15. - Kurzentschlossen

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Den nächsten Tag verbrachte ich mit meinem Vater. Wir schliefen aus und frühstücken dann in aller Ruhe gemeinsam, bevor wir uns auf den Weg in den Baumarkt machten, wo er einige Materialien für sein neues Hochbeet kaufen wollte.

Obwohl es ein komisches Gefühl war, wieder in meiner Heimatstadt zu sein, genoss ich die Zeit mit ihm.
Wir unterhielten uns über alles Erdenkliche und er erzählte mir von Susanne, die er uns am Abend vorstellen wollte.

Es freute mich, zu sehen, wie glücklich er bei ihrer Erwähnung schien.

Irgendwann stellte er mir auch einige Fragen zu meinem Liebesleben, die ich versuchte so erwachsen wie möglich zu beantworten.

Trotzdem wurde ich rot und wich ihm aus, im Grunde gab es ja auch nichts Nennenswertes zu berichten.

Auf dem Rückweg durch die Innenstadt fuhren wir auch an meiner und Lasses ehemaligen Schule vorbei, wo ich selbstverständlich Ausschau nach Sara hielt, der ich noch immer nicht mitgeteilt hatte, dass ich in Deutschland war.

Beim Anblick des backsteinernen Gebäudes musste ich lächeln und dachte an meine Schulzeit zurück, die alles in allem doch schön gewesen war. Nicht zuletzt, weil es Sara gegeben hatte.

Am frühen Nachmittag stieß Lasse zu uns.
Er klingelte an der Haustüre und, weil mein Vater gerade unter der Dusche stand, öffnete ich die Türe und fiel ihm mit einem Quietschen in die Arme.
Ich hätte schwören können, dass er schon wieder gewachsen war, was natürlich Quatsch war.

Mein Bruder war mittlerweile ebenfalls in seinen 20ern angelangt und wuchs seit Jahren höchstens in die Breite.

Er drückte mich fest und ich musste mich ein wenig strecken, um ihm durch die dichten dunklen Haare zu wuscheln.

„Lassi", sagte ich und nahm ihm seine Reisetasche ab, „Da ist ja unser Wahlberliner schon".

Er grinste und wir nahmen in der Küche Platz und unterhielten uns ein wenig, bevor mein Vater zu uns stieß.

Auch mein Vater nahm ihn fest in die Arme und setzte sich dann zu uns.

Ich wusste, dass er unser Treffen am Abend so schnell wie möglich ansprechen wollte, sich aber auch um Lasses Reaktion darauf sorgte. Dieser hatte immer eine sehr viel innigere, vertrautere Beziehung zu unserer Mutter gehabt, weshalb es nahe lag, dass er die Nachricht nicht ganz so positiv aufnehmen würde, wie ich.

Im Vergleich zu mir war er ein richtiges Mamakind gewesen, was häufig für Unmut in unserer Familie gesorgt hatte.
Nach ihrem Tod hatte sich diese Dynamik natürlich verändert, doch manche Systeme verlässt man wohl nie ganz, so sprach Lasse auch jetzt, nach Jahren, nur in den höchsten Tönen von unserer Mutter.

„Ach krass", sagte er, als mein Vater endlich mit der Sprache herausrückte, „Heute Abend?".

Allein diese Reaktion fand ich schon übertrieben, schließlich war unser Vater seit fast 5 Jahren Witwer.
Ich rollte kurz mit den Augen, was Lasse einen vernichtenden Blick entlockte, dann jedoch stimmt er wieder gut gelaunt zu und die Stimmung am Tisch entspannte sich merklich.

„Super. Dann also um 19 Uhr?", versicherte sich mein Vater erneut und wir beide nickten zustimmend, „Susanne würde dann danach auch mit her kommen, wenn das für euch in Ordnung geht".

Wieder nickten wir.

Wir trafen die grauhaarige Frau, von der unser Vater so begeistert war, in einem kleinen Restaurant in der Innenstadt. Sie hatte ein freundliches Auftreten und Lachfalten im Gesicht, was sie mir sofort sympathisch machte.

Mein Vater legte seine Hand liebevoll auf ihren Rücken, als sie sich setzen wollte und brachte mich damit zum Schmunzeln.

Es war niedlich, dass er mit seinen 55 Jahren wieder so frisch verliebt und unbeholfen schien und sogar ein bisschen rot wurde, als er meinen Blick traf.

Nachdem wir uns einander vorgestellt hatten, wobei Lasse zunächst doch ein wenig mürrisch wirkte, bestellten wir Getränke und verloren uns im üblichen Smalltalk.

Es stellte sich heraus, dass mein Vater Susanne bei einem Sporttreff kennengelernt hatte, welches sie anleitete.

Sie war, wie ich bereits vermutet hatte, einige Jahre jünger als mein Vater und wickelte sowohl mich, als auch Lasse mit ihrer positiven Ausstrahlung sofort um ihren kleinen Finger.

Wir lachten viel und als Lasse schließlich verkündete, den Abend noch mit Freunden aus seiner Schulzeit verbringen zu wollen, schickte ich Sara kurzentschlossen eine Nachricht.

Wenige Minuten später rief sie mich zurück und ich erhob mich mit einem Nicken zu meinem Vater und stellte mich mit einer Zigarette vor die Tür des Restaurants.
Ich nahm den Anruf mit pochendem Herzen an und hörte Saras sanfte Stimme am anderen Ende. Augenblicklich wurde mir ganz warm.

„Hi", sagte sie schlicht und brachte mich damit zum Schmunzeln.
„Hi", entgegnete ich. „Ich bin ein bisschen spontan".

„Ein kleines bisschen", neckte sie mich und ich hörte an ihrer Stimme, dass sie lächelte.
Im Hintergrund hörte ich Stimmen und Musik und war für einen Moment enttäuscht, da sie sich scheinbar nicht zuhause befand und daher sicherlich keine Zeit für mich hatte.

„Du kannst froh sein, dass meine Mädchen heute bei ihrem Vater sind. Ein wenig mehr Vorlaufzeit bräuchte ich schon", sagte sie.

„Wo bist du denn?", fragte ich und lehnte mich gegen eine nahe Straßenlaterne.

„Ich bin mit zwei Freundinnen unterwegs", erklärte Sara und ich hörte jemand ihren Namen sagen.

„Oh. Tut mir leid, ich wollte nicht stören", entschuldigte ich mich, „Dann wünsche ich dir noch einen schönen Abend".

Augenblicklich bereute ich es, mich doch bei ihr gemeldet zu haben.
Und das auch noch so spontan. Nicht unbedingt förderlich, wo ich doch versuchte, wie eine voll zurechnungsfähige Erwachsene darzustehen.

„He. Stop", würgte Sara mich ab, „Wir sind nur etwas Essen. Wenn du dich noch ein bisschen geduldest, habe ich Zeit für dich".

Ihre Stimme war warm und sanft, ich hörte ihr Schmunzeln erneut heraus und stellte mir unweigerlich vor, wie sie wohl gerade aussah.

Meine Gedanken kreisten um ihre engelsgleichen blonden Locken und ihre vollen Lippen und meine Sehnsucht nach ihr wuchs immer weiter.

Dennoch war es mir unangenehm, dass es ihr scheinbar nicht wirklich in den Kram passte, dass ich mich jetzt meldete.

„Nein, ich mag euch da doch garnicht zwischenfunken. Entschuldige, dass i-".
Sie unterbrach mich, „Lili. Ich würde mich sehr sehr freuen, dich zu sehen".

Wir beendeten unser Gespräch, ich natürlich mit schon wieder geröteten Wangen und einem warmen Kribbeln im Bauch. Sara hatte mich für halb 10 in ihre Wohnung eingeladen.

Eine Vorstellung, die mich ganz schwindelig machte. Jahrelang hatte ich mir sie vorgestellt. Ihren Alltag, ihre Kinder, ihr Leben.
Das Betreten ihrer Wohnung stellte für mich ein irrsinnig intimes Ereignis dar.

Außerdem hatte ihre Stimme, die während unseres Gesprächs immer dunkler und verschwörerischer geworden war, mich ganz durcheinander gebracht, weshalb ich schließlich mit wackeligen Knien zurück in das Restaurant trat.

Dort bedachte mein Vater mich augenblicklich mit einem verschwörerischen Grinsen.

„Na", fragte er, als ich mich wieder setzte, „Wer hat dich denn so zum Lächeln gebracht?".
Er zuckte mit den Augenbrauen und ich grinste.

„Das kann ich dir noch nicht verraten", sagte ich nur, „Aber ich würde dann heute auch die Wohnung räumen".

Noch immer war es mir ein wenig unangenehm, hier so vor allen und besonders mit Susanne doch recht offensichtlich über mein Sexleben Auskunft zu geben, aber was sollte ich machen.

„Kenne ich sie?", fragte mein Vater nun und mein Blick huschte zu Susanne.
Ich blickte sie gespannt an, schließlich wusste sie bisher - so weit ich wusste - noch nichts von meiner Vorliebe für ‚Sie's', doch sie lächelte nur freundlich und ich zuckte meinem Vater zugewandt die Schultern.

Ich konnte ihm ja schlecht erzählen, dass ich meine ehemalige Tutorin traf.

Nichts für immerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt