Kapitel 44

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„Harry...es ist etwas schreckliches passiert...", meine Stimme brach. „ich brauche dich, Harry.", flüsterte ich.

Nachdem ich meine Nachricht auf Harrys Mailbox hinterlassen hatte, legte ich mein Handy auf meinen Nachttisch. Mein Blick wanderte durch den Raum, wie lange hatte ich dieses Zimmer nicht mehr gesehen. Alles war noch genau so, wie ich es verlassen hatte. Ich nahm das Bild, welches in einem roten Bilderrahmen eingerahmt war, von meiner Kommode. Geistesabwesend fuhr ich mit meinen Fingern über das Bild. Das Bild war vor ungefähr fünf Jahren aufgenommen worden. In erinnerte mich noch so gut daran, als wäre es gestern gewesen.

„Ich liebe dich, Mom." Flüsterte ich.

2 Stunden zuvor:

Ein Krankenwagen und ein Streifenwagen rasten an mir vorbei, während ich auf den Seitenstreifen ausweichte. Die Sirene der beiden Wagen war angeschaltet und ich blickte ihnen neugierig hinterher.

Als ich in die Straße zu meinem alten Haus einbog, bemerkte ich, dass der Streifenwagen sowie der Krankenwagen auch hier eingebogen waren. Hoffentlich würden sie nicht in der Nähe meines alten Hauses halten, denn eigentlich wollte ich in ruhe meine Rücklaufbriefe für meine Bewerbungen holen um zu schauen, ob ich irgendwo angenommen worden war.

Ich stellte das Radio ab, und lies die Scheibe der Autotür runter. Der Streifenwagen und der Krankenwagen hatten vor meinem alten Haus gehalten, sowie ein Van der Local-News und ein weiterer Polizeiwagen der gerade hinter mir aufgetaucht war und genervt darauf wartete, dass ich weiter fuhr.

Sofort machte sich ein mulmiges Gefühl in mir breit. War meinem Dad etwas passiert? Egal wir scheiße er mich in letzter Zeit, oder besser gesagt in den letzten Jahren behandelt hatte, ich konnte nicht auch noch meinen Dad verlieren, es würde mir das Herz brechen.

Ich stellte mein Auto ein paar Häuser weiter ab, dann ging ich mit klopfendem Herzen auf das Haus zu, welches mir plötzlich so vertraut vorkam, obwohl es mir in den letzten paar Jahren so fremd gewesen war. Ein paar Nachbarn, welche früher oft zu unseren Gartenpartys eingeladen waren, hatten sich auf dem Bürgersteig versammelt und unterhielten sich flüsternd miteinander. Als Mrs. Banerjee, meine alte Babysitterin mich entdeckte, schüttelte sie voller Mitleid den Kopf und wandte sich wieder Mr. Banerjee zu.

Ich spürte, wie der Kloos, welcher sich in meinem Hals gebildet hatte, drohte mich zu ersticken. Meinem Vater musste etwas passiert sein, stellte ich plötzlich mit entsetzen fest.

Ich rannte die Auffahrt hoch, vorbei an einem Polizisten, welcher versuchte, mich zurück zu halten, vorbei an einem Kameramann, der gerade das Mikrophon einstellte. Vorbei an allen, die versuchten mich daran zu hindern, ins Haus zu gelangen.

Alle Streite, alle Argumente und Diskussionen, die ich je mit meinem Vater gehabt hatte, spielten sich vor meinem geistigen Auge wieder ab. All die bösen Dinge, die ich über ihn gedacht hatte, kamen mir plötzlich wie elende Sünden vor. Ich würde mir niemals verzeihen können, dass wir in einem Streit auseinander gegangen waren und dass es jetzt wahrscheinlich zu spät war, die Dinge wieder gerade zu biegen.

Ich rannte die letzte Stufe der Treppe hoch und rannte durch die Eingangstür, direkt in die Arme meines Vaters.

Zuerst realisierte ich nicht, was los war. Aber als ich seine wärme spürte, wusste ich, dass er wirklich da sein musste. Meine Augen trafen auf seine, als ich aufblickte. In ihnen spiegelte sich der Selbe überraschte Ausdruck, wie in meinen. Sein Blick war weich.

„Dad", murmelte ich außer Atem. Für einen Moment vergaß ich alles um mich herum und alles, weswegen ich von Zuhause ausgezogen war, stattdessen zog ich meinen Vater in eine innige Umarmung. Er erwiderte die Umarmung zwar nicht, aber das war mir egal. Ihm schien es gut zu gehen und das war alles, was für mich in diesem Moment zählte.

Ich löste meine Arme von ihm und nahm einen Schritt zurück. „Was machen die Krankenwagen und die Polizisten hier, Dad?"

Im Hintergrund begann die Nachrichtensprecherin damit, den Ort, die Zeit und der Grund, weshalb sich die ganzen Streifen- und Krankenwagen hier versammelt haben aufzuzählen, doch ich hörte nur mit halbem Ohr zu. Meine Augen lagen gespannt auf meinem Vater. Seine Unterlippe zitterte, als er zu sprechen begann.

„Hope...sie haben Jessica gefunden."

Mein Herz setzte einen Schlag aus als ich ihren Namen hörte. Eine Last, von der ich bis jetzt keine Ahnung hatte, dass sie existierte, löste sich von meinen Schultern, als ich das Wort gefunden hörte. Mein gesamter Körper begann zu kribbeln und ich verstand nicht, wieso mein Vater noch immer diesen niedergeschlagenen Blick hatte.

„Ich wusste dass Mom wieder kommt!" Freude die mein Herz schmerzen lies, überkam mich. „Ist sie drinnen? Hat sie nach mir gefragt..."

„Hope...", mein Vater machte einen Schritt auf mich zu und legte seine Hände auf meine Schulter. „Sie haben ihre Leiche gefunden." Genau in diesem Moment, trugen die Sanitäter eine Trage mit einem schwarzen Plastiksack aus dem Garten. Der Kameramann versuchte so viel des Geschehnisses mit seiner Kamera zu filmen, doch die Polizisten hielten ihn auf abstand. Nachdem die Sanitäter, die Trage in den Krankenwagen eingeladen hatten, richtete der Kameramann seine Kamera auf mich, schnell schaute ich weg.

Mein ganzer Körper wirkte wie betäubt. Ich hatte kein Gefühl mehr in meinen Gliedern und die Hintergrundgeräusche schienen in einem Meer voller Verwirrung unterzugehen. Langsam ergab alles einen Sinn. Plötzlich war mir klar, weshalb sie mit einem Mal weg war. Wieso sie sich nie gemeldet hatte.

„S-sie ist... ermordet worden?", stotterte ich.

Ein Schauder fuhr mir die Wirbelsäule hinab.

Ermordet.

Tot.

Für immer weg.

All diese Worte machten in meinem Kopf keinen Sinn. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass meine Mutter tot und für immer weg war. Es musste ein Irrtum sein, sie mussten sich geirrt haben. Meine Mutter lebte. Aber wenn sie noch leben würde, wäre sie all die Jahre bei uns geblieben und Thayer wäre wahrscheinlich noch hier, bei uns. Bei seiner Familie.

Ich wartete noch immer auf eine Antwort, doch anstatt eine Antwort zu bekommen schloss mich mein Vater in die Arme und vergrub sein Gesicht in meinen Haaren.

Sämtlicher Hass, den ich ihm gegenüber für die letzten Jahre gespürt hatte, verflogen mit einem Mal und wurde mit dem Schmerz von Trauer betäubt. Ich versuchte nicht länger, meine Emotionen zu verstecken, sondern lies ihnen freien lauf.

Tränen flossen mir wortwörtlich die Wangen hinunter und ich hatte Angst, an meinen Schluchzern zu ersticken. Mein Vater weinte ebenfalls und dies gab mir den Rest. Ich umarmte meinen Vater noch fester, weil ich Angst hatte ihn ebenfalls zu verlieren, wenn ich ihn los lassen würde.

„WER HAT IHRE FRAU UMGEBRACHT?!"

„WAREN SIE ES?!"

„MISS MOORE WAS HABEN SIE ZU DEM FUND DER LEICHE ZU SAGEN?!"

„HABEN SIE SIE VERGRABEN?!"

Im Hintergrund riefen Reporter ihre Frage aus, ohne dass sie dabei darauf achteten, wie wir uns fühlten. Sie brauchten nur ihre Story und das machte mich krank. Ich löste mich aus der Umarmung und hob den Kameras und den Reportern meinen Mittelfinger hin.

„Lasst meine Tochter in Ruhe!", rief mein Vater, machte dabei einen Schritt auf die Reporter zu, welche sofort einen Schritt zurück traten.

„Wir bringen sie rein Miss Moore." Eine der Polizisten hielt die Kameramengen zurück während der Andere mich ins Haus begleitete.

Im Haus angekommen, führten sich mich ins Wohnzimmer, wo mich der Geruch von Zuhause und etwas Vertrautem begrüßte.

Undead | H.S. (ON HOLD!)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt