4. - Zurückgeworfen

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Ich trat hinter Hanna durch die Drehtür des etwas heruntergekommenen Hostels und lief Nikolas Schlosser direkt in die Arme.
Der ehemalige Geschichtslehrer unserer gemeinsamen Schule, den Hanna immer verehrt hatte, stand mit dem Rücken zu uns vor einer Schülergruppe und gestikulierte gerade wild.

Durch das Quietschen der Tür auf uns uns aufmerksam geworden drehte er sich zu uns um und sein Blick erhellte sich augenblicklich.

Mein Herz setzte für einen Moment aus.
Sein Anblick war für mein Gehirn unweigerlich mit dem einer gewissen anderen Person verknüpft.

Nikolas schloss zunächst Hanna mit einem warmen Lächeln fest im die Arme. Er schien die Gruppe der Jugendlichen hinter sich geradezu vergessen zu haben.

Anschließend wandte sich zu mir und schloss auch mich kurz in die Arme, was mir in Anbetracht der Tatsache, dass wir nie sonderlich viel miteinander zu tun gehabt hatten und uns zuletzt auf einem Ehemaligen-Treffen vor einigen Jahren gesehen hatten, ein wenig unangenehm war.

„Freut mich, dich zu sehen, Lili", sagte er und ich war durchaus überrascht, dass er sich an meinen Namen erinnerte.
Noch überraschter war ich allerdings, als er mir auch noch zuzwinkerte.

Die Schülergruppe, der er nun den Rücken zugewandt hatte, beäugte Hanna und mich kritisch, aber auch neugierig und als ich meinen Blick weiter über die Jugendlichen schweifen ließ, traf ich einen, der mir mehr als bekannt war.

Ihre blauen Augen blickten mich mit einem für mich undurchdringlichen Ausdruck an, bevor Sara sich zu den Jugendlichen umdrehte.
Mein Herz pochte wie wild und ich spürte, wie meine Handflächen leicht feucht wurden.

Obwohl ich darauf vorbereitet gewesen war, sie hier zu sehen, brachte sie mich vollkommen aus dem Konzept. Wie jedes Mal.

Ich konnte meinen Blick nur mühsam von ihrer Gestalt lösen und versuchte, mich auf Nikolas zu konzentrieren, der bereits in ein Gespräch mit Hanna vertieft zu sein schien.

„Also ihr Lieben, wir haben Überraschungsbesuch!", erklärte Sara nun den jungen Erwachsenen, die sie offenherzig anblickten, sobald sie die Stimme erhob,
„Das sind zwei ehemalige Schülerinnen unserer Schule, die heute zufällig auch hier in London sind. Sie werden uns ins Theater begleiten".

Ihre Stimme klang genau so ruhig und selbstsicher wie immer, wenn auch ein wenig rauer, als ich sie in Erinnerung hatte.

Wenn ich genauer darüber nachdachte, waren es sicherlich schon fast 5 Jahre, seit wir uns zuletzt gesehen hatten.

Trotzdem hatte sie sich äußerlich kaum verändert.
Einige der Schüler nickten ihr vorsichtig zu und versuchten, einen weiteren Blick auf Hanna und mich zu erhaschen.

Während die im kleinen Raum verteilte Gruppe sich wieder ihren eigenen Gesprächen widmete und auf das von ihren beiden Lehrern erteilte ‚Go' wartete, wandte auch Sara sich nun zu uns, „Na das ist ja eine Überraschung, euch beide hier zu sehen! Nicht, Nik?".

Sie stieß ihren langjährigen Kollegen spielerisch in die Seite, woraus ich schloss, dass er ihr nicht davon erzählt hatte, dass wir beide hier auftauchen würden.

Dann schloss sie die breit grinsende Hanna herzlich in die Arme.
In mir erzeugte das sofort eine mir allzu bekannte Eifersucht, die ich jahrelang zu bekämpfen versucht hatte.

Sara - oder Frau Hansen, wie wir sie damals nennen musste - hatte schon immer sehr freundschaftliche Beziehungen zu verschiedensten Schülern gepflegt, zu ihnen gehörte Hanna.
Diese war durch ihr Engagement in der Schülervertretung zu meiner Schulzeit allen Lehrern und Schülern wohlbekannt gewesen, was mir einen kleinen Stich versetzte, denn mich hatten die meisten nach wenigen Tagen wieder vergessen gehabt.

„Hi, Lili. Schön dich zu sehen", jetzt schloss Sara auch mich fest in die Arme und mein Herz begann einen erneuten Freudentanz in mir aufzuführen - oder war das doch eher Panik?

Ich musste mich ein Stück zu ihr hinunterbeugen und meine Wangen färbten sich augenblicklich rot, als ich sie berührte und ihren unvergesslichen und altbekannten Duft einatmete.

Die blonde Frau löste sich von mir und blickte mir freundlich in die Augen, bevor sie mir sanft über den Arm strich und sich wieder Nikolas zuwandte.
Mein Blick wanderte über ihre Locken und ihren Nacken, über ihre helle Bluse und über ihre schwarze Hose.

Sofort bekam ich eine Gänsehaut, die mich zurückwarf in das Dasein meines 15-Jähriges Ichs.

Ich versuchte mühsam, nicht ganz so offensichtlich zu starren, wie ich es zu Schulzeiten wohl getan hatte und blickte in neugierige Gesichter, als ich mich ein wenig zur Seite drehte.

„Hi", sagte ich kurz in Richtung der Schülergruppe und lächelte freundlich, „Ich bin Lili".
Ich winkte kurz und deutete dann zwinkernd auf Nikolas und Hanna, die noch immer plapperten, „Und das ist Hanna".

Die Gruppe von etwa 20 Schülerinnen und Schüler wirkte mir gegenüber fröhlich und offen, einige lächelten und zwei der Mädchen, sie mussten etwa 18 oder 19 sein, kamen sogar auf mich zu und begrüßten mich mit einem etwas fehl am Platz wirkenden Händedruck.

Sie stellten sich als Anna und Helena vor, wobei Helena mich doch sehr an meine beste Freundin aus Schulzeiten erinnerte.

Auf ihren Gesichtern konnte ich ein verschmitztes Grinsen erkennen und wenige Augenblicke später fand ich mich in ein Gespräch mit den beiden jungen Frauem verwickelt, welches meine Laune ein wenig verbesserte und mich außerdem von Saras Anwesenheit ablenkte.

Die beiden löcherten mich mit Fragen, wobei ich in Helenas Augen ein kleines Funkeln erkennen konnte, das mir nicht unbekannt war.
Sara war noch immer in ein Gespräch mit Nikolas und Hanna vertieft und ich sah aus dem Augenwinkel, wie sie herzlich über die beiden lachte.

Gott, wie sehr ich dieses Lachen vermisst hatte.

Um ihre Augen zeichneten sich kleine Falten ab, die seit unserer letzten Begegnung wohl doch ein wenig tiefer geworden waren. Beim Lachen warf sie ihre blonden Locken in ihren Nacken und sorgte damit dafür, dass ich, die ich schon wieder unbeabsichtigt angefangen hatte, sie anzustarren, sofort rote Wangen bekam.

Ich drehte mich wieder zu Anna und Helena um, die noch immer gespannt vor mir standen und auf meine Antwort, warum ich gerade in London unterwegs sei, warteten.

Ich wusste nicht, wie ich den heutigen Abend überleben sollte, denn all die Gefühle, die ich in den letzten Jahren sorgfältig in einer der hinteren Schubladen meines Gehirns verstaut hatte, drohten erneut, mich zu überwältigen.

Saras physische Anwesenheit, ihr Lachen und ihre Stimme sorgten dafür, dass ich mich ganz wackelig und unbeholfen fühlte, obwohl man meinen könnte, dass ich diese Phase in meinem Leben mittlerweile hinter mir gelassen hatte.


Hallöchen! Hier nochmal der kurze Reminder: Ich freue mich sehr über Feedback aller Art. Tobt Euch an mir aus, bevor es weitergeht.

Nichts für immerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt