31. - Auspacken

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Einige Tage später reiste ich ab nach Italien. Ich stieg in der nächstgrößere Stadt in den Zug, der mich bis nach Paris kutschierte. Dort traf ich auf den Rest meiner kleinen Reisegruppe.

Nina, Alexa, Lea und Hilly empfingen mich gut gelaunt und mit großen Rucksäcken bepackt mitten unter einem riesigen Werbebanner für Kondome. Das war sicherlich kein Zufall, schoss es mir in den Kopf.

„We were so excited when we first saw this", erklärte Lea strahlend und deutete mit dem Finger auf das Plakat über ihrem Kopf, „We thought you might be excited too". Sie sah mich mit großen Augen und einem breiten Grinsen auf den Lippen an, dann nahm sie mich in die Arme.

Die vier jungen Frauen sangen ein Ständchen für mich, was mir unfassbar peinlich war. Ich versuchte, das ganze möglichst schnell und schmerzfrei über mich ergehen zu lassen, während meine Gedanken zurück zu meinem tatsächlichen Geburtstag letzte Woche wanderten.

Ich hatte den Tag mit Sara verbracht, okay - morgens notgedrungen mit meinem Vater und Susanne, dann aber mit Sara. Diese hatte schon vormittags frei gehabt und mich zuhause abgeholt.

Wir hatten den Nachmittag in ihrem Bett verbracht. Und den Abend in einem viel zu schicken Restaurant, in dem sie darauf bestand, mich einzuladen, und mich anschließend regelrecht abfüllte.

„Lili", fragte Nina nun, "Don't you wanna know what we got you? Remember I told you we had a surprise for your birthday".

Die Überraschung, von der Nina mir schon im Vorhinein lang und breit erzählt hatte, überraschte mich tatsächlich und rührte mich sehr.
Alexa zog ein Paket hinter ihrem Rücken hervor, das ich bisher nicht einmal wahrgenommen hatte. 

Zum Vorschein kam ein Fotoalbum mit Bildern aus den letzten 3 Jahren. Aus all der Zeit, die ich in London und damit auch mit meinen Freundinnen dort verbracht hatte.
Ich konnte nicht verhindern, dass sich kleine Tränen in meine Augen stahlen, während ich die Seiten und damit auch die Erinnerungen an einen ganzen Lebensabschnitt durchblätterte.

"So what do you think?", fragte Lea, die erwartungsvoll zu mir blickte, nun.
Ich nickte nur und schluckte den Kloß in meinem Hals runter, bevor ich mich bei meinen Freundinnen bedankte.

Ich hatte Nina und den anderen natürlich von meinem Plan erzählt, nach dem Sommer zurück nach Deutschland zu gehen. Allein schon, weil ich ja mit Nina zusammenwohnte, ging es sie etwas an. Obwohl ich es bisher mit wenigen anderen geteilt hatte, nicht einmal mit Katharina.

Lea, Alexa und Hilly waren zwar überrascht gewesen, als Nina und ich ihnen meine Pläne - falls man das als solche bezeichnen konnte - offenbart hatten, doch im Grunde wussten sie wahrscheinlich, dass es eine bestimmte Person war, die mich zurück in meine Heimat zog.

Etwa eine halbe Stunde später stiegen wir gemeinsam in den Zug, der uns bis nach Genua bringen sollte. Von dort aus würden wir den Bus nehmen und in den kleinen Küstenort fahren, den wir uns ausgesucht hatten und uns geradeso leisten konnten.

-

Der Urlaub verlief gut. Es war warm und sonnig und wir verbrachten viel Zeit am Strand oder in den umliegenden Wäldern.
Wir gingen baden und wandern und abends kehrten wir meist in ein Lokal in einer kleinen Seitenstraße ein.
Und genau dieses Lokal war der Ort, an dem die Reise für mich einen Wendepunkt fand.

Bereits an unserem ersten Abend, als wir gerade durch den Efeu bewachsenen Torbogen zum Garten des Restaurants getreten waren, traf mein Blick den der dunkelhaarigen Bedienung.
Sie zog die Augenbrauen hoch, wandte ihren Blick aber nicht ab, während ich sie für einen kleinen Moment zu lang anstarrte.
Dann sah sie weg, jedoch nicht, ohne dass sich ein kleines Lächeln auf ihre vollen Lippen stahl.

Am nächsten Abend fragte sie mich, ob ich noch einen Wein mit ihr trinken würde, wenn ihre Schicht vorbei war. Und ich stimmte zu.
Nachdem die anderen sich von mir verabschiedeten blieb ich noch einen Moment sitzen, bis sie mir schließlich zuwinkte und dem Koch im Inneren ein paar Sätze zuwarf.
Sie hieß Lucia und es stellte sich heraus, dass sie nicht nur die Bedienung, sondern die Tochter des Besitzers des Lokals war.

Wir saßen an einem Tisch ganz am Rande des Gartens und nach einiger Zeit kam ebenjener Vater bei uns vorbei, stellte uns zwei weitere Gläser Rotwein auf den Tisch und teilte mir in gebrochenem Englisch mit, dass seine Tochter kein Kind von Traurigkeit war und ich mir keine Hoffnungen machen sollte.
Lucia lachte, ein wenig peinlich berührt und schüttelte den Kopf, bevor sie ihren Vater mit ein paar bestimmten Worten auf Italienisch, die ich natürlich nicht verstand, und einer wüsten Handbewegung davon scheuchte.
Der ältere Mann kicherte und zwinkerte mir zu, bevor er sich umdrehte und zurück im Innenraum des Ladens verschwand.

An diesem Abend geschah nichts zwischen uns, doch wir beide wussten, dass es nur eine Frage der Zeit war.
Lucia stürzte mein gerade sorgfältig sortiertes Innenleben erneut ins Chaos.
Wenn ich nicht gerade damit beschäftigt war, an ihre dunklen Augen zu denken, fragte ich mich, was zum Teufel ich da gerade machte.

Wollte ich das, was ich mit Sara hatte, wirklich für einen bescheuerten Sommerflirt aufgeben? Musste ich das überhaupt?

War es verwerflich, so zu denken?
Oder war all das sowieso zum Scheitern verurteilt, wenn ich schon jetzt meine Finger nicht bei mir behalten konnte - oder wollte?

Sollte das, was sich in den vergangenen Monaten - oder gar Jahren - zwischen Sara und mir angebahnt hatte, tatsächlich nichts für immer sein?

-

Am nächsten Tag wachte ich verkatert auf. Zu spät, schlecht gelaunt und mit Kopfschmerzen, wie ich sie in den letzten Jahren höchstens einmal erlebt hatte, gesellte ich mich zu meinen Freundinnen an den Frühstückstisch unseres Airbnbs. Wir saßen auf dem Balkon und während die anderen fröhlich plauderten, pochte mein Kopf und mir fiel auf, dass ich in der Hektik eins von Saras hellen Hemden angezogen hatte.
Ihr Geruch trieb mich fast augenblicklich in den Wahnsinn.

Ich lehnte mich zurück, schloss die Augen und versuchte für einen Moment durchzuatmen, während Alexa und Nina ihr Gespräch mit zweifelndem Blick unterbrachen und sich zu mir drehten.

Im ersten Moment fand sich noch ein fragendes Grinsen auf ihren Gesichtern, doch nach wenigen Sekunden stellten sie scheinbar fest, dass mich etwas ernsthaft beschäftigte und ihre Augenbrauen fanden wieder ihren gewohnten Platz.
"Do you want to talk about your night?", harkte Nina schließlich vorsichtig nach, "You know you can tell us anything, right?".

Ich nickte matt, bevor ich endlich auspackte.

Nichts für immerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt