7. - Verboten gut

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Unsere Gruppe schälte sich schließlich aus den Sesseln und Bänken, in denen wir den Abend bisher verbracht hatten. Wir zogen unsere Jacken und Mäntel an und machten uns auf in Richtung Theater.
Nikolas fand sich noch immer, oder erneut, wer wusste es schon, in ein Gespräch mit Hanna vertieft und hatte scheinbar vergessen, dass er seiner jetzigen Schülergruppen eine gewisse Verantwortung gegenüber hatte.

Obwohl ihre Lehrer ihnen heute Abend wenig Aufmerksamkeit geschenkt hatten, war die Stimmung der Schüler gut und sie plauderten fröhlich, während wir uns entlang der Themse durch London schlugen.

Ich für meinen Teil wurde erneut von Anna und Helena belagert, die versuchten mich in ein Gespräch zu verwickeln.
Obwohl die beiden mir gegenüber sehr freundlich und aufgeschlossen waren, ging mir ihr Verhalten mittlerweile auf die Nerven.

Viel lieber hätte ich mich mit Nikolas und Hanna, noch lieber mit Sara unterhalten.

Diese wanderte immer wieder zwischen dem Anfang der Gruppe, wo Hanna und Nikolas sich noch immer miteinander unterhielten, und dem Ende der Gruppe, welches aus zwei sehr nerdig aussehenden Typen gebildet wurde, hin und her.

Solange sie vor mir lief, ruhte mein Blick auf ihrem Rücken und ich versuchte vergeblich, meine Gedanken unter Kontrolle zu halten, was sich durch die Blicke, die sie mir immer wieder zuwarf, als schwierig herausstellte.

Über ihre Augen hatte sich ein spielerischer dunkler Schleier gelegt, der mich fast in den Wahnsinn trieb.
Als sie einmal auf meiner Höhe halt machte, legte sie ihre Hand beiläufig um meine Taille, die unter dem Stoff meines Mantels augenblicklich mit einer Gänsehaut reagierte.

Nicht nur meine Gedanken gegenüber Sara, auch Helenas Verhalten mir gegenüber war im Laufe des Abends offensiver geworden.

Mehrfach hatte sie anzügliche Kommentare fallen lassen und mir Komplimente gemacht, womit sie mich immer mehr an eine jüngere Katharina erinnerte.

Sie abblitzen lassen zu müssen tat mir leid, denn unter normalen Umständen wäre ich einem intensiveren Kontakt mit ihr sicherlich nicht abgeneigt gewesen - doch jetzt, mit der Frau, nach der ich mich seit Jahren sehnte, im direkten Vergleich, hatte sie keine Chance.

Selbst, wenn das, was Sara mir am heutigen Abend entgegenbrachte, nur Einbildung meinerseits war, wollte ich diese lieber bewahren, als mich in einer anderen, viel unbedeutenderen, Annäherung zu verheddern.

Während Hanna sich langsam zu mir und den beiden Mädchen zurückfallen ließ beobachtete eine kurze, energisch geflüsterte Diskussion zwischen Nikolas und Sara, in deren Verlauf sie immer wieder zu Hanna und mir hinüberblickten.

Hanna nahm mich vorsichtig zur Seite und ich war froh, das Gespräch mit Maya und Anna abbrechen zu können.

„Ich glaube es geht um dich", flüsterte sie mir zu und grinste mich verschwörerisch an, „Also ich weiß ja nicht, wie das zwischen Frauen so läuft, aber ich würde sagen, Sara steht ein bisschen auf dich".

Ich lachte und wurde mir im nächsten Moment über die Bedeutung von Hannas Worten bewusst. Hatte ich mit meinem Gefühl tatsächlich recht?

„Wirklich Lili", sagte Hanna nun etwas ernster und kniff mir sanft in die Seite,
„Hast du mal gesehen, wie sie dich anschaut?".

„Ja, habe ich. Aber ich denke ehrlich gesagt, dass ich mir das einbilde. Wie auch in den letzten 10 Jahren", entgegnete ich und schluckte, mein Herzschlag hatte sich deutlich beschleunigt.

„Auf keinen Fall", beteuerte Hanna, „Die würde dich mindestens genau so gerne mit nach Hause nehmen, wie die Kleine da drüben".

Sie nickte zu Anna und Helena, die sich gerade tuschelnd zu uns umdrehten und sich, als sie bemerkten, dass wir über sie sprachen, hektisch gegenseitig unterbrachen. Ich seufzte.

„Ich würde sagen, heute ist deine Chance", ergänzte sie, „Hol dir einfach, was du willst. Darin bist du doch sonst ganz gut".

Sie zwinkerte mir zu und hakte sich bei mir ein, was das Frösteln, das sich mittlerweile bei mir eingeschlichen hatte, ein wenig verringerte.
Ich ließ meinen Blick erneut über Saras Körper wandern, was dazu führte, dass mir sofort wieder wärmer wurde.

Ihre blonden Locken fielen auf ihre schmalen Schultern und ihre Hose schmiegte sich um ihre weiblichen Rundungen. Sie sah so gut aus, dass mir beinahe schwindelig wurde.

In mir herrschte Chaos. Auf der einen Seite sehnte ich mich so sehr nach der blonden Frau, wie noch nie und die Möglichkeit, die Hanna mir eben eröffnet hatte, ließ mein Inneres rebellieren.
Hinzu kam die Tatsache, dass ich mir Saras Blicke und Berührungen scheinbar nicht ganz eingebildet hatte.

Auf der anderen Seite war Hanna schon immer ein wenig vorschnell in ihren häufig dramatischen Beobachtungen gewesen und ich hatte Angst, mich in eine unfassbar unangenehme Situation zu bringen, sollte ich einen Schritt auf Sara zu machen.

Außerdem, wie sollte dieser Schritt in unserer Situation aussehen? Ich konnte sie ja schlecht bitten, mit mir nach draußen zu kommen um sie dort einfach zu küssen.

„Ich werde mich betrinken", verkündete ich Hanna deshalb, halb in der Hoffnung, dass der Alkohol mein Verlangen nach Sara irgendwie stillen würde - was er in der Vergangenheit wirklich noch nie getan hatte - halb in der Hoffnung, dass mein betrunkenes Ich die Situation schon irgendwie retten würde.

Hanna seufzte und hüpfte mit beschwichtigenden Worten neben mir her, während wir unseren Weg zum Theater fortsetzten.

Etwa eine Stunde und zwei Gläser Rotwein später saß ich angetrunken und vollkommen durch den Wind in einer der oberen Reihen des alten Theaterhauses und versuchte, mich auf die Handlung des Stückes - zur Feier des Tages hatte Nikolas ‚Macbeth' auserwählt - zu konzentrieren.

Die Worte, die Sara mir im Foyer des Theaters mit roten Wangen ins Ohr geflüstert hatte, hallten noch in mir nach und brachten mich in Verlegenheit.

Nachdem ich meinen Mantel in der Garderobe abgegeben hatte und mich kurz mit einer Uni-Bekanntschaft, die zufällig auch das Stück besuchen wollte, unterhalten hatte, hatte sie sich bei mir eingehakt.
Sie hatte sich auf die Zehenspitzen gestellt und sich in einer leicht wütend wirkenden Bewegung die blonden Locken aus dem Gesicht gestrichen, bevor sie mich zu sich gezogen hatte.

„Das Kleid steht dir verboten gut", hatte sie gesagt und mich damit mächtig aus dem Konzept gebracht. Meine Wangen hatten sich rot gefärbt und ich hatte verunsichert das verschmitzte Grinsen in Saras Gesicht beobachtet.
Danach hatte sie sich leicht auf die Lippe gebissen und meine Gedanken hatten sich vollkommen von mir verabschiedet, bevor sie sich wieder Nikolas zugewandt hatte.

Saras dunkler Blick, der von der Seite immer wieder auf mir landetet, machte mir dies allerdings mehr als schwer.
Als ihre Augen meine trafen beschleunigte sich mein Herzschlag immer wieder merklich, Hannas Worte hatten das Chaos in mir noch weiter angekurbelt.

Auch Sara hatte scheinbar, von Nikolas, der ein wenig entnervt neben ihr saß, mehr oder minder unterstützt, versucht, sich ihre aktuelle Situation ein wenig schön zu trinken.

Sie hielt ihr Rotweinglas auch jetzt noch in der Hand, während ihre Augen zwischen der Bühne und meinem Gesicht hin und her wanderten.


Wenn Euch Saras Perspektive interessiert, findet Ihr dieses Kapitel unter "Blicke" in "Parallelen"

Nichts für immerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt