33. - Dazwischen

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Die nächsten Wochen in meinem Leben fühlten sich an, wie im Nebel. Mir war schwindelig und meine Gedanken waren trüb, gleichzeitig fühlte ich mich wach, vorallem schlaflos.

Ich hatte Katharina angerufen, nach dem Streit mit Sara.
Diese hatte in dem Moment, in dem sie meine zittrige Stimme am Telefon gehört hatte, natürlich all ihre Wut auf mich vergessen und mir zur Seite gestanden.
Zwar mit Unverständnis, aber Rückhalt.

Auch meinem Vater hatte ich davon erzählt, wie ich das, was ich so lange gewollt hatte, vermasselt hatte.
So fühlte es sich nämlich an.
Ich hatte es vermasselt.

Was Katharina und auch mein Vater noch nicht wahr haben wollten, stellte sich in meinem Kopf ziemlich klar dar. Ich hatte Sara verletzt, ihr Vertrauen zu mir unwiederbringlich weggeworfen.

Katharina hingegen war der Meinung, dass ich einfach nur die Ansage erhalten hatte, mich endlich zu entscheiden.
„Sie hat doch wirklich nur gesagt, du sollst dich entscheiden, Lili. Bitte geh heißt doch nicht automatisch Bitte geh und komm nie mehr zurück. Hast du keine Ahnung, was du dieser Frau bedeuten musst? Die Tatsache, dass deine kleine Sommer Affäre sie so verletzt, zeigt doch nur, wie ihr das mit dir wirklich ernst ist", sagte sie in einem langen Telefonat zu mir, doch ich schüttelte nur vehement und vermutlich weinend den Kopf.

Ich weinte viel, seit ich Sara nicht mehr sah. Es war, als strömten all die sorgfältig verstauten Emotionen der letzten 6 Jahre mit einem Mal aus mir heraus. Genauer gesagt aus meinen Augen heraus.
Ich weinte beim Abendessen, sogar wenn Susanne dabei war, beim Einschlafen, beim Telefonieren mit Hanna oder Katharina.
Das war auf Dauer ziemlich anstrengend.

Ihre Abwesenheit machte sich auch in meinem Leben bemerkbar, als ich schließlich Mitte August wieder nach London flog, um dort meine letzten Habseligkeiten aus der Wohnung mit Nina einzusammeln und mich offiziell von Uni und Stadt zu verabschieden. Plötzlich fühlte es sich unfassbar sinnlos an, London zu verlassen und zurück in meine Heimat zu ziehen. Ich fühlte mich wieder haltlos und verbrachte mehr als eine schlaflos Nacht damit, mich zu fragen, ob ich die richtige Entscheidung traf.

Nachdem wir unsere WG Zimmer aufgegeben hatten - auch Nina zog aus, sie hatte eine praktischere Wohnung gefunden, die sie gemeinsam mit Matt beziehen wollte - kam ich noch für einige Tage bei Hilly unter. Sie hatte darauf bestanden, mir eine Abschiedsparty zu veranstalten.

Ebenjene Party stellte meine Fähigkeit, für einen längeren Zeitraum nicht in Tränen auszubrechen, auf die Probe. In Hillys winziger Wohnung, die sie mit zwei weiteren Studentinnen teilte, tummelten sich Menschen, von denen ich einige besser, einige eher schlechter kannte.
Eines der mir bekannten Gesichtern gehörte zu Jessy, einer großen blonden Frau, mit der ich zu Anfang des letzten Semesters schon einmal Bekanntschaft gemacht hatte.

Noch bevor ich sie hatte begrüßen können, hatte Hilly mich schon mit einem Kichern in ihre Richtung geschubst.
Also sagte ich "Hallo" und versuchte meinen Plan, mit irgendjemandem, den ich noch nicht kannte, nach Hause zu gehen, in mein Gedächtnis zurückzurufen.

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Zurück in Deutschland verbrachte ich einige Tage bei meinem Vater. Es fühlte sich ziemlich seltsam an, mit gepackten Koffern im Gästezimmer zu sitzen und zu warten.
Schließlich erhielt ich die Schlüssel zu meiner ersten eigenen Wohnung, die - wer hätte das bloß vor ein paar Monaten gedacht - nur wenige Straßen von der meines Vaters gelegen war.

Ich hatte Glück gehabt bei den Wohnungsbesichtigungen. Zwei Besichtigungen, von denen mir eine überhaupt nicht zugesagt hatte, die zweite jedoch sehr und Zack: Schlüsselübergabe.
Die Wohnung war schön, groß genug für mich und eine potentielle weitere Person, von der man natürlich nicht wusste, ob es sie jemals geben würde, und vor allem erschwinglich.
Auch die Frage um Referendariatsstelle hatte sich zu meinen Gunsten ergeben, so hatte ich ein Angebot für ein städtisches Gymnasium ganz in der Nähe meiner alten Schule erhalten.
Das wiederum sorgte dafür, dass es mir vor dem Tag graute, an dem ich Sara auf der Straße begegnete.

Weil Katharinas Mutter im Sterben lag, war sie in diesen Wochen in unserer Heimatstadt.

Sie half mir beim Umzug. Nicht, dass es so viele Dinge umzuziehen gegeben hätte. Eher die Tatsache, dass ich viele Dinge neu kaufen musste, machte mir zu schaffen.
Ich hatte den Eindruck, dass es ihr eine willkommene Ablenkung aus der drückenden Stille und Behutsamkeit zuhause war, mir mit meinem albernen Liebeskummer und meinem Umzug zur Seite zu stellen.
Nach unseren Ausflügen zu Ikea oder dem Second-Hand-Möbelgeschäft in der Innenstadt tranken Katharina und ich Wein. Meist zu viel.
Und dann schlief sie in meinem neuen Bett ein, das ohnehin für eine Person viel zu groß war.

Katharina war frustriert. Von meiner Einstellung Sara gegenüber und von der Tatsache, dass ich keine Anstalten machte, meine aktuelle Situation zu verbessern.
Mehr als einmal kündigte sie an, mein Handy zu hacken und Sara einen Liebesbrief in meinem Namen zu schicken - alternativ sei auch ihre Unterschrift möglich, dann dürfe ich mich aber nicht beschweren, wenn Sara mich dann wirklich nicht mehr möge.

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Unterdessen fühlte ich mich weiterhin wie in Trance. Wie in einem schlechten Film. Als würde die Welt einfach so an mir vorbei ziehen. Die Angst, Sara nie mehr wieder zu sehen - okay, nie mehr so wieder zu sehen - bestimmte meinen Alltag. Und Katharinas noch dazu. 

Gleichzeitig fragte ich mich jeden Tag, ob es nicht besser so war. Besser, ohne Sara weiter zu machen. Besser, mich in meinem neuen Beruf frei entfalten zu können. Besser, mich nicht zu binden. Besser, das ganze einfach zu vergessen.

Saras Leben war so fest und geregelt, dass es mir geradezu Angst machte. Ein Alltag mit kleinen Kindern? Ein Schrebergarten und ein dickes Auto? Sollte ich tatsächlich die letzten paar Jahre in meinen Zwanzigern, die letzten paar "Guten" Jahre in meinem Leben damit verschwenden, die Kinder eines Fremden Mannes großzuziehen? 

Diese Gedanken hielten mich nachts wach, denn immer, wenn ich dachte, eine kluge Entscheidung zu treffen, mich von Sara zu distanzieren, fernzuhalten, mich selbst zu wählen. Immer dann schlief ich ein und träumte von blonden Locken, die nach Honig rochen, von durchdringenden blauen Augen und einem strahlenden Lächeln, das nur für mich bestimmt war. 

Nichts für immerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt