6. - Geradezu perfekt

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Obwohl es für den Oktober in London noch recht warm war, kroch mir die Kälte schon nach wenigen Augenblicken in die Knochen. Die Zigarette zwischen meinen Fingern zitterte leicht und jetzt, wo ich frische Luft atmete, spürte ich die Wirkung des Weins, den ich den ganzen Abend getrunken hatte, doch deutlich.

Durch die Tür heraus trat Sara, die sich ihre Jacke um die Schultern geworfen hatte und mit einem Lächeln, welches mir - schon wieder - jeden Atem raubte, auf mich zukam.

„Verschwinde doch nicht einfach so ohne mich", ermahnte sie mich spielerisch und zündete sich ebenfalls eine Zigarette an. Sie stellte sich im Licht einer Straßenlaterne nah zu mir und brachte mein Herz auf Hochtouren.

Von hier aus konnte ich sowohl ihre roten Lippen, als auch ihren Hals und ihren Nacken viel zu gut beobachten, da sie ein ganzes Stück kleiner war als ich.

Jetzt, wo sie mir so nah war und tief an ihrer Zigarette zog, wobei sich ihr Brustkorb deutlich bewegte, war es noch schwerer als zuvor, meine Sehnsucht nach ihr zu ignorieren.

„Ich wusste ja nicht, dass du diese lästige Eigenschaft immer noch nicht abgelegt hast", rechtfertigte ich mich und spielte auf die vielen Situationen an, in denen Sara und ich zuvor bereits im Raucherbereich von Sporthallen, Hotels und Stadthallen entweder zu zweit, meist jedoch in größeren Gruppen kleine Raucherpausen gemacht hatten.

Damals hatten wir beide dies zwar noch als „Partyrauchen" abgetan, doch zumindest für mich hatte sich das ganze mittlerweile in eine größere Problematik verwandelt, und Sara schien es nicht anders zu gehen.

„Das hier zählt doch noch als Partyrauchen, oder?", scherzte sie und ihre blauen Augen blitzten mir frech entgegen.
„Klar, mehr als zwei Leute sind eine Party", antwortete ich grinsend.
„Gerade sind wir ja zum Glück nur zu zweit".

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Ich kam nicht umhin, als mich in diesem Moment daran zu erinnern, wie ich die Frau, die schon seit Jahren einen viel zu großen Teil meiner Gedankenwelt einnahm - obwohl es zwischen uns natürlich nie zu mehr als ein paar aufgeladenen Sprüchen und Blicken - zum ersten Mal im Lehrer-Raucherbereich unserer Schule gesichtet hatte.

Ein Ort, an dem Katharina und ich sie zuvor noch nie gesehen hatten, doch an diesem einen Tag stand sie dort und zog hektisch an einer Zigarette, während meine beste Freundin und ich sie aus dem zweiten Stock beobachteten.

„Warum sieht diese Frau eigentlich bei allen, was sie macht, so unfassbar heiß aus?", hatte Katharina mich gespielt verzweifelt gefragt, und ich war rot geworden, hatte mit den Schultern gezuckt und anschließend weiter gestarrt.

Spätestens in diesem Moment wurde mir zum Verhängnis, dass ich eine scheinbar große Schwäche für schöne Frauen und Zigaretten, gerne auch in Kombination, hatte.

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Auch jetzt, vor dem Pub in London stehend, wo ich auf Sara und ihre Schüler getroffen war, sah sie mit ihren blonden Locken und ihrem geradezu perfekten Körper, um es mit Katharinas Worten zu sagen, unfassbar heiß aus.

Obwohl ich nicht gedacht hätte, dass es möglich wäre, nahm ich alles an ihr noch viel deutlicher wahr, als je zuvor.

Ich betrachtete ihre roten Lippen, die sich immer wieder um ihre Zigarette schlossen, und ihre feingliedrigen Hände. Einen Arm hatte sie fest um ihren Oberkörper geschlungen.

Außerdem spürte ich ihre körperliche Nähe und die Wärme, die von ihr ausging, und roch ihren unverwechselbaren Duft.
All das trieb mich fast in den Wahnsinn und sorgte dafür, dass meine Gedanken immer mehr abschweiften.

Nichts für immerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt