21. - Sprachlos

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Mein jüngerer Bruder weckte mich am nächsten Morgen mit einem Schlag in die Seite, der zwar nicht beabsichtigt war, aber saß. Offenbar hatte er im Schlaf eine Art Rotation vollbracht, die mich fast aus dem Bett befördert und mir einen blauen Fleck verpasst hatte, weshalb ich mich prompt, noch etwas verschlafen, auf ihn stürzte.

„Alter", murmelte er, während ich auf seinem Rücken Platz nahm und begann, ihn leicht zu hauen, „Nastia".

Im nächsten Moment drehte er sich zu mir um und blickte mir gelinde geschockt in die Augen. Obwohl er sich gerade noch im Halbschlaf befunden und sich scheinbar verplappert hatte, war er auf einmal hellwach und ließ sein Gesicht mit einem leisen „Fuck" zurück in das Kissen fallen.

Ich hingegen begann zu kichern und turnte weiter auf seinem Rücken herum, bis er sich schließlich dazu überreden ließ, aufzustehen und mir in die Küche folgte.

„Papa", begrüßte ich meinem Vater und Susanne, die bereits am Küchentisch saßen und ihren Kaffee vor sich hin schlurften, „Lasse möchte uns etwas verkünden".

„Halt's Maul, Lili", fuhr mein Bruder mich mit roten Wangen an, was mich nur noch weiter zum kichern brachte und fügte an meinen Vater gewandt hinzu, „Ich habe nichts zu sagen". 

Er hob abwehrend seine Hände und stellte sich einen Moment später an die Kaffeemaschine. Die Liebe zum Kaffee lag definitiv in der Familie.

Auch auf Lasses Gesicht fand sich mittlerweile neben der Röte ein breites Grinsen, welches er nur schlecht verstecken konnte. Mein Vater und Susanne warfen sich einige verwirrte, aber sehr amüsierte Blicke zu und widmeten sich dann wieder dem Frühstück, dem Lasse und ich uns kurzerhand anschlossen.

Als Lasse und ich später am Tag gemeinsam im Wintergarten saßen und unsere Gedanken nachhingen - Lasse ging seinen Pflichten als einziger Sohn nach und schnippelte akribisch an jeder einzelnen Pflanze, die in dem kleinen gläsernen Raum stand, herum und ich bastelte an einem Fotobuch, welches ich Hanna gerne zu Weihnachten schenken wollte - packte er aus.

„Willst du jetzt wissen, von wem ich heute morgen gesprochen habe?", murmelte er, während er gerade die riesige Monstera unseres Vaters begutachtete.
Er sah mich dabei nicht an, und beinahe hätte ich ihn auch nicht verstanden.

„Unbedingt", lautete meine knappe Antwort, „Wer ist sie?".

„Also", Lasse seufzte und überlegte einen Moment, bevor er sich doch ein paar Schritte auf mich zu kam und sich auf den Gartenstuhl neben mir fallen ließ. Er strich sich die dunklen Locken aus der Stirn.

„Also", sagte er erneut und nach einem kurzen Zögern, „Ach scheiß drauf, du wirst sie eh bald treffen. Sie heißt Anastasia. Und ich habe sie über Johannes, einen gemeinsamen Freund, kennengelernt".

„Sehr spannend", antwortete ich vorsichtig, weil ich ihn nicht in seiner Offenbarung unterbrechen wollte, obwohl natürlich viele Fragen durch meinen Kopf schwirrten.

Was willst du mir damit sagen? Ist sie jetzt deine Freundin? So richtig richtig? Oder kriegst du es nicht hin? Genau wie ich?

Ich klappte das Buch in meinen Händen zu und wandte mich zu meinem jüngeren Bruder, der mich vorsichtig angrinste.

Mit geschwisterlich bösartiger Schadenfreude beobachtete ich, wie sich Lasses Wangen erneut rot färbten und er das Gesicht in den Händen vergrub.

„Man, Lili", stieß er verzweifelt aus, „Ich krieg es nicht hin".
Volltreffer. Er seufzte erneut und ließ den Kopf gegen die Stuhllehne sinken, „Ich krieg es ein einfach nicht hin, ihr zu sagen, wie gerne ich sie habe".

Nichts für immerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt