Part 20

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Ich bin nicht mit John ins Le Bistrot Pierre gegangen. Ich wurde nicht mit dem Gedanken fertig: ich amüsierte mich prächtig mit einem Jungen, während Harry litt und sicherlich Kummer nach uns allen hatte. Er hätte sich im Augenblick bestimmt gewünscht, mit einem hübschen Mädchen auszugehen.

Vor Bethany, seiner letzten Freundin waren da nicht allzu viele Dates. Cathrine, Lilly und Samantha, aber das mit ihr war sowieso nichts Festes. Sie wollte nur einen attraktiven Vorzeigefreund, der sie mit dem Cabrio von der Arbeit holte und jedes Wochenende mit ihr bis fünf Uhr morgens feiern ging. Nein - so war Harry nicht. Das war er nicht.

Zwei Wochen hat die Beziehung gehalten. Als er ihr Spiel und ihre Taktik durchschaute war schneller Schluss als sie schauen konnte. Anfangs bombadierte sie ihn wie eine Verrückte mit SMSen. Von wegen sie liebe ihn unendlich und ihr Leben wäre sinnlos ohne ihn. Sie rief einmal am Tag auf dem Festnetztelefon an, wenn er sein Hanfy ausgeschaltet hatte. Zwei Tage hielt sie die Masche durch. Mehr nicht. Nicht mal eine Woche später hatte sie einen neuen Macker. Diesmal einen dreißigjärigen stinkreichen Businessman. Für ihn war sie wahrscheinlich nicht mehr als eine kleine Affäre. Samantha rechnete sich dabei wahrscheinlich schon größere Chancen aus. Freudlos lachte ich auf, sie war so dumm und berechnend gewesen.

Ob das mit dem reichen Kerl noch aktuell war, wusste ich nicht. Jedoch hatte ich starke Zweifel daran. Sie wechselte ihre festen Freunde doch wie manche Leute ihre Socken.

Zurück zu meinem Bruder: keine Frau der Welt würde eine Beziehung mit einem jungen Mann eingehen, der zwei Wochen später in den Irak flog und tagtäglich um sein Leben kämpfte, während die Frau zu Hause um ihn bangen musste. Darauf hatte keine Frau so richtig Lust.

Am späten Abend sah mir eine Kriegsdoku an. Früher hätte ich mir das niemals angesehen. Ich ertrug das grenzenlose Maß an Leid einfach nicht. Jetzt tat ich es wegen Harry. Allein ihm zuliebe. In der Hoffnung, ihn in der Dokumentation zu sehen. Eine einzige Sekunde mit seinem Gesicht auf dem Bildschirm würde schon reichen, um meine Hoffnungen wieder leben zu lassen. Zu lange habe ich schon nichts mehr von ihm gehört.

Es flackerte ein unscharfes, verwackeltes Foto auf. Ein Soldat schleppte in gebückter Haltung auf dem Rücken einen Kameraden. Hinter ihm waren Bomben zu sehen, Handgranaten, die explodierten. Keine zwanzig Meter weiter hinter den beiden bereits die ersten Panzer. Noch ein paar Schritte und sie hätten es in den Schützengraben geschafft. Ob die beiden überlebt haben wurde nicht gesagt.

Erst jetzt begriff ich die eigentliche Bedeutung von: Bilder sagen mehr als tausend Worte. Ja, das taten sie wirklich. Dieser tapfere Soldat hatte den Mut sein eigenes Leben für das seines Kameraden aufzuopfern.

"Hast du schon etwas gegessen?" erkundigte sich meine Mutter und trat aus dem Türrahmen. Erschrocken fuhr ich zusammen. Ich habe gar kein Klopfen gehört. Hat sie überhaupt geklopft? Ich wusste es nicht. Zu vertieft war ich in die erdrückenden Bilder. Schwach hob ich den Kopf und nickte resigniert. "Wirklich?" hakte sie nach und hob fragend die Augenbraue. Ich seufzte und schüttelte dann den Kopf, "Nein, ich hab' nicht wirklich Hunger."

Ihr starrer, ernster Blick fiel auf den Fernseher. Panzer nach Panzer fuhr über den schlechten Schotterweg und machten dabei einen Höllenlärm. Die braunhaarige, kleine Frau ging mit langsamen Schritten auf mich zu und setzte sich ganz dicht neben mich auf das Bett. Ich roch ihr Parfüm. Vanille. Sonst, als mein Bruder noch da war trug sie immer ein anderes. War das ein Zeichen? Hat sie ihn etwa schon ... ich wagte es erst gar nicht noch weiter zu denken. Der Gedanke wäre zu heftig. Schnell versuchte ich an etwas anderes zu denken.

"Du wirst Harry dort nicht sehen. Die Reportage ist vor ein paar Jahren in Russland entstanden. Harry wurde versetzt. In die Ukraine. Dein Bruder hat sich wieder verletzt. Rechter Oberschenkel. Was genau los ist, weiß ich selbst nicht. Letzte Woche hat er angerufen." Ihre Stimme war belegt und klang bedrückender als die vielen Male, als ich diese Stimme schon gehört habe.

Ohne weiter nachzudenken stolperten schon die Worte aus meinem Mund: "Und das sagst du mir JETZT!?" Meine Lippen wurden ganz schmal vor Wut. In meinem Kopf dröhnte es und ich starrte meine Mom fassungslos an. Ihre blasse, schmale Hand griff genauso hilftlos wie ihr Blick nach meiner. Ich zog sie weg und sah sie durchdringend an.

"Joanna, komm schon, ich wusste doch wie verrückt dich das machen würde. Ich sehe doch, wie du herumhängst und völlig in dir selbst eingehst, wegen ihm. Ich weiß, wie fertig dich das alles macht, aber wir müssen es einfach aktzeptieren, so wie es ist, okay?" Die Lider flatterten unruhig. Ich öffnete den Mund, doch es kam nichts heraus. Meine Kehle war staubtrocken und mein Herzschlag beschleunigte sich. Sie kannte mich gut. Vielleicht auch zu gut. Eine Zeit lang herrschte Stille und ich hatte das Gefühl, dass sogar die Wanduhr aufhörte zu knacken. Keiner wusste so recht, was man sagen sollte. Doch nach einer geraumen Weile ergriff ich das Wort.

"Seit wann hatte er vor, zu gehen?" Nichts, als ein heißeres, kehliges Flüstern.

"Ich weiß es nicht.." Langsam strich sie mir mit den Fingerspitzen über den Kopf, durch die Haare und ließ dann ihre Hand auf ihren Schoß fallen. Ihr Blick verriet nichts außer Ratlosigkeit. Mir war heiß und kalt zur gleichen Zeit. Es war unerträglich. Eine lange Zeit sagte ich nichts. Kein einziges Wort, nicht mal ein Schnauben, ein veachtender Laut, ein erschrockenes Keuchen. Nichts. Ich wusste nicht, wieviel tonlose Minuten verstrichen, in denen ich meiner Mutter einfach nur in die gräulichen Augen sah und etwas darin suchte. Eine Antwort auf Fragen. Fragen zu Harry. Dabei wusste sie selbst genauso wenig wie ich. Wälzte sich nachts wahrscheinlich schlaflos von der einen auf die andere Seite, während die Gedanken pausenlos um ihren Sohn kreisten, der in Kriegsgebieten für ein Land kämpfte. Tränen sammelten sich in meinen Augen und ich wimmerte beinahe lautlos auf.

"Du hast ihn einfach gehen lassen." erwiderte ich mit erstickter Stimme. Sie erhob sich und ich sah, wie weh ihr meine Worte taten, doch Schuldgefühle war das letzte, was ich im Moment wollte. Mit schweren Schritten ging sie zur Tür. Dort wartete sie ein paar Augenblicke, ehe sie lautlos die Tür hinter sich schloss. Erst als ich keine Schritte mehr auf der Treppe hörte, ließ ich mich nach hinten in die Kissen fallen und ließ meinen Tränen freien Lauf und weinte leise in mein Kissen.

A/N: Aloha :) Ich hoffe euch hat Kapitel Numero zwanzig ein wenig gefallen. Über Feedback würde ich mich wie immer wahnsinnig freuen. Widmung geht an @mostannoyingperson. :D

Frage: Soll ich demnächst wieder aus Louis' oder Harrys Sicht schreiben?

Much love,
-Nina

Football TeacherWo Geschichten leben. Entdecke jetzt