Kit erwachte mit dem Schrei eines großen Vogels am nächsten Tag. Als er die Augen aufschlug, war er erst orientierungslos und wunderte sich über die drückende Hitze. Er wusste nicht, wo er war, doch als er sich umsah und Shells Schlafstätte entdeckte, konnte er sich erinnern. Heute war der Tag des Aufbruchs. Seine Knochen schmerzten, als er sich aufrichtete, sein Körper erinnerte sich nur zu deutlich an die Strapazen der letzten Tage. Shell schien schon auf zu sein, sein Bett war leer und seine Sachen fehlten. Die feuchte heiße Luft erschien Kit wie eine Wand, als er aus seiner Behausung trat, ihm blieb beinahe die Luft weg. Doch er war anscheinend der Einzige, der sich dran störte. Die Menschen auf der Straße, die den Eindruck machten, als wäre sie schon lange auf, wirkten heiter und entspannt. Er überlegte kurz, ob sie wussten, was er und Shell versuchen würden zu unternehmen, wofür sie sich einsetzen wollten und was für eine Gefahr zu drohen schien. Wahrscheinlich wussten sie mehr, als Kit wusste, denn dieser hatte im Großen und Ganzen keine Ahnung, was auf ihn zukommen würde. Er entdeckte Shell vor einer anderen Hütte, wie er sich mit zwei Männern unterhielt, er benutzte dabei geschickt seine Hände, um mit Gestiken seine Aussagen zu stützen. Zu Kits Überraschung trug Shell die Kleidung vom Schiff. Unsicher ging er auf die kleine Gruppe zu. Vielleicht würde er noch etwas Nützliches erfahren, bevor er in den Dschungel gejagt wurde. Shell beäugte ihn abschätzig, als er ihn kommen sah.
„Auch schon wach?", fragte er Kit beiläufig und nahm dann nicht weiter Notiz von ihm, als er versuchte sein Gespräch zu beenden.
„Hättest du mich wach gewollt, hättest du mich sicherlich geweckt", kommentierte Kit trocken und versuchte nicht auf Shells abweisende Art weiter einzugehen.
„Was ist der Plan?", Kit versuchte die Frage so klingen zu lassen, als würde es ihn nur ganz beiläufig interessieren.
„Wir brechen nach dem Frühstück auf. Ich habe nicht ganz verstanden, wie weit das andere Dorf entfernt liegt, aber wir sollten in zwei bis drei Tagen da sein. Sie schicken zwei ihrer besten Kundschafter mit, die uns den Weg zeigen."
„Zwei bis drei Tage? In der Zeit ist Heth schon drei Mal hier eingefallen."
„Das lässt sich nicht vermeiden, wir können nur hoffen, dass er nicht direkt mit der Tür ins Haus fällt und erst einmal versucht einen freundlichen Eindruck zu machen. Er weiß nicht, dass wir Verstärkung holen gehen. Ich habe Yuccan versucht klarzumachen, dass sie sich erst einmal kooperativ zeigen sollen, solange wir fort sind."
„Wenn sie Männer mitschicken, warum müssen wir dann überhaupt selbst gehen, macht es nicht mehr Sinn, wenn sie einfach die Sache allein klären?"
„Ich denke, es würde Sinn machen, wenn du einfach aufhören würdest, alles zu hinterfragen, das ist nämlich äußerst nervig. Sieh zu, dass du viel isst, wir werden erst heute Abend wieder Nahrung aufnehmen", Shell rollte mit den Augen und wandte sich von Kit ab.
Von diesem Zeitpunkt an, genau eine Stunde weiter gerechnet, befand Kit sich im tiefsten Dickicht des Regenwaldes. In regelmäßigen Abständen schlugen ihm Zweige ins Gesicht und verschiedene Baumrinden und Sträucher verkratzten ihm die Knöchel und Waden trotz langer Hosen. Er hatte eine Schüssel mit Maisbrei am Morgen zu sich genommen und dazu noch etwas Gebratenes, worüber Kit im Nachhinein gar nicht mehr so genau darüber nachdenken wollte, was es hätte gewesen sein können. Dennoch spürte er schon wieder den Ansatz von Hunger in seinem Magen und Seitenstiche. Schweigend folgte er Shell und den beiden Männern. Gelegentlich gaben sie einen Befehl, der universell verstanden wurde, wie „Vorsicht" oder „Halt". Sonst gab es nicht viel, was seinen Kopf beschäftigte, sodass er monoton Schritt für Schritt vorwärts setzte und sich fragte, wie weit sie wohl noch gehen müssten und wann das Ganze endlich ein Ende finden würde. Als er einen Frosch entdeckte und wenige Minuten später eine kleine Maus mit sehr langem Rüssel, hielt er gezielter nach den Tieren am Waldboden Ausschau. Es waren zahlreiche, doch sie versteckten sich gut und die meiste Zeit konnten Kit sie nur hören und nicht sehnen. Also sah er genauer hin. So genau, dass er einen Waschbären entdeckte und im gleichen Zug seine Gruppe aus den Augen verlor. Als Kit sein Fehler auffiel, fluchte er leise. Sie konnte nicht weit sein, Shell war gerade noch vor ihm gewesen. Vorsichtig drehte Kit sich einmal um die eigene Achse, um auszumachen, ob er noch irgendwo rote Haare zwischen dem dichten Grün um ihn herum entdecken konnte. Bevor er um Hilfe rief, würde er einfach schnellen Schrittes geradeaus weitergehen, dann müsste er auf sicheren Weg wieder mit seiner Gruppe aufschließen. Dem war Kit sich sicher. Er musste einfach wieder herausholen, was er zurückgefallen war. Nach ein paar Metern konnte Kit auch schon das leise vertraute Rascheln vor sich hören und er war sich sicher, wenn er sich einfach wieder hinten anhängen würde, würde sein Fehlen unentdeckt bleiben. Er kam dem Geräusch immer näher, doch es war weit und breit niemand zu sehen. Sie mussten nun direkt neben ihm stehen, doch Kit war allein. Ein schrilles Lachen ertönte plötzlich und nach dem ersten Schrecken war Kit sich sicher, dass Shell ihn an der Nase herumführte. Kit wollte schon nach dem Teenager rufen, als ihm mit unerwarteter Wucht eine große Nuss am Kopf traf, worauf hin wieder ein Lacher folgte. Kit rieb sich den Kopf und sah langsam nach oben. Er ahnte Schlimmes. Ein paar Meter über ihm saß ein großer schwarzer Vogel mit einem riesigen bunten Schnabel, der gleich mit der nächsten Nuss warf und sich köstlich amüsierte. Ein Tukan. Kit fluchte erneut leise, er hatte seine Reisegruppe verloren und wurde dazu noch von einem Vogel zum Narren gehalten. Er überlegte für eine Sekunde, ob er Streit mit dem Tier anfangen sollte, doch Kit entschied sich einfach zu gehen. Er drehte sich um, als ihn noch zwei Nüsse trafen und der Tukan sich erneut über seinen Treffer freute. Dann verstummte er abrupt.
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Dschungelfieber
AdventureCute as (S)hell - In einem fiktiven 1920 bewirbt sich der Musikstudent Kit Webster auf einen Job als Hauslehrer bei der wohlhabenden Familie Montgomery. Seine Aufgaben scheinen überschaubar: die Erziehung und Unterrichtung eines einzigen Kindes. Die...