5. - Wahnwitzig

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Wir fanden uns schließlich in einem urigen Londoner Pub wieder, in dem wir die verbleibende Zeit bis zum Beginn des Theaterstücks, zu dem Nikolas uns in einer dubiosen Nacht und Nebel Aktion spontan noch Sitzplätze ergattert hatte, verbringen wollten. Das zumindest hatte Hanna mir vor wenigen Minuten ins Ohr geflüstert.

Die Gruppe der Schüler quetschte sich zuerst durch die Eingangstür und schließlich in eine Sitzecke, die trotz einer um die Ecke führenden Bank für deutlich weniger Personen ausgelegt war, als wir es waren - aber egal, zum Glück hatten wir überhaupt einen Platz ergattert.

Inzwischen hatte ich mich halbwegs beruhigt und versuchte angestrengt, mich von Saras Präsenz nicht mehr allzu sehr durcheinander bringen zu lassen.

Auf dem Weg hatte ich mich bis auf einen kurzen Moment, in dem Sara Nikolas mit einem ernsten Blick zur Seite genommen hatte, mit diesem und Hanna unterhalten.

Wobei das Gespräch ehrlicherweise weitestgehend aus einer Diskussion zwischen Hanna und Nikolas bestand, während ich ab und an einen Satz einwarf und zeitgleich versuchte, Saras  Stimme im Gewusel hinter uns zu verorten.

Nun saß ich zwischen Helena und Anna, die im Laufe des Gesprächs immer näher an mich heran rückten und Nikolas, der schon zwei mal freundschaftlich seinen Arm um mich gelegt hatte und sich einen Spaß daraus machte, dass sowohl seine Schülerinnen, als auch Sara ihn wütend anfunkelten.

Ich lachte über ihn und freute mich über den Austausch mit ihm und Hanna. Dennoch verunsicherten mich Saras wütende Blicke, die sie ihm immer wieder zuwarf.

„Naja, und jetzt wo ich mit dem Bachelor fertig bin, mache ich erstmal eine kleine Pause. Und da dachte ich, warum nicht mal ein paar Tage in London verbringen, wenn ich schon die Möglichkeit habe, bei Lili zu bleiben", schloss Hanna gerade ihre Erzählung, als Sara, die noch die letzten Anweisungen und Regeln an die Schüler weitergegeben hatte, sich endlich neben Nikolas auf die Bank fallen ließ und dabei ein Seufzen ausstieß.

Die Schüler bestellten fröhlich die ersten Getränke - Nikolas und Saras Ansage entsprechend natürlich allerhöchstens Bier, vermutlich hatten sie keine große Lust auf Schnapsleichen im Hotelflur - während ich in die Runde blickte und Saras Blick auffing.

Sie lächelte mich freundlich an und löste damit erneut einen Sturm der Gefühle in mir aus, der mich doch deutlich an vergangene Momente erinnerte.

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Schon nach wenigen Unterrichtsstunden, die ich damit verbrachte hatte, sie anzustarren, schien sie mir gegenüber zumindest eine gewisse Zuneigung zu hegen, die über den Unterricht hinaus ging.

In leisen Momenten hatte sich zwischen uns häufig eine gewisse Vertrautheit angebahnt, die mich stets mit pochendem Herzens und einem trockenen Mund zurückgelassen hatte.

Zu anderen  Gelegenheiten hatten wir entspannte Gespräche geführt, die von vorsichtiger gegenseitiger Zuneigung geprägt gewesen waren, aber auch von zuckenden Mundwinkeln und Augenbrauen.

Zwischen uns herrschte trotz unseres Altersunterschieds eine Spannung, die sich nicht verleugnen ließ. Ich für meinen Teil hatte jedenfalls schon vor langer Zeit damit aufgehört.

Genau wie jetzt hatten Saras Augen, ihr Lächeln und die sanften Worte, die sie sprach, mich damals häufig vollkommen aus dem Konzept gebracht.

Meine Wangen hatten sich rot gefärbt und ich hatte den Blick senken müssen, wenn sie während des Unterrichts mit mir sprach - nicht, weil ich eine sonderlich schüchterne Schülerin gewesen war, sondern weil ich mir sicher gewesen war, dass sie durch mich hindurch blicken konnte.

Nichts für immerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt