29. - Zwischenmenschlich

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Von diesem Zeitpunkt an, sah ich Sara nur noch unregelmäßig.
Ich flog zurück nach London und setzte in den nächsten Wochen und Monaten alles daran, mein Studium möglichst glimpflich und schnell zu ende zu bringen.
Etwas, das mir in den vergangenen Jahren eher fern gelegen hatte.

Ich verbrachte viel Zeit in der Bibliothek und, wenn ich nicht gerade mit Lernen beschäftigt war, versuchte, mich um eine Stelle für mein Referendariat zu kümmern.
Dieses wollte ich, so wie Sara es vorgeschlagen hatte, im Herbst beginnen.
Trotzdem versuchte ich, die verbleibende Zeit in London auch zwischenmenschlich auszukosten.

So unternahm ich mit meinen wenigen Uni-Freundinnen einige Wochenendtrips, ging mit meiner Mitbewohnerin Nina, die inzwischen kaum noch bei uns zuhause anzutreffen war - Matt hatte sich einen Wohnung ganz in der Nähe angemietet - einkaufen und besuchte häufig die Pubs und Bars, die es in unserem Stadtteil zu Hauf gab.

Auf eine seltsame Art und Weise nahm ich die Stadt, in der ich in den letzten Jahren gelebt hatte, nun ganz anders wahr.
Vielleicht ist das ein natürlicher Prozess, wenn man weiß, dass man einen Ort bald verlässt. Wie dieses Gedicht, in dem es darum geht, nach dem eigenen Tod zurück auf die Erde kommen zu dürfen.

Ich ging viel spazieren, allerdings nicht mehr, um meinen Gedanken zu entfliehen, sondern um London noch einmal neu zu entdecken.
Während dieser vielen Spaziergänge telefonierte ich außerdem mit Sara.

Im Frühjahr diesen Jahres war sie milde gestresst, weil sie den Leistungskurs, mit dem sie im Herbst auch in London unterwegs gewesen war, hatte übernehmen müssen.
Ihr Kollege Schlosser, Nik, wie sie ihn immer nannte, hatte sich nämlich spontan dazu entschlossen, Vater zu werden.

"Auf jeden Fall ist Johannes ungefähr das niedlichste Kind überhaupt", schwärmte sie am Telefon vom Neugeborenen ihres besten Freundes, "Du musst ihn auch irgendwann mal kennenlernen".

Ich lächelte leicht. Der Gedanke daran, dass Sara mich tatsächlich in ihrem Leben haben wollte, sorgte dafür, dass mir ganz warm ums Herz wurde.
Sie wollte mich ihren Freunden vorstellen, sie wollte mit mir frühstücken und Abendessen und mit mir ins Bett gehen. Sie wollte, dass ich bei Ausflügen mit ihren Kindern dabei war.
Besonders das versicherte sie mir immer wieder.

"Hast du dich denn jetzt schon um deine Stelle gekümmert?", fragte sie nun.

"Also gekümmert schon, aber ich habe noch keine Rückmeldung", erzählte ich, "Und viel mehr Sorgen macht mir ja ehrlich gesagt die Suche nach einer Wohnung. Ehrlich gesagt kann man sich von dem bisschen Gehalt, das man als Referendarin heutzutage kriegt, gerade so ein WG Zimmer leisten".

"Im Notfall ziehst du bei mir und den Mädchen ein", scherzte Sara gut gelaunt und mir entwich ein leises Prusten, weshalb sie direkt eine empörte Nachfrage hinterher schob, "Wäre das so unfassbar abwegig?".

Ich grinse in mich hinein. "Nein", entgegnete ich, "Das wäre mit Sicherheit ziemlich toll. Aber vielleicht nicht die optimale Voraussetzung, um sich in Ruhe kennenzulernen".

"Na gut", murmelte Sara nun und ich hörte an ihrer Stimme, dass sie ebenfalls Schmunzelte, "Lili, ich muss jetzt leider auflegen. Die Mädchen wollen in den Sommerferien unbedingt campen und ich muss hier so ein Formu-".

"Du gehst campen?", unterbrach ich sie, nun deutlich kichernd und einigermaßen überrascht. Ich konnte mir Sara in ihren immer schicken und ordentlichen Klamotten und mit ihrer geraden Haltung nur sehr schlecht in einem matschigen Zelt vorstellen und war ganz begeistert, dass die Mädchen sie offenbar dazu überredet hatten.

"Ja. Die Klassenlehrerin hat mit ihnen über verschiedene Möglichkeiten gesprochen, Urlaub zu machen und ihnen dabei leider den Floh ins Ohr gesetzt, dass Camping total toll und idyllisch ist - okay, so haben sie das nicht gesagt, idyllisch ist vielleicht eher meine interpretation - und jetzt muss ich hier so ein Wohnmobil buchen. Mark findet die Idee auch super", erklärte sie mir.

Ich lauschte ihrer kleinen Erzählung und schmunzelte erneut beim Gedanken an Sara vor einem Campingkocher, "Na da hat wohl jemand den Bildungsauftrag erfüllt".

"Fährst du im Sommer weg?", fragte Sara leise, "Oder können wir uns da vielleicht mal sehen?".

"Ich fahre eine Woche mit meinen Uni Mädels nach Italien", erklärte ich, "Aber sonst werde ich auch ein paar Wochen in Deutschland sein und ich würde mich sehr freuen, dich zu sehen."

-

Der Sommer und damit auch der besagte Italien Urlaub ereilten mich schneller, als ich hätte Stop sagen können. Zum Glück ging an den meisten Tagen ein leichter Wind durch die Stadt, der die anhaltende Hitze erträglicher machte, doch die Aussicht auf ein paar Tage am Strand stellten eine durchaus reizvolle Abwechslung dar.
Außerdem wollte ich mich gerne vor der bevorstehenden Abgabe meiner Masterarbeit drücken.

Für meine Mitbewohnerin Nina, deren beste Freundin Hilly, meine Kommilitoninen Alexa und Lea und mich sollte es schon bald an und ins kühle Nass gehen, vorher stand aber neben meinem Geburtstag auch noch ein Besuch bei meinem Vater zuhause an.

Ich flog also an einem gewöhnlichen Mittwoch Morgen nach Deutschland und wurde, anders als ich es erwartet hatte, von einem breiten Lächeln und einem dazugehörigen strahlend blauen Augenpaar in Empfang genommen.

"Hi", sagte Sara schlicht, als ich kurz vor ihr zum Stehen kam und sie milde verdattert ansah. In meinem Kopf drehte sich schon wieder alles, besonders, weil die blonde Frau mir gegenüber noch viel schöner war, als ich es mir in den letzten paar Monaten vorgestellt hatte.

"Was machst du hier?", fragte ich sie, während sie mich fest in die Arme schloss und ihr Gesicht mit einem Seufzen in meinem Nacken vergrub. 

"Dich abholen", lautete ihre schlichte Antwort und ich bemerkte ihr sanftes Schmunzeln gegen meine Haut.

"Haha". Unwillkürlich schloss ich die Augen, lehnte mich ihrer sanften Berührung entgegen. Es war nicht so, als hätte ich mich nicht sehr gefreut, sie zu sehen. Tatsächlich war ich geradezu euphorisch. Ich hatte sie vermisst, ihre Haut und ihr Lachen und ihre sanfte Stimme und die Art, wie sie mich ansah. Und doch war ich überrumpelt von der Situation und der Tatsache, dass sie sich scheinbar mit meinem Vater kurzgeschlossen hatte, der mich ja ursprünglich hatte abholen wollen.

Wir lösten uns schließlich voneinander und Sara nahm mir den Koffer, den ich in meiner linken Hand gehalten hatte, ab.

"Keine Sorge, ich habe nur kurz mit deinem Vater gesprochen", erklärte sie mir und setzte sich wie selbstverständlich in Bewegung, ich folgte ihr ein wenig unbeholfen, "Er war einverstanden, dass ich dich als kleine Überraschung abhole, er hat heute sowieso irgendwas total Spannendes vor".

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