Harry
"Rückzug!" befahl der Kommandeur, doch das bekam ich kaum noch mit. Weggetreten stolperte ich im Wagen, fünf Kameraden stiegen zu und wir rasten davon. Staub wirbelte in die Luft, sodass wir nur noch trüb die Außenwelt beobachten konnten. Benommen zog ich den Helm aus, wischte ich mir den Schweißfilm von der Stirn und atmete zitternd durch.
Zerstörte Häuser, Ruinen, bloße Fassaden flogen wie ein nichts an mir vorbei. Das einzige Geräusch war das Knirschen der dicken, robusten Jeep-Reifen auf der sandigen Kies-Straße. In dieser Stadt war es anders, als in denen, die ich kannte, die ich gewohnt war. Die, die ich fast schon gewohnt war. Die Zustände katastrophal. Menschen hausten in teils zerstörten und lediglich mit Lehm zusammengeklebten Papphäusern oder gar Ruinen. Man wunderte sich, wie Leute hier wohnen konnten, wenn man das überhaupt so nennen durfte. Es war nicht so, wie ich mir eine gewöhnliche Stadt vorstellte. Nein, es war etwas ganz anderes. Schwer mit Worten zu beschreiben, man musste sie einfach gesehen haben. Man konnte das Leid förmlich riechen. Frauen, Kinder wurden auf offener Straße misshandelt, geschlagen.
Gemeinsam schaffen wir auch das, hieß es so oft vom Offizier. Recht hatte er. Man kämpfte nicht weil man es wollte oder gar nusste. Nicht um sein Land oder seine Familie stolz zu machen. Nein, sondern aus Gemeinsamkeit. Aus Solidarität. Kämpfte, damit die Einheit vorankam, Zivilisten gerettent werden konnte, Aufständische zurückweißen.
Der Wagen brauste durch den streng bewachten Eingang, kam zum stehen und wir stiegen aus. Dutzende Gesichter begegneten mir und die Mehrheit von ihnen blickten emotionslos drein. Andere missmutig, erdrückt, andere froh, dass dieser Kampf vorbei es. Dabei steckten die wenigsten die Erlebnisse, die Strapazen, die glühende Anspannung, die sehr oft in der Luft lag, so einfach weg. Es war eine Fassade, die sie sich mit der Zeit angeeignet haben. Durch die niemand blicken konnte. Ich nahm den Helm ab, legte die Waffe nieder, war froh, endlich die verdammt unbequemen Stiefel ausziehen zu dürfen, duschte, schrubbte mir die Haare, als klebten Tonnen Haar-Gel in ihnen, rubbelte sie einigermaßen trocken, ehe ich in unser Zelt lief und mich niedergeschlagen auf mein Bett setzte. Jeder Kampf war anstrengend. Der eine mehr, der andere weniger.
Wie lange sein Vertrag wohl noch laufen würde, schoss es mir durch den Kopf, als ich Scott, der mir gegenüber war, in die ausdrucklosen, rehbraunen Augen blickte, die wahrscheinlich schon viel zu viel Leid gesehen haben. Der Brite war bereits seit zweieinhalb Jahren beim Militär und doch unterschied sich jeder Tag vom anderen, meinte er oft, wenn ein paar Kameraden über eine gewisse nervtötende Routine sprachen. Talings, welcher direkt neben mir saß, zog lange an seiner Zigarette, die zwischen seinen spröden Lippen klemmte, ehe er den Mund öffnete und den Rauch hinausbließ. Der junge Mann, der mit der Zeit mein bester Kumpel geworden ist, zitterte am ganzen Körper und als Talings das bemerkte, bot er Scott die halbgerauchte Kippe an, dieser nahm einen langen Zug, inhallierte fahrig, beinahe schon unruhig das Nikotin ein und wurde augenblicklich ruhiger. Das Zittern ließ langsam nach, die innere Unruhe, die plagenden Schuldgefühle, das Gefühl, man müsse das vergangene irgenwie wieder ausbügeln dagegen keinesfalls, das traute ich mir wetten.
"Ich habe einen Zivilisten erschossen." flüsterte mein Kumpel monoton, fast wie eine gesteuerte Roboterstimme und senkte den Blick, klemmte den Kopf zwischen beide Hände und ich glaubte, ein ersticktes Schluchtzen zu hören. Mir war klar, dass er keine Antwort von uns erwartete, doch ich wagte es trotzdem. Ihm zuliebe. Gott, Scott hat schon soviel für mich getan. "Hör zu, du kannst nichts dafür. Es ist nicht deine Schuld, er hätte sich offensichtlich zu erkennen geben müssen. Mach dir keine Vorwürfe, Fehler passieren, nur daraus kann man lernen. Es ist vorbei und du kannst nichts dafür. Außerdem war es eine neue Waffe, sie war ungewohnt, komplex. Du bist unschuldig. Scott, glaub mir, es wäre jedem von uns passiert!" redete ich nun eindringlich auf ihn ein und rüttelte an seiner Schulter.
Er hörte mir gar ncht mehr zu und redete unbeirrt weiter. "Ich hätte es wissen müssen. Wieso ist mir das nicht aufgefallen? Ich bin nicht mehr in der Grundausbildung, wo nunmal Fehler passieren. Verdammte Scheiße, wie kann man denn nur so blind sein!?" Der Mann aus Manchester schlug mit der Faust auf die Matraze, sodass sie bebte. Seine Stimme war aufbrausend, überschlug sich und seine Wangen waren gerötet. Dann fuhr er fort. Diesmal mit ganz leiser, heißerer Stimme. "Es hätte jeder andere sein können, doch ich war es, der den Schuss abgefeuert hat." Nicht mehr als ein tonloses Flüstern. Jetzt sah er mich an, war ganz dicht bei mir. Fragend, als könne ich ihm seine Vorwürfe bejahen, als könne ich ihm Antworten geben. Wütend, auf sich selbst, seine Tat, seine Reaktion. Enttäuscht, weil er den Zivilisten erschossen hat.
Ich habe in dem Jahr als Soldat einiges gesehen. Zerstörung, Leid, Angst, Schmerz, Tote, doch sein bloßer Anblick brach mir wirklich das Herz. Es war, als ob der Scott den ich kannte heute ganz weit weg von all dem war. Seine Unterlippe bebte und seine Lider flatterten schwach. Mit einem Mal hatte ich Angst, er würde zusammenbrechen und wusste nicht, ob ich Tony zur Hilfe holen sollte. Stattdessen versuchte ich abermals, ihn zu beruhigen.
"Mach dir keine Gedanken. Wir alle hätten genauso reagiert. Wie um alles in der Welt, willst du einen derart gekleideten Kerl von den Feinden unterscheiden. Das, Scott, ist ein Ding der Unmöglichkeit."
Seine Hand griff nach meiner, umklammerte sie und er fing wieder an zu zittern, weinte hemmungslos in meine Uniform, bis sie nicht mehr tarngrün, sondern der Teil von der Schulter bis zur Brust schwarz gefärbt war. Es war okay. Okay, zu weinen, loszulassen, alles herauszulassen, das Ventil zu öffnen, wenn auch nur für einen Spalt. Wenn man alle Probleme in sich hineinfraß, nie darüber sprach, würde man daran auf die Dauer zu Grunde gehen. Ich wusste, dass der Tod des Zivilisten nur ein Bruchteil für seinen Zusammenbruch war. Es waren die unzähligen, teils unvorstellbaren Dinge, die mein Freund ansehen musste, erleben musste und keine Chance hatte, einmal schwach zu werden, Schwäche zu zeigen. Er konnte nicht, wusste, dass sie Leute wie Talings an ihm ein Vorbild nahmen, also schwor er sich zu Beginn seiner Zeit bei der Armee, nicht aufzugeben, sich nicht unterkriegen zu lassen. Doch man konnte sich sovieles schwören und vornehmen, am Ende gewann die Psyche, die nur danach schrie, einmal jemandem alles zu offenbaren. Wieder und wieder klopfte ich ihm auf die Schulter und nahm ihn nicht nur einmal in den Arm.
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Mittlerweile war es Mitte August und die Sache mit Tony entwickelte sich, sodass es mir Himmelangst wurde. Eine Beziehung im Militär einzugehen waghalsig und risikoreich. Das war uns bewusst. Wir waren nicht zusammen, doch ich hatte sie in den letzten Wochen unglaublich lieb gewonnen.
Wenn unsere Einheit gerade nicht trainieren mussten, auf einen Operationsbefehl warteten oder zu einer Operation mussten, war ich bei Scott oder ihr. Das entging auch meinen Kameraden nicht, ebenso wie die nervigen Kommentare und die eindeutigen Blicke von Talings. Himmel, manchmal war er wirklich so ein dämlicher Idiot!
Ich genoss es Zeit mit ihr zu verbringen, kostete jede Minute aus und erfuhr einiges über sie. Sie wuchs in Manchester auf, wollte BWL studieren, ehe sie feststellte, dass das einfach nicht das richtige für sie war. Dann durchfuhr sie plötzlich so ein absurder Gedanke zum Militär zu gehen, wie sie mir erzählte. Soldatin war für sie kein Thema, sodass sie diesen Job wählte. Was für ein Glück, dachte ich und mein Herz machte einen Sprung.
Tony erzählte mir soviel und ich sog all die Informationen gierig wie ein nasser Schwamm auf. Auch das sonst so heikle Thema Exfreunde wurde angesprochen und es fühlte sich an, als ob wir über irgendwelche Kleinigkeiten wie unsere Geburtstage reden würden. Momentan war sie Single und als sie siebzehn war, datete sie einen Jungen, der jedoch (wie so oft) nur Sex wollte, sodass sie das sofort beendete. Dann war noch ein junger Mann, mit dem sie einige Monate zusammen war. Er verließ sie jedoch, als sie ihm ihre neue Festanstellung verkündete. Genauso wie Bethany damals bei mir. Wir teilten quasi dasselbe Schicksal, wurde mit mir einem Mal plötzlich bewusst.
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Ich weiß, ich weiß, nicht DAS spannendste Kapitel schlechthin, aber ich persönlich steh auch nicht auf diese Art, in der jedes Kapitel mit einem Cliffhanger und jede Menge Action endet. :)
xoxo,
nina ღ
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Football Teacher
Fanfiction❝Louis, bring es ihr bei.❞ ❝Ich unterrichte doch keine Mädchen!❞ ❝Ich weiß nicht, ob ich überlebe, also bitte tu mir den Gefallen.❞ All rights reserved © 2018 to admiredstyles