den Armen hielt. Mr. Montgomery war nicht auf dem Anwesen, als sie zurückkamen. Er schien frühzeitig von den Ereignissen in Südamerika informiert worden zu sein und war außer Haus, um die Wogen zu glätten. Bei einer Tasse Tee bestand die Möglichkeit ein Gespräch zu führen, doch Kit wusste nicht, was er erzählen wollte, da er die Lady des Hauses nicht unnötig erschrecken wollte und Lady Montgomery stellte kaum Fragen, weil sie nicht erschreckt werden wollte. Sie fragte nach den Fortschritten, die er bei Hausunterricht erzielt hätte, wenn sie denn schon einmal zusammensaßen. Kit erklärte, dass es wohl keinerlei Ergebnisse gab, die er ihr vorweisen könne, da er nicht eine brauchbare Unterrichtsstunde mit ihrem Kind hatte durchführen können. Lady Montgomery nickte und sie einigten sich darauf, Kits Arbeitsvertrag zu verlängern. Für Kit veränderte sich nach der langen Abwesenheit im Grunde nur, dass Shell beschlossen hatte, an den Unterrichtsstunden teilzunehmen. Er erschien bei Weitem nicht pünktlich, aber er erschien. Er fertigte keinen Hausarbeiten an und wiederholte keine Übungen, aber er hörte zu und stellte Fragen zu dem, was Kit ihm erklärte. Manchmal erklärte auch Shell Kit etwas. Shell versprach seine Lektüren zu lesen, wenn Kit versprechen würde, den Unterricht interessanter zu gestalten. Der Junge hatte diesbezüglich viele Ideen.

„Ich kann mir Dinge besser merken, wenn ich sie laut lese und du mir dabei deinen Schwanz hineinrammst. Würdest du besseren Gebrauch von deinem Glied machen, wären wir schon fertig mit dem heutigen Kapitel, aber wenn du so zaghaft zustößt, verliere ich womöglich noch das Interesse an Shakespeare auf die letzten Seiten", Shell sah von seinem Buch auf und spreizte seine Beine noch ein wenig weiter.

„Du möchtest unsere Gäste doch nicht warten lassen, oder?", Shell wartete, bis Kit der Aufforderung nachkam und las laut, unterbrochen von kleineren Seufzern und Aufstöhnen, weiter. In Anbetracht des Zeitdrucks schaffte Kit es beinahe, mit dem letzten Absatz, den Shell vorlas, zu kommen. Der Junge folgte kurze Zeit darauf, mit einer Hand zwischen den Beinen und einer am Buch. Der Unterricht endete damit, dass beide versuchten, möglichst gründlich sich selbst zu reinigen und frisch zu machen und das in Mitleidenschaft gezogene Mobiliar samt Parkett von Schmutz zu befreien. Kleidung wurde glatt gestrichen und mit schnellem Schritt bewegten Lehrer und Schüler sich durch die alten Korridore von Montgomery Manor auf dem Weg in die Empfangshalle. Als sie die Treppe hinabstiegen, konnten sie bereits von oben erkennen, dass ihre Besucher längst da waren. Eine groß gewachsene Frau in einem weinroten Kleid. Neben ihr ein kleiner, untersetzter Mann in einem eng gespannten cremefarbenen Anzug mit braun karierten Akzenten. Als die junge Frau die hallenden Schritte auf der Treppe vernahm, drehte sie sich freudestrahlend um.

„Es ist schön, dich zu sehen, Herr Darcy!", lachte sie, als sie Kit erblickte. Calla war auf den ersten Blick kaum wiederzuerkennen. Sie trug eine modische Hochsteckfrisur und ein nicht mehr ganz so modernes, jedoch sehr hochwertiges Baumwollkleid mit Spitze. Kit begrüßte sie herzlich und gab ihrem Begleiter die Hand.

„Schön, dass ihr beide da seid! Lady Montgomery hat bereits den Tisch zum Tee decken lassen, sie möchte euch auf keinen Fall verpassen und würde später dazu kommen. Folgt mir einfach!", nachdem Shell seine Schwester begrüßt hatte, führte Kit sie in das Gesellschaftszimmer.

„Wie geht es euch, was verschlägt euch in die Stadt?", fragte Kit, als sie Platz genommen hatten.

„Mein Bauch, es geht gut. Der Arzt hat gesagt, dass ich keine Babys haben kann, wegen der Verletzung. Aber der Arzt wusste nicht, dass ich eh keine haben kann. Großer Schock, wenn er gesagt hätte, es wäre anders!", lachte sie und deutete auf die Stelle unter ihrem Bauchnabel, wo die Kugel sie getroffen hatte. Wie Kit erst verspätet erfahren hatte, hatte Charlotte sich dazu entschieden, Calla mit auf das Schiff zu nehmen, um ihre Wunden durch den Schiffsarzt behandeln lassen zu können, sodass ihre Überlebenschancen optimal waren. Für Calla war ein Traum in Erfüllung gegangen.

„Ron, mein liebster Ron, er hat mich heute mitgenommen. In die Stadt und ich durfte mir aussuchen mein eigenes Teeservice!", aufgeregt griff sie nach der Hand ihres Begleiters. Der kleine rundliche Mann wurde rot und drückte glücklich die Hand der Frau zu seiner Seite.

„Nun, meine zukünftige Frau soll alles bekommen, was sie wünscht. Ich danke Gott jeden Tag dafür, dass er mir die Möglichkeit schenkte, eine so wunderbare Frau kennenlernen zu dürfen. Und ich bin Atheist, versteht ihr? Aber ich muss dennoch eine Art Auserwählter sein", stotterte Ronald mit dem wärmsten Lächeln, was Kit womöglich je gesehen hatte. Ronald Cavendish, seines Zeichens ehemaliger ewiger Junggeselle, jüngster Sohn der Cavendish Familie, wohlhabend. Im Gegensatz zu seinen Brüdern war Ronald introvertiert und gutmütig, doch seine Leidenschaft für kleine aufgespießte Insekten und alte staubige Bücher, ließ ihn neben seinen Brüdern eher unscheinbar wirken. Er hatte keinen großen Erfolg bei den Damen, auch wenn er mit Abstand der aufmerksamste Cavendish Junge war. Nachdem ein großer Artikel in der Zeitung erschienen war, der sich hauptsächlich damit beschäftigte, dass das Handelsschiff der Montgomerys bei der letzten Überfahrt durch turbulente See beschädigt wurde und auch einige Personen an Bord zu Schaden gekommen waren und weitere noch immer vermisst werden, erhielt zunächst Ronalds Bruder Cornelius eine Einladung nach Montgomery Manor, um als Journalist ein Statement der Familie ergänzend veröffentlichen zu können. Er unterbreitete Ronald das Angebot, ihn zu begleiten. Die Möglichkeit bestand, dass die Familie einige Exemplare an exotischen Schmetterlingen oder Käfern ausstellte, was letztendlich Ronald ins Auge fiel, war weder ein Schmetterling noch ein Käfer, sondern eine junge Frau mit lustigem Gang in Schnürpumps und breitem Lächeln. Ronald war zu schüchtern, um es zu wagen, sie anzusprechen. Zu oft sagte er aus Versehen etwas, was junge Damen verärgerte oder sie rümpften schon die Nase, wenn er ihnen unter die Augen trat. Doch Calla entdeckte seinen Anstecker am Revers von einem Baeotus aeilus, griff seine Hand freudestrahlend und ließ sie nicht mehr los. Ronald kam häufiger zu Besuch unter verschiedensten Vorwänden, bis Calla ihn fragte, ob er sie nicht einfach mitnehmen wollen würde. Ronalds Leben auf dem Land faszinierte Calla und Calla faszinierte Ronald. Bei Tee und Kuchen unterhielten sie sich über den Alltag und Banalitäten, mit dem Fokus auf freundliche Aussichten in der nahen Zukunft. Kit hielt sich zurück, er hörte zu. Während Calla kurz davor war, eine Cavendish zu werden; Lady Montgomery und Lord Montgomery viel zu tun hatten, um den guten Namen ihrer Firma weiter aufrechtzuerhalten; Charlotte einer jungen Studentin Briefe aus Griechenland schickte; Violet geheimnisvolle Post aus Athen erhielt; Sven in sein Fischerdorf nach Norwegen zurückkehrte, um seinen Jungen wieder in die Arme schließen zu können und Olivia bereits den vierten Versuch unternahm für Audrey den perfekten Apfelkuchen zu backen, entschied Kit sich dazu Jamsie tatsächlich einen Brief zu schreiben.


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