27. - Wildfremd

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Im Innenraum der Kneipe traf ich auf Lasse, der mich breit grinsend begrüßte und in den Arm nahm.
Er hatte sich scheinbar schon mit Katharina kurzgeschlossen, denn auch diese grinste mich an und schüttelte leicht mit dem Kopf.

„Da trifft man die eigene Schwester einmal in Berlin und schon steht sie knutschend irgendwo vor 'ner Kneipe rum", gab Lasse nun von sich und legte seinen Arm um eine hochgewachsene Frau, die direkt neben ihm stand und mich freundlich anlächelte.

„Lili", sagte Lasse nun und deutete auf mich, „Nastia". Er blickte die Frau neben sich an und ich bemerkte belustigt, wie sich seine Wangen leicht rot färbten, als er sie ansah.

Ich schüttelte Anastasia die Hand und setzte mich wieder neben Katharina auf die Bank, die meinen Bruder und seine Freundin - wer wusste das schon - prompt in ein Gespräch verwickelte und mir damit ein wenig Zeit verschaffte, wieder runter zu kommen.
Vorher handelte ich mir allerdings noch einen kleinen Seitenhieb von Katharina ein.

„So viel zum Thema du hast keine Lust auf Sex mit einer Wildfremden", murmelte sie in mein Ohr und grinste mich breit an.

Meine Beine fühlten sich vor Erregung noch ganz wackelig an und ich war mir sicher, dass auch meine Frisur ein wenig unter der Aktion vor der Tür gelitten hatte.
Ich war durcheinander.
Weil ich Lissy wollte und es sich gut und leicht anfühlte, ihr nah zu sein.
Und, weil ich die ganze Zeit an Sara dachte.

Während ich versuchte, meine Gedanken zu sortieren und mich neben Katharina zurück lehnte, hatte ich auch die Chance, Anastasia etwas genauer unter die Lupe zu nehmen.

Sie war zweifelsohne sehr attraktiv.
Ihre dunkelblonden Haare fielen in sanften Wellen über ihre Schultern, sie war recht groß - fast so groß wie mein Bruder - und sie hatte dunkle Augen, die schon beim ersten Blick eine gewisse Tiefe vermuten ließen.
Besonders auffällig war außerdem eine schmale Zahnlücke zwischen ihren Schneidezähnen, die viele andere Menschen vermutlich entstellt hätten, Anastasia aber noch schöner und begehrenswerter machte.

Ich blickte von ihr zu Lasse und wieder zurück, nur um festzustellen, dass dieser sie ebenso fasziniert betrachtete, wie ich es bis gerade getan hatte.
Anastasia unterhielt sich derweil noch immer mit Katharina und schien Lasses Schmachten von der Seite zwar wahrzunehmen, jedoch größtenteils zu ignorieren.

Ich grinste in mich hinein, jetzt konnte ich tatsächlich verstehen, dass mein Bruder sich nicht traute, dieser Frau seine Gefühle zu gestehen.
Auf der anderen Seite verhielten die beiden sich sehr vertraut und ich hielt es durchaus für möglich, dass Lasse mittlerweile mit ihr darüber gesprochen hatte.

Schließlich erwischte er mich beim Starren, grinste mich an und zog mich einige Augenblicke später wieder in den Eingangsbereich der Kneipe, wo wir uns eine Zigarette teilten.

„Wer ist sie?", fragte er mich und zog den Rauch in seine Lungen.
Er musste schon betrunken sein. Er rauchte grundsätzlich nur, wenn er betrunken war.

Ich zuckte mit den Schultern - etwas, das ich am heutigen Abend schon zu oft getan hatte.
„Heißt Lissy", entgegnete ich und nahm meinem jüngeren Bruder die Zigarette aus den Fingern.

„Und? Was ist mit deinem Hansi-Hasi?", harkte Lasse glucksend nach.
Ich schüttelte in Anbetracht dieses albernen Spitznamens für Sara nur den Kopf, musste aber trotzdem grinsen.
„Die ist nicht hier. Und sie hat Kinder", lautete meine Antwort.

„Lili", sagte Lasse mit einem mahnenden Klang in der Stimme, „Ich sehe dir doch an, dass du dich eigentlich nach etwas ganz anderem sehnst, als dieser - zugegebener maßen ziemlich heißen - Frau da. Oder sollte ich lieber sagen, nach jemand anderem?".
Er zog, vermutlich in Anbetracht seines betrunkenen Zustands, die Augenbrauen hoch und lies sie Zucken.

Nichts für immerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt