35. - Midlife Crisis

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Mein Herz lief auf Hochtouren, während wir die letzten Stufen zu Saras Wohnung hinaufstiegen. Und diesmal war das keinesfalls der Treppe zuzuschreiben.

Katharina sprach mir gut zu. Jetzt war ich doch froh, sie im Schlepptau zu haben. Ohne sie wäre ich vermutlich wieder umgedreht. Im richtigen Stock angekommen fiel mir sofort auf, dass die Tür nur angelehnt war. Aus dem inneren der Wohnung klang Musik und wir hörten Stimmen.

Leicht panisch drehte ich mich zu Katharina um, "Das klingt garnicht so sehr nach einer Feier im kleinen Kreis".

"Das ist gut", sagte sie, "Dann könnt ihr auf dem Klo vögeln und keiner merkt, dass ihr weg wart".

Ich verdrehte die Augen, dann lehnte ich mich leicht gegen die Tür und wir stolperten in den Flur. In meinen Händen trug ich das Geschenk für Sara, mit dem ich einigermaßen zufrieden war. Ich war mir unsicher gewesen, was ich ihr schenken sollte, und hatte mich schließlich für eine Schallplatte einer ihrer Lieblingsalben und einen Roman entschieden, den ich selbst sehr gerne gemocht hatte. Außerdem hatten Katharina und ich Blumen besorgt.

Die Wohnung war voll. Es lief Musik und überall standen Menschen herum, die sich angeregt unterhielten, tranken oder tanzten. Wir schlängelten uns durch die Leute und fanden Sara schließlich im Esszimmer, wo sie, umringt von drei Männern, gerade eine Anekdote erzählte.
Mein Blick fiel sofort auf sie, obwohl sie hinter mehreren breiten Rücken verschwand. 

Sie trug einen dunkelblauen Jumpsuit, der gleichermaßen schick und lässig war und ihre
Augen auf eine furchtbare Art betonte. Den Kragen hatte sie umgeschlagen, sodass sowohl ihr Ausschnitt als auch ihre Schultern, die vom Oberteil ausgespart wurden, freilagen.
Mein Mund wurde augenblicklich ganz trocken.

Sie strahlte und ihre Augen leuchteten und sie fuchtelte mit den Händen in der Luft herum. Für einen Moment zog ich in Erwägung, einfach wieder zu gehen. Ich wollte ihren Abend nicht zerstören mit meiner Anwesenheit und der Tatsache, dass ich sie verletzt hatte. Doch dann fiel ihr Blick auf Katharina und mich und sie verstummte.

Ich beobachtete ihr Gesicht genau, welches in kürzester Zeit ungefähr alle dem Menschen möglichen Stimmungen widerspiegelte. Dann aber lächelte sie uns an und kam ein paar Schritte auf uns zu.

Zunächst umarmte sie Katharina und bekundete ihr Beileid zum Tod ihrer Mutter. Katharina sah dabei jedoch ziemlich fröhlich aus.

Dann drehte Sara sich zu mir um und legte ganz kurz den Kopf schief, bevor sie mich mit einem leisen "Hallo, Lili" begrüßte und mich in den Arm nahm.

Mein Herz raste und meine Gedanken fühlten sich ziemlich schwammig an, jetzt, wo ich ihr endlich wieder so nah war. Ihre Arme hatten sich fest um meinen Oberkörper gelegt und ich spürte ihren warmen Atem an meinem Hals.
Ich hörte ihr Herz pochen, wobei, vielleicht war es auch mein eigenes, und ihr Duft stieg langsam in meine Nase und machte mich ganz schwindelig.
Sie löste sich vorsichtig von mir.

"Alles Gute zum Geburtstag", sagte ich leise, mir der Tatsache bewusst, dass die Männer, mit denen Sara sich gerade noch unterhalten hatte, unserer Konversation lauschten.

Sara bedankte sich und nahm mir das Geschenk vorsichtig aus den Händen.

Mein Blick blieb kurz an ihren Lippen kleben und dann an ihrem Nacken und an ihren Haaren. Sie war schön. Es war, als hätte ich mal wieder vergessen gehabt, wie anziehend sie war, und jetzt brach es über mich herein wie ein Sturm. Mein Herz pochte laut und meine Ohren rauschten, während mein Körper sich ganz zittrig anfühlte.

"Schön, euch zu sehen", sagte sie dann und trat einen Schritt zurück. Sie sah mich noch einen Moment an, dann wandte sie sich leicht zur Seite, "Ich stelle euch diese wirre Runde hier mal vor. Nik, den kennt ihr ja".
Sie deutete auf Nikolas Schlosser, der in seinem üblichen schlichten Look - heute jedoch sogar mit einem offenen obersten Hemdknopf - direkt neben ihr stand und ein Bier in der Hand hielt.
Er nickte Katharina zu und lächelte mich an, bevor er mich kurz in den Arm nahm.

"Mark", meinte Sara nun und nickte dem Mann zu, der neben Nikolas stand und mich breit angrinste, "Ihr kennt euch ja schon ein bisschen. Wenn auch unfreiwillig...".

Sara grinste und zog die Augenbrauen hoch, sah mich jedoch im gleichen Moment entschuldigend an. Mir stieg eine leichte Röte in die Wangen und ich sah im Augenwinkel, wie Katharinas Augenbrauen in die Höhe schnellten.
Diesen Kommentar hätte Sara sich nun wirklich verkneifen können.

Mark schüttelte mir die Hand. Dann lehnte er sich ein Stück zu mir vor, "Mach dir nichts draus, sie ist nur gemein zu Leuten, die sie sehr gerne hat". Ich grinste vorsichtig zurück.

"Und Andreas, mein bester Schulfreund", schloss Sara ihre Vorstellungsrunde und ich grüßte auch den dritten in der Runde. Er war ziemlich breit und kam mir irgendwie bekannt vor, vielleicht war er einer der Männer gewesen, die Lasse und ich mit Sara getroffen hatten.

"Du bist also die Midlife-Crisis", sagte er zu mir und auch auf seinem Gesicht tauchte ein breites Grinsen auf. Ich stockte für einen Moment, dann nickte ich blickte kurz zu Sara, die verschmitzt lächelnd den Blick abwandte.
"Ja genau, die Midlife-Crisis".
Katharina neben mir kicherte in sich hinein.

"He", ermahnte Sara ihn nun und stieß ihn leicht in die Seite, "Das ist nicht nett. Die Midlife-Crisis hat auch einen Namen".

"Möchtet ihr etwas trinken?", fragte sie dann an Katharina und mich gewandt, woraufhin wir beide energisch nickten.
Sara zog eine Augenbraue hoch, "Und wie kommt ihr nach Hause?".

"Taxi", sagte ich und folgte Saras Schritten, die sich der Küche und damit, wie ich vermutete, den Getränken näherten, "Ist das das, was du unter einer Feier im kleinen Kreis verstehst?".
Sara lachte und ihr Lachen schallte in meinen Ohren und sorgte dafür, dass meine Hand sich leicht in Katharinas Arm krallte, den ich gerade so zu fassen bekommen hatte.

Sara drehte sich kurz zu mir um, bevor sie vor der Küchentheke zum Stehen kam.
"Nicht so richtig", erklärte sie, "Irgendwie haben Freunde von mir noch ein paar Leute mitgebracht und jetzt ist es eher wie eine Uni-WG Party hier. Ich kenne ungefähr ein Drittel der Menschen".

„Oha", stieß Katharina aus, „Das klingt viel cooler als alles, was ich mir unter einem 40ten Geburtstag vorgestellt habe".

Ich stieß sie in die Seite.
„Ich nehme das jetzt einfach mal als Kompliment", entgegnete Sara und zwinkerte Katharina frech zu. Meine Eingeweide verknoteten sich.

Ich wusste genau, dass auch Katharina Sara immer ganz gut gefunden hatte. Auch, wenn sie in den letzten Monaten versucht hatte, mich das vergessen zu lassen.
Sara war genau Katharinas Typ Mensch - gut, wessen Typ wäre sie wohl nicht gewesen. Sie war selbstbewusst, humorvoll und überdies sehr attraktiv. Egal, welchen Raum sie betrat, alle Augen landeten auf ihr und wenn sie sprach, konnte man den meisten Menschen geradezu beim Sabbern zusehen.

Sara schenkte uns beiden Getränke in große Weingläser ein und drückte sie uns in die Hände, bevor sie von einer männlichen Stimme in den Flur gerufen wurde und sich mit einem entschuldigenden Nicken von uns verabschiedete.

Nichts für immerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt