26. - Gefühlsintensiv

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"Meine Fresse", war das erste, was ich von Katharina hörte, "Du siehst Scheiße Heiß aus, Lillsen".
Ich fing an zu lachen und schloss die junge Frau, die mit großen Augen im Türrahmen stand, einen Moment später fest in die Arme.
Katharina hatte meinen Spitznamen aus Schulzeiten benutzt, der immer ihr vorbehalten gewesen war. Sofort fühlte ich mich ihr auf eine sehr merkwürdige Art und Weise verbunden.

Sie hatte sich äußerlich verändert. Ihre dunklen Haare, die sie in ihrer Jugend fast immer gefärbt getragen hatte, fielen jetzt wirr und in ihrer original Farbe auf ihre Schultern. Und ihre Augenbrauen waren weder Wasserstoffblond, noch in der Hälfte zerteilt.

Sie ließ mich schließlich los und schob mich an den Schultern ein Stück von sich weg, bevor sie den Blick über mich wandern ließ.
"Da wird dir deine Social Media Präsenz aber wirklich nicht gerecht", fügte sie hinzu und grinste mich breit an. Dann nahm sie mich noch einmal in den Arm.

Ich war ein wenig geplättet von ihrer überschwänglichen Begrüßung, schließlich hatten wir uns mehrere Jahre nicht gesehen und waren auch nicht unbedingt im Guten auseinander gegangen. Doch Katharina schien all dies vergessen zu haben - vielleicht war sie auch einfach weniger nachtragend als ich.

Natürlich hatten wir in den letzten Monaten wieder recht viel Kontakt gehabt, doch jetzt tatsächlich vor ihr zu stehen und sie live und in Farbe zu sehen, holte eine Menge angestauter Gefühle in mir hoch.

Die dunkelhaarige trat einen Schritt zurück und ließ mich in die Wohnung eintreten, die sie mit zwei Kommilitonen bewohnte.

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Zwischen Katharina und mir fühlte es sich innerhalb weniger Stunden an, als hätte es den jahrelangen Bruch in unserer Freundschaft nie gegeben.
Sie stellte mir ihre Mitbewohnerinnen vor, wir gingen spazieren und einkaufen. An den Abenden, die wir miteinander verbrachten, gingen wir in verrauchte Bars und trafen Katharinas Uni-Freunde, die ich tatsächlich mochte.

Anders, als Katharina mich es kurz nach unserem Abitur hatte glauben lassen, war hier im Grunde genommen alles so, wie es bei uns zuhause auch war.
Man traf die gleichen Menschen in den gleichen Bars, nur, dass man ein bisschen mehr Auswahl hatte.

Katharina und ich führten außerdem viele gute Gespräche, vor allem über ihre Familie und die Krankheit ihrer Mutter, aber auch über mein Leben und besonders die Situation mit Sara.
Die Tatsache, dass Katharina tatsächlich bereit war, über ihre emotionale Verfassung zu sprechen und überdies die Muße aufbrachte, mir zuzuhören, überraschte mich und ließ mich feststellen, dass sie in den letzten paar Jahren tatsächlich um einige Jahrzehnte gereift sein musste.

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„Was zum Teufel hast du denn vor?", fragte Katharina mich mit hochgezogenen Augenbrauen, als ich mich am Silvesterabend vor dem Spiegel zurecht machte.
Katharina kam gerade aus der Dusche und musterte mich skeptisch, ich jedoch zuckte nur mit den Schultern. 

„Willst du dir selbst beweisen, dass du noch Frauen unter 40 aufreißen kannst?", fragte meine Freundin nun und ich zog grinsend ebenfalls die Augenbrauen hoch.
„Ja, genau", antwortete ich betont sarkastisch, „Sex mit einer Wildfremden ist genau das, was ich gerade will".

Katharina lachte und hob die Schultern, „Ich war ja noch nie so gut in One Night Stands, aber du kannst das doch, oder?".

Ich nickte und feilte weiter an meinem Eyeliner, während Katharina sich umzog.
„Aber so wirklich? Einfach vögeln? Das kannst du? Das finde ich ja sehr Lili-untypisch", fragte sie nun, als sie sich gerade eine Hose anzog.

Ich kicherte, „Was soll das denn heißen? Natürlich kann ich das."

„Ich meine ja nur", erklärte Katharina, „Weil du ja schon ein sehr gefühlsintensiver Mensch bist. Und ich zum Beispiel kann einfach nicht mit Leuten schlafen, die ich nicht richtig gern habe".

Nichts für immerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt