Part 03

4.1K 226 23
                                    

Joanna

Ob Harry jetzt wohl auf irgendeinem Einsatz war und einige Zivilisten verteidigte, ob er gerade im direkten Kampf mit einem Feind war oder ob er in einer Kaserne sitzen würde und an irgendeiner neuen Waffe üben würde? Ich wusste es nicht, doch inständig hoffte ich, dass die dritte Möglichkeit stimmte. Oh, wie sehr ich Harry vermisste, so sehr das es innerlich schmerzte. Ich vermisste alles an ihm. Alles fehlte mir. Es war, als ob ich ohne ihn ein nichts wäre. Ich wusste nicht genau, was der Auslöser für die heftige Trauer und Wehmut war. Vielleicht das Bild von uns vor 2 Jahren, das ich vorhin wieder in der Hand gehalten habe, vielleicht das Essem, welches ich vorhin gekocht habe, das wir uns immer gemacht haben, als es gewittert hatte. Ich hatte keine Ahnung. Mein Magen krampfte sich bei den Erinnerungen, die hochkamen, zusammen.

Ich bereute soviele Dinge. Ich würde mich am liebsten auf der Stelle bei meinem Bruder für soviele Dinge entschuldigen. Das ich Harry so oft mitten in unseren meist so unnötigen Streitereien an den Kopf geworfen habe, er sei nie für mich da. Es war Blödsinn und würde es auch immer bleiben.

Harry war immer für mich da. Als ich völlig verheult vor unserer Wohnung mit einer halbvollen Flasche Vodka in der Hand stand, weil mein damaliger Freund mit mir Schluss gemacht hat. Oder als ich Streit mit Gemma hatte und mich jedes Mal bei Harry ausgeheult habe. Das waren nur zwei von tausenden von Situationen, in denen Harry für mich da war. Im Moment wünschte ich mir einfach meinen Bruder zurück, wollte das er mich in die Arme schloss, mir über die Haare streichelte und sagen würde, alles wird gut. Doch das tat er nicht. Er war an irgendeinem Standort, mitten im Krieg. Eine Gänsehaut umhüllte meinen Körper.

Und dabei fragte ich mich, ob er auch so oft an mich dachte wie ich an ihn. Immer mehr und mehr Tränen sammelten sich in meinen Augen an. Ein Klopfen. "Styles?" Ich drehte mich um. Er kam auf mich zu und musterte mich. "Was ist denn los Joanna?", fragte Louis mit weicher Stimme, dazu ein falsches, aufgesetzes Lächeln.

Sein dummes Lächeln konnte er jemanden anderes schenken, einer seiner abertausenden Tussis von Doncaster! Die Wut brodelte nur so in mir. "Das geht dich überhaupt nichts an!" schrie ich wütend und schlug mit der geballten Faust auf die Matraze. Sein Lächeln war jetzt völlig verschwunden. Ich wischte mir mit der Handoberfläche ein paar Tränen aus dem Gesicht, schob ihn nach draußen und schlug wütend die Türe hinter mir zu.

Schluchzend nahm ich mein Handy, tippte Harrys Nummer ein, ließ es sinken und warf es mit voller Wucht auf den Boden. Es zersprang in tausende Teile, doch das war mir egal. Ich konnte nichts denken nur ein Wort.

Harry Harry Harry Harry Harry

Immer wieder. Meiner Kehle entflohen verzweifelte Schreie. Ich schrie aus Sehnsucht, aus Verzweiflung, aus Trauer. Trauer, die mich jeden einzelnen Tag verfolgte. Angst, Angst um meinen geliebten Bruder. Aber das allerschlimmste war die ständige Ungewissheit. Lebte er noch? Hatte er sich verletzt? Ich schniefte und schlug.die Hände über meinem Kopf zusammen.

Harry

Mir war bewusst, dass es lange dauern würde, bis ich wieder nach Hause konnte. Doch in meinen Gedanken war ich immer bei meiner Familie, bei meinen Freunden. Aber hauptsächlich bei Joanna. Mein Gott, ich hätte niemals gedacht, das ich so sehr Heimweh hätte.

Ich schluckte schwer, als ich wie so oft in letzter Zeit, das Bild aus meiner Hosentasche nahm. Und obwohl ich das Foto in und auswendig kannte, jeden einzelnen Winkel und jede Faser kannte und immer hervorzog, wenn ein Kampf besonders schwer war oder wenn ich Streit mit meinen Kameraden habe, war es immer wieder und jedes Mal ein Lichtblick. Das Bild schenkte mir Zuversicht - sie schenkte mir Zuversicht. Sie war der Lichtblick im Dunkeln.

Das kleine Foto wurde im Sommer vor 2012, also vor zwei Jahren aufgenommen. Jo, als sie achtzehn war, ich damals zwanzig. Ihre Blonden schulterlangen Haare umrahmten ihr Gesicht mit den funkelnden Augen, die jedes Mal, wenn sie mich sah leuchteten. Ich würde es nie vergessen, wie intensiv ihre Augen strahlten, wenn ich sie erblickte. Ich schmunzelte. Breit grinste sie, während ihre Stirn an meiner lehnte. Meine Locken fielen mir damals schon so ins Gesicht, sodass meine Augen komplett verdeckt wurden. Wie gerne ich ihr jetzt über den Kopf streicheln würde und mit den Fingerspitzen durch ihre langen dunklen und weichen Haare fahren. Tränen traten in meine Augen. Eine rollte schon meine Wange hinunter. Ich seufzte und sah zum Fenster hinaus. Dicke Regentropfen perlten an der Zeltplane ab. Hoffentlich wartete heute kein Einsatz auf mich. Ich biss mir auf die Unterlippe. Na ja bei Regen zu kämpfen, war besser als bei 40 Grad im Schatten. Es war unvorstellbarer Horror. Zu kämpfen, unter unglaublicher Anstrengung und dann noch unter dieser Hitze.

"Styles!" kam es plötzlich im gewohnt scharfen Ton, jedoch drang die bekannte Stimme nur gedämpft von der Türe hervor. Ich wollte etwas erwidern, doch meiner Kehle entwich nur ein heiseres Krächzen. Ich hob meinen kahl rasierten Kopf, sie mussten ab. So sehr es auch weh tat mich von meinem Markenzeichen zu trennen. Mit einem mulmigem Gefühl im Bauch stand ich auf und machte die Türe auf. Oberoffizier Lupis stand noch immer im Türrahmen und war schon einsatzbereit, ganz im Gegensatz zu mir. Meine Kehle schnürte sich zu, als ich die nächsten Worte hörte.

"Beweg dich, Einsatz!"

Ich räusperte mich und rief meinem Kameraden Scott und Dan. Unauffällig faltete ich das Foto zusammen und ließ das kleine Bild in meine Hosentasche verschwinden. Schweigend zog mir meine Stiefel an, nahm mir meine Waffe und den Helm, stieg ein und schlug die Türe hinter mir zu. Es ging los - mal wieder.

-

Song: Broken - Lifehouse

Widmung geht an @joongex. Ich hoffe, ihr mögt das Kapitel. :) Was denkt ihr, was als nächstes passiert? Feedback? xoxo

Football TeacherWo Geschichten leben. Entdecke jetzt