11. - Pessimist

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Am Ende der Woche hatten Hanna und ich unser Touri Programm weitestgehend abgearbeitet.
Wir hatten die Tate Modern, das Imperial War Museum und ein weiteres Ausstellungshaus besichtigt und eine Menge Zeit damit verbracht, Kaffee zu trinken und zu reden.

Einen Tag vor Hannas Abreise fanden wir uns in einem winzigen Café wieder, in dem meine Freundin mich wagemutig mit der Realität konfrontierte.

Die ganze Woche über hatte sie Schweigen darüber gewahrt, was zwischen Sara und mir geschehen war, doch nun platzte es aus ihr heraus.

Natürlich hatten meine Gedanken mir ohnehin keine Ruhe gelassen.

Meine Erinnerungen an sie und ihren sich unter mir windenden Körper hatten mich nachts wach gehalten, doch Hanna wusste nichts davon und hatte den unbedingten Drang, mit mir darüber zu reden.

„Also", begann sie zögerlich, „Was ist denn jetzt dein Plan bezüglich Sara?".
Ich schlürfe an meinem Kaffee und zuckte unbeholfen mit den Schultern.
„Ich weiß es doch auch nicht", sagte ich nach kurzem Zögern, „Meinst du, ich muss einen Plan haben?'.

Ich rutschte auf meinem Stuhl hin und her,
„Also ich weiß nicht, ob ich es nicht einfach gut sein lassen sollte".

Hanna blickte mich erschrocken und mit großen Augen an, „Gut sein lassen!?".

„Naja, ich würde sagen ich bin in den letzten zwei Jahren Profi im One-Night-Stands haben geworden", antwortete ich.

Die Situation ließ mir keine Ruhe, denn alles in mir sehnte sich nach Sara. Besonders der Anteil in mir, der 15 Jahre alt und hoffnungslos in eine unerreichbare Frau verliebt war.

Hanna stieß einen frustrierten Laut aus und blickte mich vorwurfsvoll an.
„Wir wissen beide, dass das keine Option ist", entgegnete sie mir und lehnte sich zurück, „Ich meine, das war ja nicht irgendjemand. Sondern Sara".

Ich nickte langsam. Irgendwo hatte meine Freundin natürlich Recht. Quasi seit ich denken konnte, hatte es Sara in meinem Leben und in meinem Kopf gegeben und jetzt, wo es eine Möglichkeit gab, sie wiederzusehen, wollte ich das einfach wegschmeißen?

Ich erinnerte mich an die unzähligen Male, die ich zu Schulfesten, Konzerten und jedem anderen Event in meiner ehemaligen Schule aufgetaucht war, nur um einen Blick auf sie zu erhaschen oder ein kurzes Gespräch mit ihr zu führen.

An einem Weinreichen Abend nach einem Theaterbesuch eine unvergessliche Nacht mit ihr zu verbringen und sogar ihre Telefonnummer zu haben, wäre mir damals und auch vor wenigen Tagen nicht in meinen kühnsten Träumen in den Sinn gekommen.

„Lili, wenn sie nicht gewollt hätte, dass du dich bei ihr meldest, dann hätte sie dir nicht ihre Nummer gegeben", sprach Hanna ihre Gedanken weiter aus.

Ich persönlich zweifelte daran. „Was, wenn sie mir nur mitteilen will, dass sie das ganze bereut? Wenn sie nur ihr Gewissen wieder ins reine bringen will? Und ich renne ihr hinter her wie ein Schoßhündchen?".

Die Möglichkeit, mich selbst vor Sara verletzlich zu machen und ihr zu offenbaren, was sich all die Jahre in meinem Kopf angespielt hatte, glich einem Alptraum.

Was würde sie sagen, wenn ich sie tatsächlich kontaktieren würde? Was wollte ich überhaupt?
Hanna lehnte sich mit einem Schmunzeln im Gesicht zu mir und sah mir tief in die Augen,
„Meinst du wirklich?".

Ich zuckte die Schultern,
„Keine Ahnung. Ich habe aber keine Lust, wie ein Trottel dazustehen und abgewiesen zu werden. Außerdem, was soll denn schon werden? Die Wahrscheinlichkeit, dass wir eine total romantische Beziehung starten, die durch unsere 20 Jahre Altersunterschied und ihre beiden kleinen Töchter überhaupt nicht gestört wird, ist recht unwahrscheinlich. Von der Distanz unserer Wohnorte ganz zu schweigen".

Ich lachte, obwohl ich die Situation, in der ich mich befand, wirklich kein bisschen lustig fand.
Je mehr ich darüber nachdachte, desto mehr sehnte ich mich nach Sara, der ich in unserer kurzen gemeinsamen Zeit noch nicht im Ansatz hatte zeigen können, was ich für sie empfand.

Ich sehnte mich nach ihrem Lachen und ihrer Stimme, nach ihrem Körper und ihren Berührungen. Mehr, als ich es je zuvor getan hatte.

Hanna sah mich besorgt an,
„Man Lili. Sei doch nicht so".
„Wie denn, so", murmelte ich in mich hinein. Schon jetzt tat es mir leid, dass ich Hanna so angefahren hatte, obwohl sie sicherlich nur das beste für mich wollte.

„Pessimistisch", sagte Hanna und stieß erneut einen frustrierten Laut aus, „Du kannst nicht für immer vor deinen Gefühlen weglaufen".

„Bisher hat das echt gut geklappt", entgegnete ich nur.
„Aber jetzt ist da eine Frau, die du seit Jahren toll findest. Eine Frau, die deutliches Interesse an dir zeigt und die dich gerne wieder sehen möchte. Das kannst du doch nicht einfach so wegwerfen?!", mittlerweile wirkte Hanna wirklich entsetzt über meine Einstellung.

Ich konnte es ihr nicht verübeln, ich wäre ebenso entgeistert.

„Ich weiß, dass du nicht verletzt werden willst, Lili", sagte Hanna nun und traf damit genau ins Schwarze, „Aber wenn du es nicht versuchst, wirst du es auch nicht herausfinden".

Ich nickte langsam und bat die Kellnerin, uns die Rechnung zu bringen, bevor ich Hanna antwortete, „Aber wir haben immer noch keine Ahnung, was Sara mit ihrer dubiosen Nachricht bezwecken will und ob sie wirklich möchte, dass ich mich bei ihr melde".

Genervt seufzte die Brunette mir gegenüber, „Oha. Du willst es echt nicht hören. Bitte schreib ihr wenigstens".

Also versprach ich Hanna, mich bei Sara zu melden, auch wenn ich noch immer bezweifelte, dass dies eine gute Idee war.
Weil Hanna immer noch nicht locker ließ, verfassten wir gemeinsam eine Nachricht, die ich später an Sara versenden würde - falls ich mich traute.

Selten hatte ich mich so verunsichert gefühlt, wie in diesem Moment. In den letzten Jahren hatte ich geflissentlich die Finger davon gelassen, jemanden ein zweites Mal zu treffen.
Ganz egal, wie interessant eine Frau gewesen war.
Ganz egal, wie gut der Sex gewesen war.
Ganz egal, wie oft ich mit unterdrückter Nummer angerufen worden war.

Sollte ich tatsächlich eine Ausnahme machen, weil es Sara war? Weil ich sie seit Jahren kannte? Sie seit Jahren wollte?

Alles in mir schrie danach, diese eine Ausnahme zu machen. Ihr zu schreiben. Ich wollte sie wieder sehen. Ich wollte sie in meinen Armen halten und ihren Duft einatmen.
Und doch hatte ich unendlich große Angst vor den Konsequenzen.

Nichts für immerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt