32.- Bauchgefühl

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Wir schliefen zwei mal miteinander.
An einem Abend brachte Alberto, ich hatte inzwischen herausgefunden, wie ihr Vater hieß - ganz zur Freude meiner Mitreisenden, die sich jetzt pudelwohl und wie locals fühlten, schließlich kannten sie den Kneipenbesitzer -, es fertig, mich mit Aperitif ganz wackelig zu machen. Aber nicht unzurechnungsfähig, obwohl ich das im Nachhinein gerne behauptet hätte.

Obwohl Alexa, Nina, Lea und Hilly - diese aus mir unerfindlichen Gründen ganz besonders - davon abgeraten hatten, mich auf Lucia einzulassen, tat ich genau das.
Ich folgte meinem Bauchgefühl, wie Hanna gesagt hatte. Mein Bauchgefühl, welches in diesem Bezug nur aus einem sehnsüchtigen Ziehen in der südlichen Gegend bestand, sonst jedoch keine aufschlussreichen Informationen hergab.

„Ich hab doch auch keine Ahnung, Lili", hatte Hanna am Telefon verzweifelt gesagt und geseufzt. In meiner Vorstellung hatte sie sich die Haare gerauft, „Vielleicht musst du einfach auf dein Bauchgefühl hören. Du musst ja nicht mit Sara sein, wenn es sich nicht gut anfühlt. Aber dann bitte, bitte sag ihr das".

Bei dem Gedanken daran, Sara mitzuteilen, dass ich nicht mit ihr sein wollte, sie nicht wollte, drehte sich mein Magen um.

Am Abend vor unserer Abreise ludt Alberto uns alle zum Essen ein und gestattete Lucia, sich zu uns zu gesellen. Ich fragte mich, wie oft die beiden dieses Spiel wohl mit Touristen spielten. Und, ob Lucia es in dieser doch katholischen Gegend schwer gehabt hatte.

Später, als meine Freundinnen den Garten beschwipst und grinsend verließen, nahm sie mich an der Hand und ich folgte ihr in das Dachgeschoss des alten, steinernen Hauses.
Sie küsste mich, zunächst vorsichtig und leicht, dann hart und fordernd und ungeduldig.

Wir zogen einander aus. Mein Blick haftete auf ihrem Körper. Auf den weichen Rundungen an ihrer Hüfte, auf den dunklen Flecken auf ihrer braunen Haut, auf den Kanten ihres Kiefers, wenn sie stöhnte.

-

An dem Tag, an dem ich zurück nach Deutschland kam, fuhr Sara mit den Mädchen an den Bodensee - Campen.
Eine Tatsache, die das Chaos in meinem Kopf nicht unbedingt beruhigte.

Ich hatte ein schlechtes Gewissen, welches sich auch von zahlreichen Telefonaten mit Hanna und Katharina nicht beruhigen ließ. Am liebsten hätte ich all das sofort aus der Welt geschafft. Obwohl Sara natürlich nicht wusste, dass es für mich etwas gab, das aus der Welt geschafft werden musste.

„Lili", sagte Katharina in einem der Telefonate eindringlich zu mir, „Jetzt krieg dich doch mal wieder ein. An Sylvester das war kein bisschen anders. Und da bist du auch nicht komplett ausgerastet".
„Da war das aber auch irgendwie alles noch nicht so ernst zwischen uns", entgegnete ich entnervt und rieb mir die Augen.

„Aber dann hast du jetzt wenigstens deine Antwort", sagte Katharina, „Und musst sie Sara nur noch mitteilen".

„Ach ja? Was ist denn meine Antwort? Und was soll ich ihr sagen? Hallo Sara, übrigens ich hab da im Urlaub nen kleinen Fling gehabt, aber ich hab gemerkt, dass ich dich viel lieber mag als alle anderen Frauen und deshalb können wir jetzt zusammen sein? Oder eher so: Hallo Sara, mir ist aufgefallen, ich würde mich doch lieber noch ein bisschen durch die Weltgeschichte vögeln, das mit dem Familienleben ist nichts für mich, sorry?".

Katharina legte auf.

Mein schlechtes Gewissen wurde zusätzlich von der Tatsache bestärkt, dass Sara mir unentwegt Fotos von sich und ihren Töchtern schickte.
Beim Wandern, beim Baden, im Tierpark und beim Eisessen.

Meist befiel mich dann ein leichtes Lächeln, das ich schleunigst zu unterdrücken versuchte. Doch das breite Lächeln auf Saras Gesicht und Frida und Mila, die auf jedem Foto irgendeinen anderen Quatsch veranstalteten, brachten mich jedes Mal zum Schmunzeln.

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Ich traf Sara also erst nach dem Urlaub mit ihren Töchtern wieder.
In Anbetracht der sommerlichen Temperatur gingen wir Eis ein essen und trafen uns dafür in einem Eiscafé in einer Seitenstraße nahe ihrer Wohnung.
Sie sah mich schon aus der Ferne und hob lächelnd den Arm, um mich zu begrüßen, bevor sie mich in die Arme schloss und mir zur Begrüßung sogar einen schnellen Kuss auf die Lippen drückte.

Zum ersten Mal fühlte es sich seltsam fremd an, sie zu umarmen. Mein Körper versteifte sich, und sie merkte es natürlich sofort.

„Hey", sagte sie vorsichtig und schob mich sanft in Richtung der Eistheke, „Ist alles in Ordnung?".
Ich nickte, blieb jedoch stumm, bis wir unser Eis in den Händen hielten und uns zu Fuß zur Wohnung aufmachten.
Auch Sara war nach ihrer ersten Nachfrage still geblieben, bis ich sie schließlich nach dem Urlaub mit den Mädchen fragte.

„Oh, es war toll", begann sie zu erzählen und ihr zuvor verschlossener Gesichtsausdruck hellte sich auf, „Ich werde zwar kein Camping-Fan mehr, aber in so einem WoMo lässt es sich schon aushalten".

„Hast du gerade ernsthaft WoMo gesagt?", fragte ich ungläubig und musste mir das Kichern verkneifen.
„Tatsächlich", gab sie schnippisch zurück und kramte in ihrer Handtasche, da wir bereits vor der Haustür zum Stehen gekommen waren.

Ich folgte Sara in die Wohnung, wo sie mir noch von den Unternehmungen erzählte, die ihr und den Kindern besonders gut gefallen hatten.
Schließlich sah sie mich fragend an und legte den Kopf schief, „Und jetzt erzählst du mir mal, was los ist".

Ich schluckte.
Wie sollte ich das denn jetzt anfangen.

„Komm Lili, hau raus, mit wem hast du geschlafen?", fragte Sara nun, halb scherzhaft, halb ernst. Als ich weiterhin schwieg, seufzte sie und stieß ein leises, „Fuck", aus, bevor sie sich an der Theke in der Küche anlehnte und das Gesicht in den Händen vergrub.
Ich stand ihr gegenüber, ratlos und mit einem rasenden Herzen, unschlüssig, was ich tun sollte.

„Tut mir leid, ich hab Scheiße gebaut", murmelte ich leise und beobachtete, wie Sara sich mit beiden Händen durch die blonden Haare fuhr und ihre Gesichtszüge wieder glättete.
„Nein, hast du nicht", entgegnete sie dann zu meiner Überraschung, „Ich hab Scheiße gebaut".

Ich zögerte für einen Moment und schaute sie einigermaßen verwirrt an.
„Wie darf ich das jetzt verstehen?", fragte ich schließlich, während Sara für einen Moment die Augen schloss und scheinbar überlegte.

„Ich hätte das alles nicht so offen lassen dürfen", sagte sie dann, „Ich wusste ja, dass das passieren wird".

„Was?"

„Ach komm, Lili. Ich war auch mal jung", schnaubte sie dann, „Ich hatte auch mal ein Sexleben, das sich nicht auf eine Person beschränkt hat. Und es ist sicher nicht so, als müsstest du lange suchen, um Freiwillige zu finden".

Das machte mich sprachlos. Ich stand ihr sprachlos gegenüber und sah zu, wie die Frau, die ich so gerne hatte, sich zusammenraufte und ihre Fassade aufrecht erhielt und mich bloß nicht sehen lassen wollte, was all das mit ihr machte.

„Sara-", setzte ich an, doch sie unterbrach mich.
„Nein, Lili. Ernsthaft", sagte sie bestimmt, „Ich hätte einfach wissen müssen, dass ich das so nicht kann".

Mein Herz machte einen Abgang. Würde sie es jetzt beenden? Im Grunde hatte ich nichts anderes verdient.

„Gott, wie dumm kann man sein", jetzt schluchzte sie und ich machte unbeholfen einen Schritt auf sie zu. Sie drehte sich weg und bedeckte ihr Gesicht mit den Händen, während ihr Oberkörper merklich bebte.
Erneut machte ich einen Schritt auf sie zu, während mein Herz schmerzhaft in mir pochte und sich ein riesiger Kloß in meinem Hals bildete.

„Bitte, geh", sagte sie leise, als sie sich ein wenig gefangen hatte.
„Sara, Ich-", entgegnete ich.
„Nein", unterbrach sie mich, „Nein. Bitte geh. Und komm wieder, wenn du dir sicher bist, was du willst. Ich kann das nicht, wenn du dir nicht sicher bist. Ich will nicht, dass du mir so nah bist. Bitte geh".


Hi Ihr Lieben. In den letzten Tagen sind tatsächlich einige Leser:Innen dazu gekommen, das freut mich natürlich sehr. Gebt mir gerne Feedback oder Kritik, oder aber auch Ideen, Wünsche oder Anregungen. Danke Euch für Lesen!

Nichts für immerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt